Interview:Von der Liebhaberei

Lesezeit: 3 min

Welche Chance hat Jazz, im Download-Zeitalter zu überstehen, und wie steht es um das geistige Eigentum? Ein Interview mit Siegfried Loch über Leben und Sterben der Musikindustrie.

Ralf Dombrowski

Siegfried Loch (66) hat Musiker wie Klaus Doldinger, Katja Epstein oder Marius Müller-Westernhagen entdeckt, lange Jahre die Geschicke der Musikfirma Wea in Europa bestimmt, und hatte doch immer den Traum, unabhängig Jazzplatten zu produzieren. Vor 15 Jahren gründete er sein Label Act Music & Vision, das inzwischen mit rund 200 Alben zu den wichtigsten unabhängigen Labels seiner Sparte gehört.

Verschmitzt: Siegfried Loch. (Foto: Foto: Act)

SZ: Warum der ganze Wahnsinn?

Loch: Das Jazzlabel Act ist ein Jugendtraum von mir. Seit ich erkannt habe, dass ich als Musiker mangels Talent sicher keine Karriere machen werde, wollte ich Jazzproduzent werden und auch ein eigenes Label haben. Es hat nicht lange gedauert, bis ich mit Klaus Doldinger meine erste Produktion machen konnte, im Dezember 1962. Aber es brauchte weitere drei Jahrzehnte, bis ich endlich ins Studio gehen konnte, um für mein eigenes Label die erste Platte, ,,Jazzpaña'' mit Vince Mendoza, zu produzieren.

SZ: Was hat es eigentlich mit dem Mädchen mit dem Hut auf sich, das man auf vielen Ihrer CDs sieht?

Loch: Das Mädchen heißt Holly Freeman, ein Bild stammt aus dem Jahr 1969. Mit den Werken ihres Vaters Bob Freeman, der als Hausfotograf der Beatles berühmt wurde, aber eigentlich vom Jazz kommt, habe ich in den Hamburger Deichtorhallen eine Retrospektive ausgerichtet. Als er dann meinte, ich dürfe mir ein Foto als Geschenk aussuchen, habe ich zu seiner Überraschung das Foto von Holly gewählt, weil es eine besondere Magie hat. Wir durften es mit seinem Segen auch für das Label verwenden, und so ist es zu etwas wie einem zweiten Logo geworden.

SZ: Wie kann man mit einer Musik, die nur etwa zwei Prozent des Branchenumsatzes macht, als Firma überleben?

Loch: Jazz war immer schon ein Objekt der Liebhaberei, weniger für die Musiker, als vor allem für die Labels, Veranstalter, Journalisten. In der Mehrheit sind das Leute, die aus Leidenschaft agieren. Bei mir koppelt sich diese Leidenschaft mit 40 Jahren Erfahrung, von der Pike auf gelernt. Ich habe als Vertreter angefangen und nie vergessen, wie schwierig es ist, eine Schallplatte einem Händler zu verkaufen, der sie ja erst an die Kunden weitergibt. Und dieses Wissen ist grundlegend. Schallplatten werden gemacht, um verkauft zu werden, also muss man auch immer unter diesem Aspekt an die Sache herangehen.

SZ: Wie also macht man es besser?

Loch: Es gibt eine Weisheit unter Kaufleuten: Der Gewinn entsteht beim Einkaufen. Wenn ich also nicht am Anfang der Entwicklung die richtigen Künstler einkaufe, dann kann ich machen, was ich will, und es wird nichts. Da kommt das Gespür hinzu. Man kann es nicht rationell begründen, warum man beispielsweise Esbjörn Svensson für ein großes Talent hält, der zwar in Schweden Erfolg hatte, aber außerhalb des Landes gänzlich unbekannt war. Das Gleiche gilt auch für Nils Landgren. Alle Fachleute haben mich gefragt, ob ich denn wirklich meine, dass die Welt auf einen blauäugigen Schweden warte, der ihr Funk verkauft, diese uramerikanische, schwarze Musik. Es hat mich nicht davon abgehalten, seine Sachen trotzdem zu veröffentlichen, weil ich ihn für einen großen Künstler halte.

SZ: Was muss ein Künstler können?

Loch: Es geht es nicht nur um die Musik, sondern auch darum, wie sich der Künstler zu dem Publikum verhält. Wie ernsthaft ist es ihm, sich zu vermitteln? Wie glaubhaft ist er, ist er originell? Das sind die Grundlagen. Man darf Musik nicht nur aufgrund der Musik beurteilen. Mindestens die Hälfte des Erfolges ist abhängig von der Persönlichkeit eines Künstlers. Sie muss natürlich mit guter Musik gekoppelt sein, aber sie bildet den Impuls, dass jemand eine CD kauft, und das, obwohl er sie kostenlos irgendwo illegal herunterladen könnte.

SZ: Sehen Sie dieses Talent auch bei deutschen Künstlern?

Loch: Absolut! Und ich lege großen Wert darauf, bei den deutschen Künstlern die gleichen Maßstäbe wie bei den internationalen anzulegen. Leute wie Michael Wollny oder Matthias Schriefl sind Musiker, bei denen ich mir sicher bin, dass sie eines Tages einen ähnlichen Stellenwert im deutschen Jazz haben werden wie ein Joachim Kühn oder Albert Mangelsdorff.

SZ: Welche Chance hat der Jazz, im Download-Zeitalter zu bestehen?

Loch: Musiker, die von ihrer Musik leben wollen, brauchen ein Publikum, das bereit ist, dafür zu zahlen. Wenn ich die Idee suggeriere, dass Musik an sich frei zu haben, also das erste wirklich sozialistische Produkt ist, wird man keine Existenzen darauf aufbauen können.

SZ: Also kommen dunkle Zeiten?

Loch: Die Leute, die meinen, dass diese Entwicklung ein Segen für die unabhängigen Firmen sei, die sind, tut mit leid, Schwachköpfe. Mit dem Wegfall der Infrastruktur für den Tonträgerhandel sind die ersten, die ins Gras beißen, die Indepedents. Ich habe mich inzwischen aus der Verantwortung der Funktionäre verabschiedet. Ich mache seit 15 Jahren mein Label, und ich werde es auch noch, so lange es geht, weiterbetreiben. Und ich denke, dass es zu meinen Lebzeiten genug Käufer geben wird, die diese Musik auch kaufen. Aber was danach kommt, weiß ich nicht.

Für mich steht fest: Wenn nicht die Rechtslage zum Schutz des geistigen Eigentums massiv verbessert wird und darüber hinaus das geistige Eigentum verantwortlich als wichtiges Erbe unserer Kultur vermittelt und in den Köpfen der Menschen wieder verankert wird, dann wird es die herkömmliche Musikindustrie bald nicht mehr geben.

© SZ v. 3.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: