Identität im Internet:Der Tote im Netz

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Michaelas Freund lebt nicht mehr, doch im Internet existiert er weiter. Nach der Beerdigung beschließt Michaela deswegen die erneute Trennung.

Verena Noflatscher, SZ-Jugendseite

Der Text ist erschienen auf der Jugendseite der Süddeutschen Zeitung. Die Autorin Verena Noflatscher ist 24 Jahre alt. Weitere Texte der Jugendseite finden Sie unter www.sz-jugendseite.de.

Ihr Blick ist ernst und direkt. Die Lederjacke, die sie trägt, wirkt irgendwie zu groß für den zierlichen Körper. Michaela ( Name von der Redaktion geändert) ist gefasst. Erzählt offen und direkt von diesem Tag, der ihr Leben für immer veränderte. Von diesem Morgen. Von dem Moment, an dem das Telefon klingelte und ihr Vater mitteilte, dass sich in der vorhergehenden Nacht ihr Freund umgebracht hatte.

Es ist eine Unmöglichkeit zu beschreiben, was in einem Menschen vorgeht in solch einem Moment. Schock, Verzweiflung, Trauer, unglaublicher Schmerz - man kann dieses Gefühl nicht in Worte fassen. Und wie groß ist dann erst das Leid, wenn man sich Wochen später für eine zweite Trennung entscheiden muss.

Wie soll es weitergehen ohne ihn? Diese Frage bestimmte Michaelas Leben in den nächsten Tagen und Monaten. Er, der immer da gewesen war in den acht Jahren, die sie zusammen gewesen waren. Er, der ihr so viel Sicherheit gegeben hatte, mit dem sie so viel erlebt hatte und ohne den sie sich ein Leben nicht mehr vorstellen konnte. All das war vernichtet nach dieser Nacht.

Es ist, als hätten sich die Erlebnisse in ihr eingebrannt, auf immer. Im Nachhinein, erklärt Michaela, sei es der Schock gewesen, der sie in der ersten Zeit so stark hat sein lassen. "Vor der Beerdigung gab es so viel zu organisieren, da habe ich funktioniert wie eine Maschine", erzählt die 25-Jährige heute. Danach fiel sie in ein Loch. "Jeder Tag war eine Qual, ich habe nur darauf gewartet, dass es wieder dunkel wurde, damit ich schlafen konnte", sagt sie mit ernster Stimme.

Kein Wort des Beileids

Für sie war es undenkbar zu dieser Zeit, ein Bild von ihm wegzustellen, seinen Ring von ihrem Finger zu lösen, ihre gemeinsame Kette abzunehmen. Viel zu viele schöne Gedanken waren damit verbunden. Doch es gab auch Erinnerungen im Internet, auf seinem Profil in einer Community. Nach der Beerdigung war für Michaela klar, dass sie diese löschen wollte.

Obwohl ihr jedes Andenken so wichtig war, sollte er nicht mehr auf ihrer Freundesliste auftauchen - keine traurigen Erinnerungen in der Endlosschleife.

Sie schrieb die Betreiber der Seite an, immer und immer wieder. Doch sie bekam erstmal keine Antwort. Erst nach einiger Zeit erhielt sie eine Benachrichtigung - mit der Anweisung, ihnen eine Sterbeurkunde zukommen zu lassen: Ohne diese, so hieß es, könnten sie das Profil nicht löschen. "Kein Wort des Beileids, das habe ich in diesem Moment nicht verstanden", erklärt sie. "Ich musste in der Universität eine Urkunde abgeben für das Urlaubssemester, damals kam ich mir schon so vor, als würde ich einen Toten in der Tasche herumtragen." Sie wollte und konnte die Urkunde nicht abschicken und erhielt auf diese Erklärung wieder keine Antwort.

So blieb ihr am Ende nichts übrig, als sich an seinen Laptop zu setzen und zu versuchen, das Profil selbst zu löschen. "Er hatte sein Passwort gespeichert, so dass ich in sein Profil kam, allerdings musste man, um das Profil zu löschen, das Passwort noch mal angeben, dafür musste ich es mir zuschicken lassen", erklärt Michaela. Sie durchsuchte rund 200 E-Mails, bis sie zu der Mitteilung vom Internetbetreiber kam - die anderen Nachrichten waren von der Universität, aber auch von Freunden.

Erinnerung für alle

Sie löschte das Profil und kam sich dabei so vor, als hätte sie ihrem Freund die Identität ein zweites Mal genommen. "Dieses Profil zu löschen war ein Gewaltakt, aber es war für mich undenkbar, es bestehen zu lassen", sagt Michaela. Auf ihrem eigenen Internet-Profil hat sie alle gemeinsamen Fotoalben entfernt und nur eines mit den schönsten Fotos von den acht Jahren erstellt.

Mit der Unterstützung ihrer Familie und ihrer Freunde hat sie die Zeit gemeistert. Ein Semester hat sie sich beurlauben lassen, um den Jakobsweg zu gehen. Den hatte sie zuvor gemeinsam mit ihm bestritten. Sie lief mehr als 2000 Kilometer - und doch war am Ende die Rückkehr in den Alltag die größte Herausforderung.

"Die Trauer zuzulassen, aber nicht für immer in ihr zu verschwinden, das war schwer", erklärt Michaela. Das ist es immer noch, denn "ich trauere auch weiterhin", sagt sie: "Ich gebe mir die Zeit dafür, aber versuche auch nach vorne zu schauen."

Deshalb stellte sie auch im Januar am Todestag ein Bild von ihm auf ihre Internetseite. Als eine Erinnerung für alle, als ein Andenken an ihn.

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