Interview mit Chris Jagger:Der Blues beim Aufräumen

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Eigentlich hat es Chris Jagger nicht nötig, sich immer nur als "kleiner Bruder von Mick Jagger" bezeichnen zu lassen. Seit mehr als 30 Jahren macht der 57-jährige Sänger und Gitarrist selbst erfolgreich Musik: eine erdige Stilmischung aus Bluesrock, Cajun und Zydeco.

Von Jochen Temsch

Aber während Superstar Mick Jagger mit den Rolling Stones die größten Arenen der Welt füllt, tritt Chris mit zwei Begleitmusikern in kleinen Clubs vor hundert Zuschauern auf. Am Samstag spielt Chris Jagger in der Peppermint Lounge (Wasserburger Landstraße 108, 21 Uhr).

Chris Jagger (Foto: Foto: AP)

SZ: Hallo, Herr Jagger.

Jagger: Ich habe ganz vergessen, dass Sie anrufen. Meine Frau war eine Woche weg. Gerade räume ich das Haus auf.

SZ: Wahrscheinlich ein großes Haus?

Jagger: Nein, aber man vernachlässigt alleine einfach viele Dinge, die Frauen für wichtig halten.

SZ: Waren Sie schon mal in München?

Jagger: Mehrmals, und ich bin sicher, dort auch schon aufgetreten zu sein - aber ich kann mich nicht erinnern, wo. Überhaupt wird es immer schwieriger, in Großstädten zu spielen.

SZ: Wieso?

Jagger: All die dunklen, stinkigen Orte, wo es früher Rock'n'Roll gab, sterben aus. Wir finden unser Publikum heute eher in Kleinstädten und Dörfern. Zum Beispiel bin ich viel im Gebiet der ehemaligen DDR unterwegs. C'est la vie...da fällt mir doch noch eine Geschichte zu München ein.

SZ: Nämlich?

Jagger: Ich war dabei, als die Stones Mitte der Siebziger ihr Album "Black and Blue" in München aufnahmen. Auf der Straße starrten uns die Leute an, als kämen wir vom Mars. Wahrscheinlich waren die noch stramm rechts. Wir gingen ins Hofbräuhaus, und Charlie Watts bestellte eine Tasse Kaffee. Wir waren ein bisschen stoned oder sowas.

SZ: Sie arbeiten immer noch hin und wieder mit ihrem Bruder zusammen. Warum gingen Sie musikalisch überhaupt einen anderen Weg als er?

Jagger: Unsere Musik ist gar nicht so unterschiedlich. Die musikalische Basis der Stones ist ja auch der alte Blues. Eine große Ausbildung hatten wir beide nicht. Als Musiker brauchst du keine Qualifikation, sondern ein Publikum.

SZ: Mick füllt Arenen mit weit größerem Publikum. Sind Sie neidisch?

Jagger: Nein, für mich wäre es ein Albtraum. Die Zuschauer sind meilenweit weg. Es ist, als wärst du alleine auf der Bühne. Und es gibt viel Druck auf meinen Bruder, körperlich, auf seine Stimme. Er hat höllisch viel Verantwortung.

SZ: Hört sich nicht so an, als würden Sie mit ihm tauschen wollen.

Jagger: Jeder hat sein eigenes Leben. Meines ist häuslich und glücklich, mit Enkeln und alledem. Aber ich bin dankbar für das Privileg, Musik machen zu dürfen. Mein Vater arbeitete sehr hart als Lehrer. Es ist doch verrückt, dass jemand, der Gitarre spielt, so viel mehr verdient als einer, der Kinder erzieht. Ich gehöre allerdings nicht zu den Reichen. Ich mache ungefähr so viel Geld wie ein Hilfs-Klempner.

SZ: Wollten Sie nie leben wie ein Star?

Jagger: Nein, Materialismus nervt mich. Aber natürlich hätte es Vorteile. Man muss nicht mehr abwaschen. Andererseits machen diese banalen Dinge doch die Persönlichkeit aus, oder nicht? Welche Art Realität hat man am Ende, wenn man nie aufräumen musste? Als ich 18 war, hing ich mit John Lennon und Paul McCartney herum. Ich erfuhr sehr früh, dass diese Art von Leben so gefährlich wie attraktiv ist. Es gibt viele Versuchungen, beängstigend viele Künstler werden daran verrückt. Es ist wie mit der Motte und der Flamme.

SZ: Was schützte Sie vor dem Verbrennen?

Jagger: Mick und mir half, dass wir phantastische Eltern hatten, die uns ein stabiles familiäres Fundament gaben. Ansonsten würdest du es vielleicht eines Tages glauben, wenn alle Leute sagen, du seist Gott.

SZ: Räumt Mick seine Häuser auf?

Jagger: Warum nicht, wahrscheinlich schon. Aber er muss es nicht tun. Manchmal, wenn ich Fenster putze, bin ich dann doch ein bisschen neidisch auf ihn.

© SZ vom 17. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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