Irakwahl im Radstadion:"Die Demokratie wird siegen"

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Mehr als 8000 Iraker geben im Radstadion unter strengen Sicherheitsvorkehrungen ihre Stimmen ab - es ist die erste freie Wahl ihres Lebens. Die Wahl findet in insgesamt 14 Ländern statt.

Von Birgit Lutz-Temsch

Woria M. hat sich eine kurdische Flagge um die Schultern geschlungen, die leicht im Wind flattert. Mit Freunden aus seiner nordirakischen Heimatstadt Kerkuk steht der junge Kurde vor dem ehemaligen Radstadion, sie unterhalten sich über die erste freie Wahl, an der sie in ihrem Leben teilgenommen haben - Woria ist einer von mehr als 8000 Irakern, die sich in München in die Wählerlisten eingetragen haben.

111 Möglichkeiten sind auf diesem Formular aufgelistet - früher war es nur eine. (Foto: Foto: AP)

Seit Freitagmorgen kommen Wähler aus Bayern, Baden-Württemberg, aus Österreich, der Schweiz und Tschechien in den Olympiapark, um dort ihre Stimme abzugeben. Wählen darf jeder, der im Irak geboren wurde und 18 Jahre alt ist, selbst wenn er mittlerweile eine andere Staatsangehörigkeit angenommen hat.

Taschen im Durchleuchtungsgerät

Langsam aber stetig legen am Freitagmittag Männer, Frauen mit und ohne Kopftüchern und ganze Familien ihre Taschen und Jacken auf das Förderband der Durchleuchtungsgeräte am Eingang - die Sicherheitsvorkehrungen sind streng. Der Hauptansturm wird erst für das Wochenende erwartet.

Schon zum zweiten Mal in den vergangenen zwei Wochen haben die Wähler zum Teil bis aus Wien den Weg in die Event-Arena angetreten - vor der Stimmabgabe mussten sie sich registrieren lassen. Das Procedere ist so kompliziert, weil die Wahl in insgesamt 14 Ländern stattfindet.

"Der organisatorische Ablauf soll zum einen einheitlich sein, zum anderen muss den jeweiligen Bestimmungen der unterschiedlichen Länder Rechnung getragen werden", sagt ein Mitarbeiter der International Organization for Migration, dessen Name aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden soll.

Weil es andernorts zum Beispiel keine generelle Meldepflicht gibt, müssen die Wähler auch in München zwei Dokumente mitbringen, die belegen, dass sie hier leben. Für eine Briefwahl, die die langen Wege überflüssig machen würde, gibt es die nötige Infrastruktur noch nicht.

Ein Exiliraker gibt seine Stimme in einem der Münchner Wahlbüros ab. (Foto: Foto: AP)

111 Möglichkeiten - früher gab es eine

Elf Wahllokale haben die Organisatoren im Stadion eingerichtet. Nach der ausführlichen Sicherheitskontrolle zeigen die Wähler ihre Registration und ihre Papiere vor, ein Mitarbeiter erklärt ihnen, wie das Wahlformular aussieht, auf dem unbedingt ein Häkchen, kein Kreuz zu machen ist - ein für die Iraker ungewohntes Formular, auf dem nun 111 Möglichkeiten aufgelistet sind.

Während der Zeit Saddam Husseins gab es nur eine. Und dann muss der Wähler seinen rechten Zeigefinger tief in ein Tintenfass tauchen. Damit er seine Stimme kein zweites Mal mehr abgeben kann. In den Wahlkabinen hängt noch einmal ein riesiges Schild, wie das Häkchen auszusehen hat, Erklärungen auf Kurdisch und Arabisch daneben. Wenn Analphabeten kommen, hilft ihnen der Wahlvorsteher.

Einer der Wahlhelfer denkt an seine Kollegen im Irak, die ihre Arbeit unter Lebensgefahr verrichten. "Daran sieht man, wie wichtig diese Wahl ist", sagt er, "die Menschen riskieren ihr Leben dafür. Und die Demokratie wird siegen."

Woria hat seine Freunde aus Kerkuk wegen der Wahl zum ersten Mal seit zwei Jahren wiedergesehen. Er lebt in München, die anderen über ganz Bayern verstreut. Angst, hier ihre Stimme abzugeben, haben sie nicht. "Deutschland ist doch sicher, hier ist es nicht wie im Irak, hier gibt es Polizei und Behörden, da kann nichts passieren", sagt Najad M. So oder ähnlich denken die meisten, die ihre Stimme abgeben.

"Bei Saddam konnten wir nur Ja oder Nein sagen. Und alle sagten Ja, denn ein Nein, das war viel zu teuer", sagt Hussein K. "Ich bin wirklich glücklich heute", fügt er hinzu. Und dass er Heimweh hat, denn seine Familie ist in Bagdad geblieben. "Der Baum war schon erwachsen, als ich nach Deutschland kam", sagt er, "und reif, das ist gar nicht leicht, sich hier nochmal einzupflanzen."

Hier sind alle gleich

Wenn das Leben dort endlich wieder sicher wäre, würde er gern wieder nach Bagdad zurückkehren. Das Ehepaar Imad und May M. ist mit dem kleinen Sohn Meer, der in Deutschland geboren wurde, zur Wahl gekommen. "Wenn du in Deutschland lebst, lernst du die Demokratie lieben", sagt Imad, und seine Frau fügt hinzu: "Hier sind alle gleich - so soll es im Irak auch sein, egal ob Kurden, Sunniten oder Schiiten."

Draußen vor der Halle stapfen die 60 Polizisten, die für die Sicherung des Bereichs rund um das Stadion eingeteilt sind, durch den Schnee. Ruhig sei der Beginn der Wahlen verlaufen, sagt Polizeisprecher Dieter Gröbner, besondere Vorkommnisse habe es keine gegeben. Die Flagge auf Worias Schultern weht im kalten Münchner Wind.

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