Junge Bundestagskandidaten:Wahlkampf mit der Russendisko

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Für Nicole Fritsche hat die Republik ein Demokratiedefizit. Deshalb kämpft die Bundestagskandidatin der Linken für die Gleichstellung.

Korbinian Spann

Manche Jugendliche finden Politik langweilig. Ganz im Gegensatz zu Nicole Fritsche, die für die Linke kandidiert und die Jugend für Politik begeistern möchte. "Es interessieren sich wieder mehr junge Leute für Politik", berichtet die 30-Jährige. Für sie seien fehlende Ausbildungsplätze, die Studiengebühren und der Rechtsradikalismus wichtige Themen. Besonders sozial benachteiligte Jugendliche seien politisch motiviert.

Die Kandidatin der Linken möchte mit ihrem Wahlkampf um die Stimmen der Jugendlichen in München werben. (Foto: Foto: Spann)

Da sie gezielt die junge Generation ansprechen möchte, führt Fritsche nicht den üblichen Wahlkampf. Sie wird beispielsweise gemeinsam mit Wladimir Kaminer auftreten. Kaminer wird lesen, und Fritsche die Fragen der Besucher moderieren. Im Anschluss wird die berühmte Russendisko stattfinden.

Für den Bundestag kandiert Fritsche, weil sie überzeugt für die Linke eintritt. Sie sei auf Landesebene in der Partei bereits sehr bekannt. Für die Wähler sei wichtig, dass die Politik ein menschliches Gesicht habe. Sie kritisiert deshalb die aktuellen politischen Zustände. "Ich empfinde die Bevölkerung als entmachtet", sagt Fritsche. Weil die Bundesrepublik ein Demokratiedefizit habe, setzt sie sich für mehr Volksentscheide ein. Der Einsatz in Afghanistan zeige, dass die Mehrheit der Bevölkerung nicht mit der Politik übereinstimme.

Die Antikriegspolitik und der Protest gegen Rechtsradikale sind Teil ihres politischen Engagements. Fritsche will sich auch für ein neues NPD-Verbotsverfahren einsetzen.

"Ich war für die Fusion der Parteien" Die Kandidatin, die 1979 in der ehemaligen DDR geboren ist, begeisterte sich während der Gymnasialzeit für Politik und Sport. Doch im Zuge der Wiedervereinigung sei das Geld für den Sport und die Trainerstellen gestrichen worden. "Nach der Wende hingen wir alle in der Luft", erzählt sie. Doch dann entdeckte sie ihr Engagement gegen Rechtsradikalismus. Sie besuchte regelmäßig Friedensdemos und fand ihren Weg in die Politik.

Als nach der Bundestagswahl 2002 die PDS fast aus dem Bundestag gewählt wurde, entschloss sie sich zum Handeln. Die PDS, die sich später mit der WASG zur Partei "die Linke" zusammenschloss, habe sie schon immer gewählt. Nur mit dieser Partei habe sie sich inhaltlich identifizieren können. "Dort bin ich einfach zu Hause", sagt sie. Mit der Vergangenheit ihrer Partei habe sie keine Probleme.

Da sie jung und eine Frau ist, sei sie bald in den Kreisvorstand gewählt worden. Bei der Fusion der PDS mit der WSAG habe sie als Bundesparteitagsdelegierte federführend mitgewirkt. "Ich war immer für die Fusion der Parteien", sagt sie. Durch die Vereinigung habe man ein größeres Publikum ansprechen können.

"Das sind keine linksradikalen Forderungen" 1998 kam Fritsche nach München, um eine Ausbildung als Buchhalterin zu beginnen. Die Kandidatin wohnt in Schwabing und genießt das südliche Flair auf den Straßen, wie sie sagt. Sie schätzt München, weil es viele politisch aktive Menschen und einen "harten linken Kern" gebe. Ihr Lieblingsort ist der Biergarten am Bavariapark. Allerdings vermisst sie alternative Veranstaltungen. Ihre Lieblingsstadt ist jedenfalls St. Petersburg.

Das wichtigste Thema ihres Wahlkampfs ist die Gleichstellungspolitik. In der Realität seien Frauen und Homosexuelle in der Arbeitswelt benachteiligt. Auch für einen gesetzlichen Mindestlohn und die Aufstockung beziehungsweise Abschaffung von Hartz IV setzt sie sich ein. Mit der Reichensteuer und der Anhebung des Spitzensteuersatzes könne man diese Ziele finanzieren. "Das sind keine linksradikalen Forderungen", meint Fritsche.

Dennoch hat der Marxismus für sie große Bedeutung, wenn auch nur parteiintern. Es habe keinen Sinn, mit diesem Begriff Wahlkampf zu machen, erklärt Fritsche. Die Bevölkerung sei mit der Bedeutung des Begriffs nicht genügend vertraut, um mit ihm zu werben. Auch in der Partei will Fritsche für mehr Gleichberechtigung kämpfen. Ihr Herz schlägt zwar für Gregor Gysi, doch von den beiden Vorsitzenden sollte einer weiblich sein, findet sie.

Lesen Sie auf Seite 2 die 13 Fragen an Nicole Fritsche.

1.Warum haben Sie sich für den Bundestag aufstellen lassen?

Ich bin bereits seit 2002 in der Antikriegsbewegung, Antifaschismus, Gleichstellungspolitik aktiv. Ich arbeite parteiübergreifend in außerparlamentarischen Organisationen und finde Akzeptanz von autonomen Gruppen bis hin zu SPD Landtagsabgeordneten. Politik bedeutet für mich ein Sprachrohr der Menschen auf der Straße zu sein. Heutzutage wird von den meisten Politikern anderer Parteien leider kein Wert mehr auf die Meinung der Menschen in unserem Land gelegt. Politik lebt von Mitbestimmung. Es reicht nicht aus, nur alle 4 Jahr seine Kreuzchen zu machen. Die Zustände in unserem Land erfordern, dass man selbst aktiv wird. Dies war der Grund, warum ich mich für eine Kandidatur entschieden habe.

2. Wenn ich Bundeskanzlerin wäre, würde ich ....

Dies wird leider nicht möglich sein, aber wenn ich Kanzlerin wäre, würde ich mich für eine Quotierung des Deutschen Bundestages einsetzen. Eine große Aufgabe wäre es das Ansehen Deutschlands als Land des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit wieder herzustellen.

3. Wie lange engagieren Sie sich schon in der Politik?

Bereits in meiner Schulzeit war ich schon als Schülersprecherin aktiv und mich an Demonstrationen gegen Faschisten und Rassisten beteiligt. Seit 2002 bin der PDS beigetreten und über die Parteifusion mit der WASG bin ich heute in der Partei DIE LINKE aktiv.

4. Welchen Beruf haben Sie derzeit?

Buchhalterin in einem Metallbetrieb.

5. Welche inhaltlichen Schwerpunkte setzen Sie im Wahlkampf?

Gleichstellungspolitik: 50 Prozent Quotierung in Wirtschaft und im Bundestag. Antifaschismus: Einleitung eines neuen NPD Verbotsverfahrens. Antikriegspolitik: Rückzug der Bundeswehr aus dem Ausland. Bildungspolitik: Gebührenfreie und qualitativ hochwertige Bildung für alle. Kinder- und Jugendpolitik: Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz. Demokratie: mehr Beteiligung der Bevölkerung an Entscheidungen durch Volksabstimmungen.

6. Von welcher Wählerschicht erhoffen Sie sich die meisten Stimmen?

Von allen Bevölkerungsschichten, da unsere Politik für die Mehrheit der Menschen in unserem Land Vorteile bringt.

7. Mein bisher größter Erfolg war ...

Für mich ist es wichtig, möglichst viele Menschen zu erreichen. Deshalb halte ich jede Diskussionsveranstaltung, jede Demonstration und jede Kundgebung für wertvoll. Solange Menschen sich noch Gedanken um Ihre Umwelt und die Politik machen, ist noch Hoffnung auf eine bessere Zukunft vorhanden.

8. Meine bisher größte Niederlage war ...

Gibt es nicht. Jeder Versuch ist wertvoller als Nichtstun.

9. Sind Sie in Online-Communities präsent?

Ja.

10. Ich mag an München ...

In München gibt es viele engagierte Menschen an deren Seite es sich lohnt für eine bessere Welt zu kämpfen. Ich mag das Leben in Schwabing, hier gibt es viele kleine Lokale, wo man mit vielen Menschen aller Nationen in die Diskussion kommen kann. Die Biergartenkultur mit Selbstbedienungsbereichen, wo auch Menschen mit weniger Geld sich noch als Teil der Gesellschaft fühlen können.

11. In welchen Stadtteil wohnen Sie in München?

Maxvorstadt an der Grenze zu Schwabing.

12. Das Oktoberfest finde ich ...

Kein Kommentar.

13. In den kommenden vier Jahren möchte ich für München erreichen ...

In München muss mehr für Integration getan werden. Sozial benachteiligte Kinder müssen eine bessere Bildung und damit bessere Chancen für ihre Zukunft erhalten. Es müssen mehr Spielplätze für Kinder entstehen. Für Kinder und Jugendliche muss es mehr und besser ausgestattete Einrichtungen für die Freizeitgestaltung geben. Kinder und Jugendliche müssen in die Gestaltung mit einbezogen werden. Mit Listenplatz 7 der bayerischen DIE LINKE ist es zwar nicht sehr aussichtsreich, aber ich wünschte, es würde mehr weibliche Bundestagsabgeordnete aus München geben. Ich möchte für München erreichen, dass die Meinungsfreiheit wieder einen besseren Stellenwert einnimmt. Die Courage der Menschen darf nicht durch Einschüchterung und Repression im Keim erstickt werden. Die massiven Polizeiaufgebote und die Einsätze der Bundeswehr im Inneren in München müssen eingestellt werden.

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