Kaffeehäuser:Der Charme der Wartesäle

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Das Gebäck lockt, die Atmosphäre verschreckt: Ein Bummel durch traditionsreiche Münchner Kaffeehäuser.

Johannes Willms

Früher ging man bekanntlich ins Café, weil man dort zu Hause war, aber doch nicht bei sich daheim.

Im Cafe Kreutzkamm (Foto: Rumpf)

Eine solche Paradoxie lässt sich heute nur noch in Wien leben, wie ein jeder weiß, der die Fünfzig überschritten hat und dem deshalb eine einschlägige Kennerschaft fraglos zugebilligt werden kann.

Vor gut zehn Jahren in München angekommen, verfiel der Verfasser der Illusion, die schiere geographische und kulturelle Nähe der bayerischen Haupt- und vormaligen Residenzstadt zu Wien sei die gewisse Voraussetzung dafür, dass ihn hier ein ähnlich dichtes Netz an einschlägigen Oasen erwarte, an denen sich der Müßiggang in einer Weise kultivieren lässt, dass ein jeder darüber auf Dauer wenn schon nicht zu einem besseren, so doch zu einem gebildeteren Menschen wird.

Aber ach, diese Illusion zerschellte schnell. Geblieben ist eine Enttäuschung, die bis heute nicht verwunden ist.

Die großen und durchaus traditionsreichen Münchener Kaffeehäuser bürgerlich-gediegenen Zuschnitts haben ausnahmslos den Charme von Wartesälen. Ungewiss bleibt nur, wer hier auf was wartet, weshalb sich einem unweigerlich Alfred Polgars Definition des Wiener Café Central aufdrängt: "Das Central ist ein Ort für Menschen, die die Zeit totschlagen müssen, um nicht von ihr totgeschlagen zu werden."

Die Definition ist zwar hübsch, lässt sich aber bei genauer Inaugenscheinnahme auf die Münchener Kaffeehaus-Situation nicht übertragen, da leider alle in Frage kommenden Häuser der mindesten Voraussetzungen entraten, auch nur mit dem Versuch zu beginnen, in ihnen Zeit totschlagen zu wollen.

Das Verstreichen der Zeit

Was es dazu nämlich braucht, sind viele zwischen Buchenholzleisten gespannte Zeitungen, bequeme und gut eingesessene Sitzgelegenheiten, ein gleichmäßiges Dämmerlicht, das einen das Verstreichen der Zeit nicht bemerken lässt, das Flair einer merklich angejahrten Eleganz und ringsum möglichst viele Gleichgesinnte, die entweder in eine Lektüre oder in ein gedämpftes Zwiegespräch vertieft sind, deren Anwesenheit sich mit anderen Worten also nicht nachteilig auf die eigene Befindlichkeit auswirkt.

Habitués von Kaffeehäusern sind nämlich scheue und sehr empfindliche Wesen. Sie stört und verstört deshalb bereits, wenn an diesem Ort des schieren Müßiggangs andere Gäste ganz offensichtlich nur mit diesem beschäftigt sind und dies vor allem dadurch zu erkennen geben, dass sie jeden "Neuzugang" mit großer Hingabe mustern.

Derlei verschreckt und verstört nachdrücklich, ist indiskret und im höchsten Maß ungehörig, zumal damit zu rechnen ist, dass dieses ostentative Interesse nicht so schnell erlahmen wird.

Schaut man beispielsweise von der Speisekarte auf, läuft man unweigerlich Gefahr, einen impertinent forschenden Blick zu kreuzen.

Im Goldenen Dreieck

Die Weitschweifigkeit dieser Vorrede rechnet auf einen Leser im Kaffeehaus, weshalb wir jetzt schleunigst zur Sache kommen.

Münchens "Goldenes Dreieck", das von der Residenz-, der Brienner und der Maffeistraße gebildet wird, ist strategisch glücklich mit drei namhaften Kaffeehäusern besetzt: dem Café Rottenhöfer hinter der Feldherrnhalle, dem Café Luitpold im Luitpold-Block und dem Café Kreutzkamm in der Maffeistraße.

Alle drei können sich einer einschlägigen und großen Tradition rühmen und tun dies auch auf je unterschiedliche Weise.

