Interview:"Die Leichen bekomme ich nicht aus dem Kopf"

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Der Münchner Rechtsmediziner Oliver Peschel über die schwierige Aufgabe, die Toten der Flutkatastrophe zu identifizieren.

Interview: Sibylle Steinkohl

Oliver Peschel hatte schon Einsätze in Bosnien, im Kosovo und in Kaprun. Kurz nach der Flutkatastrophe war er im Auftrag des Bundeskriminalamts für zweieinhalb Wochen in Thailand.

250.000 Euro will die Stadt für den Wiederaufbau von Batticaloa in Sri Lanka bereit stellen, knapp 240.000 Euro haben die Münchner für das von Bürgermeister Hep Monatzeder initiierte Projekt bereits gespendet. Der Stadtrat entscheidet nächste Woche über den Vorschlag, die Hilfe auf die Provinzhauptstadt zu konzentrieren, da dorthin bereits gute Kontakte bestehen. Die verheerende Flutwelle hat den Ort weitgehend zerstört. Mehr als 1500 Menschen wurden getötet, 500 sind vermisst. Mehr als die Hälfte der rund 80000 Einwohner leben nun in Zelten und Lagern. Das Geld aus München soll für den Wiederaufbau der Infrastruktur verwendet werden. Informationen und Spendenkonten: www.hilfe- fuer-batti.muenchen.de. (Foto: Foto: AP)

SZ: Sie sind oft mit schecklichen Szenarien und dem Tod konfrontiert. Wie ordnen Sie Ihren Einsatz in Phuket ein? Peschel: Man kann ihn nicht in die normale Tätigkeit einordnen, bei der wir nach Todesursachen suchen oder eine Tat rekonstruieren. Unsere Aufgabe in Thailand war dagegen die Identifizierung der Leichen. Der Einsatz lässt sich aber auch nicht mit anderen Massenkatastrophen vergleichen. Allein die Vielzahl der Leichen, teilweise im Verwesungszustand, bekomme ich nicht aus dem Kopf.

SZ: Wie kam Ihr Einsatz zustande? Peschel: Als Mitglied der "Idko", der Identifizierungskommission des Bundeskriminalamts, wurde ich kurz nach der Flutwelle gerufen. Mit BKA-Beamten, einigen Kollegen aus anderen Städten und forensischen Zahnärzten flogen wir am 29. Dezember nach Phuket. Dort trafen wir Teams aus 18 weiteren Nationen.

SZ: Welche Situation fanden Sie kurz nach der Flutwelle vor? Peschel: Eine Situation der Orientierungslosigkeit, ich sage das ohne negativen Beiklang. Stellen Sie sich tausende Leichen auf einem 5oo Meter breiten Streifen zwischen München und Hannover vor - und die Verwüstungen. Damit wäre jedes Land zunächst überfordert.

SZ: Welche Aufgabe hatten Sie? Peschel: Die "Idko" bietet anderen Regierungen ihre Unterstützung an, wenn auch eigene Staaatsangehörige betroffen sind. Wir machen nichts auf eigene Faust, sondern ordnen uns in die logistische Struktur des Gastlandes ein und stimmen uns mit den anderen Teams ab. Wir waren im Tempel Takua Pa nördlich von Khao Lak tätig. Dorthin und zu einer zweiten Tempelanlage wurden alle Leichen gebracht.

SZ: Was haben Sie konkret gemacht? Peschel: Wir haben post-mortem-Befunde erhoben. Das bedeutet, dass wir nach den internationalen Richtlinien zur Identifizierung unbekannter Toter nach Katastrophen die Untersuchungen vornehmen. Zuerst wird der Fingerabdruck genommen, dann kommt die äußere Leichenschau, Kleidung, Schmuck, Alter, Geschlecht, Größe, Fußlänge, Narben, Tätowierungen. Ein BKA-Beamter trägt alles sofort in ein Formblatt ein. Es folgt die innere Besichtigung der Leiche: Ist der Blinddarm vorhanden, die Gallenblase, besteht eine Schwangerschaft? Sehr wichtig, weil hochindividuell, ist der Zahnstatus. Über die Art der Zahnsanierung kann man schließen, ob jemand aus Asien, Ost- oder Westeuropa stammt. Am Schluss wird eine Gewebeprobe für die DNA-Analyse asserviert, ein Zahn oder ein Knochenstück, weil sie am besten erhalten sind. Wieviele Tote täglich? Man hört auf zu zählen.

SZ: Konnten Sie Tote identifizieren? Peschel: Nur in einzelnen Fällen konnten wir direkt identifizieren. Grundsätzlich kommen alle unsere Befunde an eine Datenbank in Phuket, dort werden sie mit den ante-mortem-Befunden der Vermissten abgeglichen. Man braucht ja Vergleichsdaten, die hier von der Polizei recherchiert werden, etwa Röntgenbilder der Zähne, Fingerabdrücke aus der Wohnung, die Zahnbürste oder einen Kamm für DNA-Material.

SZ: Wann werden wir mehr wissen? Peschel: Das dauert noch längere Zeit. Es sind eine ungeheure Menge von Daten und Befunden zu erheben und abzugleichen. Soweit mir bekannt ist, kommen alle Genproben in ein Labor nach Peking und die Ergebnisse zurück nach Phuket. Unsere Arbeit in Thailand wird jetzt von einem neuen Team fortgeführt.

SZ: Ist der Zustand der Leichen noch so, dass Sie Aussagen machen können? Peschel: Durch das Klima, die Luftfeuchtigkeit und die Sonneneinstrahlung, schreitet die Fäulnis sehr schnell fort. Ob man etwa einen Asiaten oder einen Kaukasier vor sich, lässt sich oft nicht mehr erkennen. Die DNA dient als letzter Beweis. Aber auch dieses Material wird durch den bakteriellen Verwesungsprozess rasch zerstört.

SZ: Was können Sie denn den Angehörigen von Vermissten sagen? Peschel: Ich kann versprechen, dass jeder von uns alles für eine optimale Befunderhebung unternimmt. Und der ganze aktuelle Wissensstand wird angewendet, um solide und aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen. Ob dies für jeden Einzelfall ausreicht, ist Spekulation. Ein Teil der Vermissten wird leider nicht mehr gefunden werden, eine zweistellige Prozentzahl scheint mir plausibel.

SZ: Wie geht es Ihnen, kurz nach der Rückkehr? Peschel: Das war kein Anfängerjob, fachlich nicht und psychisch nicht. Man braucht aus der Erfahrung heraus Bewältigungsstrategien, sonst scheitert man.

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