Integrationsdebatte:Hellblau wie Bayern

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Viele Kriege, eine Wiedervereinigung, 16 Bundesländer und jede Menge Dialekte - ein Besuch im Integrationskurs für Ausländer.

Steffen Heinzelmann

Manchmal findet Ünal seine neue Heimat etwas kompliziert. Und wirklich nicht ganz logisch: Dort gibt es neue Bundesländer und alte Bundesländer. "Aber die neuen Bundesländer sind doch auch schon älter", sagt der 38-jährige Türke, "die Bundesrepublik hat sie doch nicht erfunden oder erobert." Ünal blickt zur Kursleiterin. "Ach, wahrscheinlich sprechen wir noch in hundert Jahren von neuen Bundesländern", erklärt Miriam Herrmann und kritzelt mit rotem Stift noch einmal groß "die Wiedervereinigung" an die Wandtafel.

Im Integrationskurs wird Wichtiges über Deutschland vermittelt. (Foto: Foto: dpa)

Das ist kein neuer Begriff im Kurs der Initiativgruppe. Ünal, Fikrit und die neun anderen Schüler kennen das Ereignis aus dem Jahr 1990. Der Integrationskurs soll sie auf Deutschland vorbereiten. Als Pflicht, weil sie erst im letzten Jahr ins Land gekommen sind. Oder weil sie wie Ünal freiwillig dabei sind. Nach 600 Stunden Sprachkurs wird ihnen in einem Orientierungskurs das Deutschsein vermittelt: Geschichte, Politik, Kultur. Die Kambodschanerin Thida kennt sogar das vielleicht typischste aller hiesigen Frühlingszeichen: "Die Krokusse wachsen schon", sagt sie.

Die vier Männer und sieben Frauen sind hier, weil sie eine Aufenthaltsgenehmigung wollen, einen Studienplatz suchen, Deutsch lernen wollen. "Das ist wichtig", sagt Fikrit, der 28 Jahre alt ist aus Montenegro stammt. "Es ist interessant", sagt Ünal. Vor allem die Geschichte, wann die Kriege begonnen und wieder aufgehört haben, findet die Ghanaerin Winnie. Vor allen auf dem Tisch liegt ein Lehrbuch, dessen Titel drei Fotos von Deutschland zeigt: Ein dicker Mensch sitzt auf der Wiese vor dem Reichstag. Eine türkische Familie formiert auf dem Sofa. Und Menschen stehen auf der Mauer vor Brandenburger Tor.

Quiz über die Bundesländer

An der Tafel hängt Deutschland bunte Karte im DIN-A2-Format: Die einzelnen Bundesländer sind grün, gelb, blau eingefärbt. Denn auf dem Lehrplan steht heute "Das Bundesländerquiz" von Seite 30 im Lehrbuch. Lehrerin Herrmann liest vor, welche Region gesucht wird: "In diesem Bundesland leben Schwaben und Badener friedlich zusammen und bauen Autos und andere Maschinen." Erst Ruhe, dann schlägt eine Teilnehmerin "Stuttgart" vor. Palaver durcheinander. Und Einigung auf Baden-Württemberg.

Die Frage Nummer fünf: "In der Hauptstadt diese Bundeslandes findet das größte Fest der Welt statt." Das ist leicht: "Oktoberfest" rufen Adama aus Togo und ein paar mehr, "Bayern" erkennt die Chinesin Ying. "Dahinten sieht man es", sagt Herrmann und zeigt aus dem Fenster hinaus und die Hermann-Lingg-Straße entlang zur Theresienwiese.

Und wo Bayern liegt? Thida steht auf, geht zur Landkarte und zeigt zielsicher auf den Bereich rechts unten. "Das hellblaue Bundesland ist Bayern", sagt sie.

Nicht alle Antworten bleiben unkommentiert. "Was bedeutet Pfalz", fragt Alexandre, 24, und keiner weiß Antwort. Auch bei Thüringen hat der Portugiese, der sich die Wollmütze tief über den Lockenkopf gezogen hat, eine Nachfrage: "Was bedeutet, die Bibel zu übersetzen? Dasselbe wie dolmetschen? "Der Dolmetscher für mich ist meine Frau", sagt Fikrit und lacht.

"Land voller Katatrophen"

Miriam Herrmann erklärt den Unterschied zur schriftlichen Übersetzung, und Alexandre schüttet sich Tee aus der Thermoskanne nach.

Ansonsten erkennen die Migranten alle Bundesländer schnell. Vielleicht besser als manche Deutsche aus dem Westen und Süden. "Ich war noch nie in den neuen Bundesländern", sagt auch Herrmann. "Wer hat den Film Dresden gesehen", fragt sie dann. "Der mit dem vielen Wasser", fragt einer zurück. Keiner lacht. Nein, kein Film über die Hamburger Sturmflut, erklärt Herrmann, Deutschland sei aber auch ein Land voller Katastrophen. Die Kosovarin Ayse, 27, hat Dresden gesehen. Ying aus China auch: "Das ist eine Liebesgeschichte."

Zwei Tage später soll das Wissen in einem kleinen Test abgefragt werden. Die Teilnehmer prüfen sich noch einmal gegenseitig, werfen sich den bunten Ball mit den Blumen und dem gekritzelten "Dutschkurs" zu. Sie sind gut vorbereitet. Und gut informiert. Fast alle wissen, wann die Bundesrepublik gegründet wurde (1949), wie viele Einwohner in der Europäischen Union leben (etwa 450 Millionen), wo die ersten Verträge für die spätere EU unterschrieben wurden (in Rom).

Tagesschau mit Untertiteln

Auch über Bürgerpflichten, Schulpflicht und Hausordnungen haben sie im Kurs gesprochen. Über Religionsfreiheit, Patchworkfamilien, Schlüsselqualifikationen und darüber, dass in Deutschland meistens zwischen 19 und 20 Uhr zu Abend gegessen wird.

"Wer darf in Deutschland wählen", fragt Miriam Herrmann. Winnie weiß die Antwort, und warum sie keine Wahlberechtigung hat. "Aber Wahlen sind wichtig", sagt sie. Und Ünal ergänzt: "Wenn ich hier Steuern zahle, möchte ich auch wählen dürfen - oder?" Fehlte denn etwas im Kurs? "Die Zeit", sagt Ünal. "Wir konnten in 30 Stunden nicht alles lernen ".

Dass manche Deutsche die Ausländer in abgeschotteten "Parallelgesellschaften" vermuten, in denen man ohne ein Wort Deutsch überleben könne, wissen sie. "Dabei brauchen wir Deutsch für den Kindergarten, beim Arzt, wenn wir Arbeit suchen", sagt Thida. "Und zum Arbeitsamt kann niemand den deutsch sprechenden türkischen Arzt mit nehmen", sagt Ünal ironisierend. "Wir führen in Familie und Arbeit ein deutsches Leben", sagt er ernst.

Viele im Kurs üben Deutsch mit den Kindern. Andere beim Fernsehen. Alexandre zum Beispiel sieht die Tagesschau mit Untertiteln: "Aber bei der deutschen Sprache gibt es so lange Wörter - die gehen da manchmal über zwei Zeilen lang." Probleme bereiten auch die vielen Dialekte in deutschen Landen. "Wir lernen hier Hochdeutsch im Kurs", sagt Ünal, "aber bei unserem Deutschtest hören wir vielleicht Texte auf Schwäbisch oder Bairisch." Deutsch sei sehr schwierig, ergänzt Alexandre: "So wie Chinesisch."

Und alle nicken. Alle außer Ying natürlich.

© SZ vom 10.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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