Interview:Sean Paul über Liebe, Sex und Ausbeutung

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Sean Paul schwamm wie seine Eltern in der jamaikanischen Schwimm-Nationalmannschaft, bevor er seine wahre Berufung entdeckte: die Musik der Dancehalls. Seitdem gehört der gut aussehende Deejay aus Uptown Kingston zu den Senkrechtstartern seines Genres.

Von Jonathan Fischer

Sein Album "Dutty Rock" bescherte dem jamaikanischen Rapper und Sänger im vergangenen Sommer den Durchbruch in die Popcharts. Heute will Sean Paul das Zenith in eine Dancehall verwandeln.

Dancehall-Star Sean Paul (Foto: Foto:)

SZ: Sie wurden vor einem Jahr als erster Dancehall-Musiker von Atlantic Records unter Vertrag genommen und haben genuin jamaikanische Musik im Westen hoffähig gemacht.

Paul: Dancehall ist für lange Zeit so ein Untergrund-Phänomen gewesen, dass das noch einige Zeit dauern wird.

SZ: Trotz Ihrer Welthits wie "Gimme The Light", "Get Busy" oder "I'm Still In Love With You"?

Paul: Manche Dancehall-Musiker haben einem internationalen Publikum zuliebe ihre eigene Musik mit Hip-Hop und Pop verwässert. Ich spiele im Ausland die selben Songs wie daheim in Kingston. Mein Erfolgsrezept liegt eher in den melodiösen Refrains.

SZ: Ihr Kollege Supercat hat einmal die Dancehall "die Kirche Jamaikas" genannt.

Paul: Da hat er Recht - außer, dass die Dancehall sechs Tage die Woche Gottesdienst feiert. Aber eine Predigt wird auch dort geboten: Der Selector des Soundsystems kündigt am Mikrophon die Musik an, erzählt oft eine Geschichte zu einem Song, bevor er ihn spielt. Meist geht es darum, richtig zu leben und Jah zu preisen. Manche Botschaften allerdings haben nur den Zweck, die Tänzer aufzuputschen.

SZ: "Jamaica land of weed and water, motorvehicle and manslaughter" - trifft diese Zeile aus einem alten Dancehall-Hit immer noch zu?

Paul: Ich bin in Uptown, einer Mittelklasse-Gegend Kingstons, aufgewachsen, deshalb habe ich den alltäglichen Mord und Totschlag in meiner Stadt nur vom Hörensagen mitbekommen. Wobei ich mit Gangsta-Posen sowieso nichts am Hut habe: Ich sehe mich viel mehr als einen, der den Menschen mit seinen Songs Mut zum Weiterleben macht.

Viele Ghetto-Bewohner haben kaum eine Wahl, als den Druglords zu gehorchen oder selber zu Drogenhändlern zu werden. Jamaikas Wirtschaft liegt am Boden - erst recht angesichts der aktuellen Kriege rund um die Welt. Musik kann uns da nur helfen, wenn sie sich vom Negativen löst! Deshalb singe ich zwar über Liebe und Sex, enthalte ich mich aber jeglicher Flüche und Vulgaritäten.

SZ: Wie gehen Sie mit der Gewaltverherrlichung im Dancehall um?

Paul: Seit ich mich erinnere, herrscht in Kingston ein mehr oder minder offener Bürgerkrieg. Menschen wurden in meiner Heimat seit Jahrzehnten bewaffnet, um für die verschiedenen politischen Parteien zu kämpfen, das Land gleicht einer Räuberhöhle. Ein Großteil der Bevölkerung ist von dieser Kultur der Gewalt in Mitleidenschaft gezogen, und das zeigt sich auch in der Musik.

Viele Menschen im Westen verstehen diesen Hintergrund nicht: Aber selbst Rasta-Deejays singen bei uns von Gewehren. Das ist ein Teil unserer Gesellschaft, jeder kennt das, sogar die Kinder wachsen in dem Wissen auf, dass ein Gewehr dir Geld und Einfluss verschafft, es die Leute zur Wahl treibt, das Land regiert. Dancehall reflektiert da lediglich eine kollektive Erfahrung. Eine Erfahrung, die letztendlich zum Widerstand führen muss. Wer will schon "Baby, baby, I love you" hören, wenn er ausgebeutet wird und nichts zu essen hat?

SZ: Wo ist der Widerstand in Ihrer Musik?

Paul: Ich habe früher nur sozialkritische Lyrics geschrieben. Als ich damit das erste Mal ins Studio kam, haben mich die Produzenten ausgelacht: Warum ich über Ausbeutung sänge? Wo ich doch aus der privilegierten Schicht käme? Erst als ich mich den Girls-Songs zuwandte, erntete ich die ersten Hits.

Aber da gibt es immer noch eine andere Seite in mir. Gerade habe ich ein Lied geschrieben (singt): "I want to see a day, when the color of your skin and the origin of your kin don't matter..." Rassen- und Klassenvorurteile sind in Jamaika unterschwellig immer noch gang und gäbe. Das musste ich einmal aussprechen. Ich bin ein sehr bewusster Mensch, und durch solche Verse bewahre ich mir meine psychische Gesundheit. Müsste ich den ganzen Tag nur Partymusik machen, würde ich Depressionen bekommen.

SZ: Beruht Ihr Erfolg nicht gerade auf Ihrem Ruf als Ladykiller?

Paul: Ja, wenn ich feiere, schlürfe ich meinen Moet, rauche Gras, schaue mir die Damen an und nehme einige von ihnen mit auf mein Hotelzimmer. Ich genieße diesen Teil meines Lebens. Aber jetzt bin ich 31 Jahre alt und sehe auch das große Ganze.

SZ: Auch, dass die Produzenten Ihnen weiterhin nur Partymusik zutrauen?

Paul: Mit dem Erfolg im Rücken bin ich jetzt unabhängiger. Auf dem nächsten Album werden viele Hörer ein ganz anderes Bild von mir bekommen.

SZ: Nachwachsende Deejays wie Anthony B oder Sizzla bringen wieder Rastafari-Gedankengut in die Dancehall ein. Was bedeutet es, wenn Sie von Jah reden?

Paul: Jeder Jamaikaner, ob arm oder reich, hat Rastafari in seiner Psyche. Wir haben seit Bob Marley so viel Rasta-Texte gehört, da macht man sich zwangsläufig Gedanken darüber. Persönlich habe ich mich noch für keine Religion entschieden. Aber wenn ich auf der Bühne Jahs Name rufe und das Publikum mit einem "Rastafari" antwortet, bewegt mich das mehr als jede Hi-Ho-Animation.

© SZ vom 24.06.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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