In Münchner Klinik:Taubstummer Rentner verblutet - unbemerkt

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In einem Münchner Kreiskrankenhaus ist ein 76-Jähriger verblutet, ohne dass Ärzte eingegriffen haben. Der verantwortliche Stationsarzt wurde wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Angeklagte macht die Arbeitsbedingungen für das Unglück verantwortlich.

Alexander Krug

Als der Medizin-Gutachter Professor Dietrich Inthorn die Unterlagen zu diesem Fall in Augenschein nahm, war sein erster Gedanke: "Das kann doch nicht wahr sein, dass einer unbemerkt verblutet." Doch es gibt keine Zweifel.

Das Krankenhaus-System sei schuld daran, dass der Rentner unbemerkt verblutet sei, so der verantwortliche Arzt. (Foto: Foto: dpa)

Der 76-jährige Franz M. ist in einem Münchner Kreiskrankenhaus innerlich verblutet, ohne dass es jemand wahrnahm. Besonders tragisch: Der schwer kranke Rentner konnte sich nicht bemerkbar machen, weil er taubstumm und auch noch ans Bett fixiert war.

Wegen fahrlässiger Tötung sitzt nun einer der Stationsärzte auf der Anklagebank im Amtsgericht. Ralf L., 62, ist Facharzt für Chirurgie und hatte damals am 21. Mai 2004 frühmorgens seinen Dienst angetreten. Dabei übernahm er auch den Patienten Franz M., der sich bei einem Sturz zuhause mehrere Rippen gebrochen hatte.

Dem Rentner war bereits am Vorabend "Clexane" verabreicht worden, ein Mittel, das die Blutgerinnung hemmt. Aus ungeklärten Gründen hatte man jedoch statt der ursprünglich vorgesehenen 20 Milligramm die Einzeldosis auf 80 erhöht.

Keine Überwachung des Patienten

Innerhalb von etwa zehn Stunden hatte der Rentner bereits 160 Milligramm des Mittels erhalten, ohne dass er besonders überwacht wurde. Im Gegenteil: Weder wurde der Blutdruck noch der Hämoglobin-Wert ein zweites Mal überprüft. Franz M. verblutete aufgrund der durch die Rippenbrüche aufgetretenen inneren Verletzungen und der Überdosierung ganz langsam. Erst gegen 16.30 Uhr bemerkte das Personal, dass der Rentner nicht mehr lebte.

Bei diesen Verletzungen und dieser Überdosierung ist für Gutachter Inthorn klar, dass der Patient "höchstgradig gefährdet" war. "Der musste bluten", so sein Fazit. Bei einer adäquaten Überwachung des Patienten hätte man seitens des behandelnden Arztes die Situation auch erkennen können und müssen.

Dass man in dem Krankenhaus nicht einmal die Todesursache erkannt hatte, verdeutlicht der Schlussbefund, der von einem "Multi-Organ-Versagen" ausging. Erst als Franz M. obduziert wurde, stellte sich heraus, dass er rund 1,8 Liter Blut in der Bauchhöhle hatte.

Der Angeklagte will sich zunächst nicht zum Vorwurf äußern. Erst nach dem eindeutigen Gutachten entschließt er sich, über seinen Anwalt Gerhard Bink eine Erklärung abzugeben. Sein Mandant sei damals "einer von drei Stationsärzten" gewesen, so Bink, und habe den Patienten an diesem Morgen das erste Mal gesehen. Bei der morgendlichen Visite hätte er 35 Patienten in 40 Minuten besucht. "Dabei ist wohl die Situation übersehen worden."

"Der Fehler liegt im System"

Er selber, so Bink freimütig, würde im Übrigen diese Verantwortung niemals übernehmen wollen. "Der Fehler liegt im System, wenn ein Arzt 35 Patienten betreuen soll. Wenn wir Juristen einen Fehler machen, können wir in Berufung gehen. Ein Arzt kann das nicht."

Diese "Überlastung" erkennt auch Staatsanwalt Klaus Ledermann an. Doch die Überwachung liege nun einmal im originären Zuständigkeitsbereich des Arztes und hier habe der Angeklagte "nun einmal einen Fehler gemacht". Ledermann hält indes eine Geldstrafe für ausreichend und die Amtsrichterin sieht das genauso. Ralf L. wird wegen fahrlässiger Tötung zu 180 Tagessätzen zu je 60 Euro verurteilt. Die Strafe darf er in monatlichen Raten abstottern.

Wirklich einsichtig ist Ralf L. indes bis zum Schluss nicht. Er bezweifelt bis zuletzt das Obduktionsergebnis. "In 34 Jahren als Chirurg hab' ich noch nie jemanden an 1,8 Liter Blutverlust sterben sehen."

© SZ vom 25.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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