Irrtümer über Jugendgewalt:Von wegen immer schlimmer

Fünf populäre Irrtümer über Jugendgewalt, härtere Strafen und die Möglichkeiten, die Täter zu resozialisieren.

Ronen Steinke

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(Foto: Taffertshofer, Birgit)

Fünf populäre Irrtümer über Jugendgewalt, härtere Strafen und die Möglichkeiten, die Täter zu resozialisieren. "Jugendliche Intensivtäter sind heute schwerer von der schiefen Bahn abzubringen als früher." Vergleicht man die jüngste Rückfallstatistik des Bundesjustizministeriums mit der vorherigen Erhebung aus dem Jahr 1994, dann kann man eher aufatmen. Die Lage hat sich aufgehellt, zumindest leicht: Von den jungen Männern und (wenigen) Frauen, die heute aus Jugendgefängnissen entlassen werden, schaffen es ein Drittel mehr als noch im Jahr 1994, gesetzestreu zu bleiben. Und die Übrigen, die doch wieder eine Straftat begehen, schlagen nicht mehr so oft so hart zu, dass sie erneut in Haft müssen.

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(Foto: AP)

"Die Jugendgewalt in München nimmt zu." Die Polizei beobachtet das Gegenteil. Bei Gewalttaten in der Landeshauptstadt ist der Anteil der jugendlichen Tatverdächtigen im vergangenen Jahrzehnt um rund 20 Prozent gesunken, heißt es im jüngsten Sicherheitsreport des Polizeipräsidiums München. Auch die Gesamtzahl der Gewalttaten ist danach zurückgegangen. Stimmen die Zahlen wirklich? Weil die Polizei nur Gewalttaten zählen kann, die bei der Polizei angezeigt wurden, haben Forscher des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen den Befund überprüft. Mehrmals verteilten sie in München anonyme Fragebögen unter Neuntklässlern, zuletzt im Jahr 2008. Die Forscher wollten wissen: Hast Du im vergangenen Jahr jemandem Gewalt angetan? Und umgekehrt: Bist Du im vergangenen Jahr Opfer von Gewalt geworden? Die Antworten zeigten, dass die Gewalt in weiten Teilen tatsächlich zurückgegangen ist. Nur an Hauptschulen ist sie in München zuletzt leicht gestiegen.

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(Foto: ddp)

"Bei Jugendlichen, die jahrelang durch Gewalt auffallen, ist nicht mehr auf eine Umkehr zu hoffen." Selbst bei Intensivtätern, die in jungen Jahren massive Gewalttaten verüben und davon lange nicht abzubringen sind, geht diese Phase fast immer vorüber. Und zwar, im statistischen Mittel betrachtet, mit dem 33. Geburtstag, wie eine Studie aus dem Jahr 2007 ergeben hat. Allgemein, so erklärt der Kriminologe Johannes Kaspar von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), werde beobachtet, dass die Neigung zu Straftaten im jugendlichen Alter sprunghaft ansteige und schnell ihren Höhepunkt erreiche. Bei Mädchen geschehe dies etwas früher, mit 16 Jahren, bei Jungen etwas später, mit 18 bis 20 Jahren. Dann sinkt die Kurve aber deutlich und kontinuierlich im Laufe des Erwachsenwerdens", sagt der Forscher. "Selbst jugendliche Intensivtäter, die mehrfach und schwer rückfällig geworden sind, brechen ihre Gewaltkarrieren mehrheitlich ab. Das kommt in der allgemeinen Diskussion leider etwas zu kurz." Das bayerische Landeskriminalamt beobachtet dasselbe, wie der dortige Leiter der kriminologischen Forschungsgruppe, Johannes Luff, sagt. Er fügt aber hinzu, dass es natürlich auch Ausnahmen von dieser statistischen Regel gebe.

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(Foto: ddp)

"Eine Bestrafung im Jugendgefängnis macht mehr Eindruck auf einen Jugendlichen als mildere Strafen." Wirft man einen Blick in die Statistik, dann sieht es so aus, als sei das Gegenteil der Fall. Die vom Bundesjustizministerium im Jahr 2010 herausgegebenen Rückfallzahlen zeigen: Je härter ein Jugendlicher bestraft wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er nachher wieder straffällig wird. 66 Prozent der Jugendlichen, die eine Jugendstrafe hinter Gittern absitzen, werden danach wieder kriminell. Bei den Jugendlichen hingegen, die nur zu Sozialstunden verurteilt wurden, sind es knappe 40 Prozent. Heißt das also, dass die Skeptiker recht behalten, die sagen, dass es kaum etwas Desozialisierenderes als eine Bestrafung hinter Gittern gibt? Diese Schlussfolgerung wäre nun auch wieder zu schlicht, schränkt der LMU-Kriminologe Johannes Kaspar ein. Denn ins Gefängnis werden von vornherein nur die schwierigeren Jugendlichen geschickt. Dennoch sagt der Kriminologe, dass die Rückfallstatistik mahne, vom simplen Ruf nach härteren Strafen Abstand zu halten. "Dass diese kein Allheilmittel der Rückfall-Verhinderung sind, muss man sich vor diesem Hintergrund klarmachen."

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(Foto: ddp)

"Gewalttäter lassen sich schwerer resozialisieren als andere Kriminelle." Viel hartnäckiger als Vergewaltiger, Totschläger oder Körperverletzer bleiben - statistisch gesehen - Diebe und Räuber bei ihrer kriminellen Gewohnheit. Johannes Luff, der die kriminologische Forschungsgruppe der bayerischen Polizei in München leitet, erläutert das unter anderem damit, dass zum Beispiel "Tötungsdelikte zum weit überwiegenden Teil Beziehungstaten" sind, "die sich in einer oftmals emotional belasteten Atmosphäre ereignen. Eine Wiederholung einer solch spezifischen Situation ist eher unwahrscheinlich." Bei Eigentumsdelikten ist das anders. Die materielle Not, in der ein Mensch sich entschließt zu stehlen, dauert oft länger an.

© SZ vom 10.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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