Die Confiserie-Conditorei Rottenhöfer, die 1825 gegründet und seit 1838 in ihrem heutigen Anwesen, einem barocken Palais in der Residenzstraße 26 beheimatet ist, berühmt sich beispielsweise heute noch, die frühere "Königliche Hofkonditorei" gewesen zu sein. Das verpflichtet, zumal schon der "königl. bayerische Hoflieferant (...) auch eine eigene Schokoladenfabrikation von der Kakaobohne weg" betrieb, wie es "Die kleine Geschichte unseres Hauses" vermerkt, die der Speisekarte vorangestellt ist.

Noblesse oblige, weshalb sich die Pralinen aus dem Hause Röttenhöfer bis heute zu Recht eines ausgezeichneten Rufs erfreuen. Wer sich mit handfesteren Genüssen bescheidet, wird hier vorzugsweise das köstliche Plundergebäck, Windräder, Apfeltaschen, Mandelbrezen oder Rollkuchen erwerben.

Asketische Anspruchslosigkeit

Wer sich indes in dem mit dunklem Tropenholz und matten Wandspiegeln ausgekleideten Räumen des Rottenhöfer bei einem von Muschelschalen gedämpften Schummerlicht verweilen will, muss in asketischer Anspruchslosigkeit geübt sein, denn hier herrscht die Ästhetik eines Stehcafés mit Sitzgelegenheiten, die sich lediglich der Rücksicht des Besitzers auf sein meist sehr bejahrtes Publikum zu verdanken scheinen.

Im Café Luitpold ist das Publikum im Durchschnitt zwar jünger, aber auch nicht mehr so jung, wie insbesondere die dort zum Plausch verabredeten Damen sich selber und der Mitwelt mit einigem Aufwand vormachen wollen. Ins Luitpold geht man einerseits wegen der traumhaften Confiserie-Waren, wegen der hausgemachten Pralinees (es sind 60 Sorten), wegen der erlesenen Torten und Kuchen und wegen des Plundergebäcks, das seinesgleichen sucht.

Ins Luitpold geht man aber auch, um zu sehen und gesehen zu werden, weshalb der zum Café gehörende Palmenhof, ein mit Tischen und Stühlen möbliertes Atrium in der Einkaufspassage des Luitpoldblocks, besonders beliebt ist.

Wer hier Platz nimmt, präsentiert sich zum einen auf einer Bühnenrampe und weiß sich doch gleichzeitig in einer Loge geborgen.

Der Palmengarten kann heute als das Optimum der spezifisch Münchener Kaffeehaus-Kultur gelten, auch wenn er ein nur schwacher Abglanz der einstigen Pracht des Luitpold ist, das bei seiner Eröffnung im Januar 1888 ein wahrer Feenpalast gewesen sein muss, in dessen hohen, mit Säulen, Karyatiden, Brunnen, Plastiken und Gemälden geschmückten Sälen, deren Raumwirkung durch große Wandspiegel ins vermutlich Ungeheure gesteigert wurde, sich rund 1200 Gäste zwanglos zu einem Spektakel versammelten, bei dem sie gleichermaßen Akteure wie Zuschauer waren.

An Samstagen findet sich immerhin noch Landadel ein, wovon die Jagdhunde unter den Tischen und ihre dezent trachtlerischen Besitzer Kunde geben.

Insel der Seligen

Da ja nichts mehr so ist, wie es einmal war, überrascht das Café Keutzkamm, vor allem seit einer erst jüngst erfolgten und rundum sehr gelungenen Renovierung, durch unaufdringliche Eleganz.

Alles ist hier hell, aber nicht grell, kündet von einer geschmackssicheren Dezenz, von Qualität und Gediegenheit. An das Dresdener Stammhaus erinnern diskret die Stiche, Lithographien und Urkunden an den Wänden, die auf wunderbare Weise dem Feuersturm des Kriegs entrissen wurden.

Das verschafft dem Kreutzkamm jenes Flair, das sich dem Besucher im Genuss des Baumkuchens materialisiert, der eine der hier gepflegten Spezialitäten ist. Aber auch das Kreutzkamm ist kein Sanktuarium des Müßiggangs.

Wer hier einkehrt, stärkt sich für die Fortsetzung eines Einkaufsbummels, bemisst sein Verweilen am Takt der Straßenbahnen, die durch die Maffeistraße gleiten und die einem das schöne Gefühl vermitteln, mitten in der großen Stadt für eine genussreiche Weile auf einer Insel der Seligen zu sein.

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