Juanes im Zenith:Herzschmerz und Weltpolitik

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Juanes klingt nach Sommer, Sonne und Pauschalurlaub auf Ibiza. Doch der kolumbianische Sänger hat mehr zu bieten: Er ist einer der engagiertesten Musiker weltweit. Ein Hauch von Lateinamerika im Zenith.

Marita Stocker

Die beiden etwa 40-jährigen Damen in der fünften Reihe sind furchtbar aufgeregt. "Jetzt nur nicht durchdrehen", sagt die eine zur anderen und fächelt sich Luft zu, während der Nachbar ganz pragmatisch überlegt: "Eigentlich könnte ich mal wieder einen Spanischkurs machen." Laute "Juanes, Juanes"-Rufe gellen durch die Konzerthalle.

Tanzbar: Juanes im Zenith (Foto: Foto: Marita Stocker)

Das Publikum ist sehr gemischt an diesem Mittwochabend im Zenith. Mütter mit halbwüchsigen Töchtern sind gekommen, gesetzte Paare, Freundinnen, sogar vereinzelt Männergrüppchen. Die Halle ist nur zur Hälfte gefüllt, dennoch ist die Stimmung schon vor Konzertbeginn sehr gelöst. Vereinzelt werden kolumbianischen Fähnchen geschwenkt, viele Südamerikaner sind im Publikum.

Als Juan Esteban Aristizábal Vásquez, alias Juanes, schließlich gegen 21 Uhr die Bühne betritt, gibt es kein Halten mehr. Sehnsüchtig haben sie ihn erwartet, jetzt beginnen die Zuschauer schon bei den ersten Takten im Rhythmus zu wippen und die schönen Frauen in der ersten Reihe schmachten. Und Juanes? Der singt und lächelt und flirtet, was das Zeug hält und wirkt dabei unglaublich zufrieden.

In Metallica-Manier

"De puta madre. It's so fucking cool here", ruft er und grinst schelmisch. Und dann rast der kleine Mann mit der großen Stimme von einem Bühnenende zum anderen und versprüht lateinamerikanische Lebensfreude. Juanes braucht keine spektakuläre Bühnenshow. Eine Leinwand, etwas Licht und sechs schwarzgekleidete Musiker reichen vollkommen, um die Münchner aus der Reserve zu locken.

Manch eine Männerhüfte, die anfangs nur zögerlich zuckte, wiegt sich bald im Takt, wenn Juanes traditionelle kolumbianische Rhythmen mit krachendem Rock vereint. Mal wird es ganz romantisch, dann wieder entlockt er seiner E-Gitarre Soli in bester Metallica-Manier.

Eine Frau, die auf den Schultern ihres Freundes sitzt, wirft ekstatisch die Arme in die Luft. Der so Gebeutelte kann kaum das Gleichgewicht halten. Erste "Iiiiihaa-Rufe" hallen durch das Publikum, man ist entfesselt.

"La vida...es un ratico" heißt die Platte zur aktuellen Tour. Das Leben ist ein Augenblick, also kurz, und will genossen sein. Wenn Juanes seine Klassiker "La camisa negra" oder "A Dios le pido" spielt, mit denen er weltweit Berühmtheit erlangte, bebt das Zenith.

Aber auch die Lieder seines neuen Albums sind allesamt tanzbar. Der zwölffache Grammy-Gewinner ist sich treu geblieben und singt weiterhin auf Spanisch. Mit seinem vierten Soloalbum ist das die weltweit größte Veröffentlichung eines spanischsprachigen Künstlers.

Oft unverstanden

Schade nur, dass hierzulande seine politischen Botschaften so oft unverstanden bleiben. Denn zu sagen hat Juanes Vieles und Wichtiges. In Kolumbien ist der Sänger längst ein Megastar, in Europa feiert man ihn ebenfalls, unterschätzt ihn aber oft. Juanes ist nicht nur singender Don Juan, der die Frauenherzen höher schlagen lässt, und einen Sommerhit nach dem anderen landet.

Seine Texte sind poetisch und politisch. Sie klagen die Missstände in seiner Heimat Kolumbien an, mahnen zur friedlichen Lösung, feiern die Familie und die Liebe. Juanes ist einer der politisch am stärksten engagierten Künstler, erhebt seine Stimme gegen Armut, Korruption und den Guerillakrieg.

Wiederholt hatte er sich für eine Freilassung Ingrid Betancourts ausgesprochen. Nach deren Befreiung aus der Hand der kolumbianischen Farc-Rebellen, trat Juanes am 20. Juli 2008 bei einem "Konzert für die Freiheit" in Paris auf, um gemeinsam mit Betancourt für ein Ende der Guerillagewalt zu plädieren.

Wer Juanes' Texte nicht versteht, kann auch an diesem Abend im Münchner Zenith nur erahnen, dass sich hinter der fröhlichen Musik des kolumbianischen Megastars Ernsthaftes verbirgt. Aber wenn er sich in einer Mischung aus Spanisch und Englisch ans Publikum wendet wird deutlich, dass dem Sänger neben all den wichtigen Themen auch viel an einem ausgelassenen Abend, am gemeinsamen Feiern mit dem Publikum liegt. Das Konzert war nicht ausverkauft, aber so war wenigstens genug Platz zum Tanzen. Und das ist bei Juanes essenziell.

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