Interview mit Doris Dörrie:Essen als politischer Akt

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"How to Cook Your Life". Doris Dörrie spricht über ihren neuen Film, Weisheiten im Teigmantel - und über das mächtige Interesse daran, dass wir alle nicht mehr gemeinsam essen.

Susanne Hermanski

Küchenweisheiten sind das im wahrsten Sinne, die Edward Espe Brown, Zen-Priester aus Fairfax, Kalifornien, vermittelt: "Wenn du die Suppe umrührst, rühr' die Suppe um." Doris Dörrie hat Brown zu seinen tiefgründigen Kochseminaren begleitet: Er lacht verschmitzt, wenn er seinen wissenshungrigen Schülern zeigt, wie man den perfekten Teig knetet.

Derlei Bilder hat sie in ihrem dokumentarischen Porträt How to Cook Your Life mit anderen Impressionen versetzt: dem Interview mit einer Alt-Hippie-Lady, die sich von dem ernährt, was die Feigenbäume aus Nachbars Garten so über den Zaun hängen lassen; der Stippvisite im Fast-Food-Laden; historischen Aufnahmen von Browns Meister Suzuki Roshi. Entstanden ist dabei ein liebevoll-leidenschaftliches Plädoyer für das Bewusstsein für den Zusammenhang zwischen Essen und Sein. Mit Doris Dörrie sprach Susanne Hermanski - zur Mittagszeit.

SZ: Ed Browns Weisheiten sind simpel und auch im Allgemeingut des Westens zu finden: Man ist, was man isst. Was mit Liebe gemacht ist, schmeckt besser. Brauchen wir seine Nachhilfe denn?

Dörrie: Sicher, denn der Großteil der Menschen hat einfach vergessen, wie man mit Speisen umgehen muss, damit ihnen die Ehre zuteil wird, die ihnen gebührt. Denn wer achtsam sein Essen zubereitet, achtet sich selbst. Und bekommt dafür Kontakt mit der Erde, mit dem eigenen Leben, mit den Mitmenschen. Das fehlt uns immer mehr.

SZ: Aber spaltet sich die Gesellschaft nicht längst auf? In Leute, die 300 Kochbücher besitzen, regelmäßig acht Gänge für 20 Gäste kochen und den anderen Teil. . .

Dörrie: Den größten.

SZ:. . .der sich von Fertigfraß ernährt?

Dörrie: Leider! Wir sind die Dicksten Europas, wie wir jetzt wissen.

SZ: Müsste es nicht ein mächtiges Interesse geben, das zu ändern?

Dörrie: Zusammensitzen und gemeinsam essen bringt keinen Mehrwert im Sinne des Marktes. Das ist ja auch der Grund, warum wir keine Mittagspausen mehr machen, und jetzt sogar die armen Spanier ihre Siesta aufgeben müssen.

SZ: Essen ist also ein politischer Akt?

Dörrie: Darum geht es in dem Film auch: Man muss sich seine Autonomie übers Essen zurückholen. Wir drohen, die elementarste Grundlage des Zusammenlebens zu verlieren. Es gibt nicht Atavistischeres, als am Lagerfeuer zu sitzen und sich Geschichten zu erzählen. Früher hat man noch gesagt, der Fernseher sei heute dieses Lagerfeuer - stimmt auch nicht mehr. Jeder sitzt heutzutage alleine davor.

SZ: Und isst nebenher?

Dörrie: Das schlimmste daran ist, dass der Mensch so schleichend seinen Selbstwert verliert. Was ist los, wenn uns wurst ist, was unsere Kinder in sich hineinstopfen? Wenn Mädchen magersüchtiger Models als normal empfinden? Das als Gesellschaft zuzulassen, finde ich sehr bösartig.

SZ: Und Ed Brown schärft den Blick für andere Arten von Schönheit - die von Teekesseln zum Beispiel?

Dörrie: Die Szene ist mir besonders wichtig. Anhand der Teekessel, die Beulen haben, redet er über Makel und Schwächen. Alles was wir derzeit versuchen, ist, den Anschein einer perfekten Oberfläche zu wahren. Aber je mehr wir uns um Makellosigkeit bemühen, umso größer wird unsere Angst vor den Schwächen. Stärke ist aber, zu sagen: Wir sind halt zerbeult - aber wir können trotzdem noch Wasser kochen für Tee.

SZ: Aber selbst jemand wie Edward Brown muss bei diesen Worten weinen.

Dörrie: Es heißt ja auch nicht, dass es nicht mehr weh tut, diese Beulen abzubekommen.

© SZ Extra vom 10.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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