Interview mit Schulpsychologe Tölle:Wieso haben Schüler Angst vor Referaten?

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Weil ein zehnjähriger Schüler Angst vor einem Referat hatte, ging er nicht in die Schule, sondern versteckte sich im Perlacher Forst. Hans-Jürgen Tölle, Leiter des schulpsychologischen Dienstes der Stadt, kennt das Phänomen.

Anna Pataczek

SZ: Ist die Geschichte des zehnjährigen Buben ein Einzelfall?

Auf dem Weg in die Schule. (Foto: Foto: ddp)

Tölle: Nein, erst heute wieder hatte meine Kollegin einen Schüler, der ein Referat vorbereitet hatte und dann die Schule geschwänzt hat.

SZ: Vor was haben die Schüler denn Angst?

Tölle: Dass andere kichern und nicht zuhören. Vor der Klasse zu stehen, haben die meisten nicht gelernt, geschweige denn Techniken der Präsentation. Sie werden ins kalte Wasser geworfen. Das sind vor allem soziale Ängste.

SZ: Dann ist das ja ein Problem der Schüler untereinander.

Tölle: Referate zu vergeben, kommt den Lehrern natürlich entgegen, gleichzeitig gelten sie so als modern. Der alte Frontalunterricht hatte auch sein Gutes. Er schafft Beziehung und Vertrauen zum Lehrer. Gerade in der Unterrichtsform des Gymnasiums, in der Schüler jedes Jahr neue Fachlehrer bekommen, gibt es keine Vertrauensbasis.

SZ: Am 27. Juli ist Zeugnisvergabe. Jedes Jahr hört man aufs Neue die Aufrufe, sich an eine der zahlreichen Beratungstellen zu wenden. Warum ändert sich nichts am bekannten Problem Schulangst?

Tölle: Überall wird heute soziale Kompetenz gefordert. Es ist ein gesellschaftliches Phänomen, dass solche neuen Unterrichtsformen forciert werden, bei denen auf ein schüleraktivierendes Verhalten gesetzt wird. Aber um diese Formen zu erlernen, müssen die Rahmenbedingungen stimmen.

SZ: Wird Hilfe von außen denn überhaupt angenommen?

Tölle: Die Schüler wissen ja meist jetzt schon, dass sie die Klasse nicht schaffen werden. Wir haben viel zu tun.

SZ: Inwieweit können Sie betroffenen Schülern helfen? Wie stehen die Erfolgschancen?

Tölle: Statistiken gibt es nicht. Meist ist bereits ein erstes Gespräch zwischen Eltern und Kindern für die Schüler sehr entlastend. Viele sitzen zu Hause am Schreibtisch und sind blockiert, weil sie nicht wissen, wo sie anfangen sollen beim Lernen.

Und Eltern sind beruhigt, weil sie glauben, ihr Kind sitzt den ganzen Nachmittag am Schreibtisch. Überhaupt einmal zugeben, dass man ein Problem hat, ist der erste Schritt. Wir bieten auch Trainings an, in denen wir zum Beispiel Prüfungssituationen mit den Schülern durchspielen.

© SZ vom 4.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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