Heinz Schmidt:Der Taxi-Beichtvater

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Manche Leute erzählen auf der Couch vom Psychotherapeuten von ihren Problemen. Andere schütten ihr Herz auf den Polstern von Heinz Schmidts Taxi aus. Und das schon seit 40 Jahren.

Lara Doktor

Es regnet. Heinz Schmidt sitzt in seinem VW Touran im Trocknen. Er ist Taxifahrer. Autos und Straßenbahnen fahren vorbei. Autos hupen, Rettungswägen heulen: alltägliches Stachusszenario. Gut läuft das Geschäft bei plötzlichem Regen oder bei Hitzewellen, denn die Taxis haben mittlerweile alle Klimaanlagen. In 40 Jahren verändert sich einiges.

Heinz Schmidt fährt seit knapp vierzig Jahren Taxi und kennt Münchens Straßen besser als jedes Navigationssystem. (Foto: Foto: Lara Doktor)

Navigationssysteme haben sie mittlerweile auch. Im Kampf Mensch gegen Maschine hat Schmidt aber oft die Oberhand. Dank seiner knapp vierzigjährigen Erfahrung als Taxifahrer in München kennt er die schnelleren und kürzeren Wege. Aber wenn ein Kunde verlangt, dass er nach den Anweisungen des Navigationssystems fahren soll, dann macht er das. Denn bei ihm ist der Kunde König.

"Taxifahren ist für mich kein Job, sondern ein Beruf"

Deshalb schaut auch das Auto von Heinz Schmidt picobello sauber aus, innen wie außen. Das mag er nicht, wenn manche Taxifahrer ihr Auto nicht sauber halten. "Das sieht doch nicht gut im Stadtbild aus", meint er. Genauso wenig versteht er, wenn sich Fahrer am Taxistand hinter der Zeitung verschanzen, anstatt den Kunden zu signalisieren, dass man für die bereit ist. "Taxifahren ist für mich kein Job, sondern ein Beruf", sagt er in leichtem münchnerischen Dialekt. Eine karierte Hose trägt er, ein weißes Hemd mit einer schwarzen Weste, sein graues Haar ist schon etwas schütter. Er hat viele Sommersprossen im Gesicht und auf den Händen. Seine Stimme ist etwas brüchig, er nimmt oft einen Schluck aus seiner Wasserflasche.

74 Jahre alt ist Heinz Schmidt, geboren wurde er 1933 im Sudetenland. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden er und seine Familie vertrieben und kamen nach Bayern. 1950 zog Schmidt nach München und machte eine Lehre zum Kraftfahrzeugshandwerker.

Der Rubel muss rollen

Ein paar Jahre spielte Schmidt hauptberuflich Schlagzeug in einer Tanzmusik-Band und reiste zu Auftritten in Deutschland herum, kam dabei sogar bis nach Abu Dhabi, Westafrika und Moskau. Von dort hat er auch den Rubel mitgenommen, der auf seinem Armaturenbrett klebt. Neugierigen russischen Fahrgästen erklärt er, dass es ein Sprichwort im Deutschen gibt: Der Rubel rollt. Auch bei seinem Geschäft muss der Rubel rollen.

Heinz Schmidt wurde 1971 Taxifahrer, damit er ein zweites Standbein neben der Musik hat. Er machte seine zwei Leidenschaften zum Beruf: Autofahren und Musikmachen. Er findet es gut, dass er nicht fest an einen Arbeitsplatz gebunden ist. Es war nicht einfach eine Frau zu finden, die sein unstetes Leben als Taxifahrer mitgemacht hat, meint er: die unregelmäßigen Arbeitszeiten, die Nachtfahrten. Dann war da ja auch immer noch die Musik, der er viel Zeit widmete. Da braucht eine Frau viel Verständnis, sagt Schmidt. Vergangenes Jahr hat er die Frau geheiratet, die mit seinem Lebensrhythmus klar kommt, nach 19-jähriger Verlobungszeit.

Verständnis ist für Heinz Schmidt die grundlegende Eigenschaft für einen Taxifahrer. So fährt er auch: vorrausschauend, zurückhaltend und gelassen. Beruhigend wirkt auch die sonore Moderatoren-Stimme aus dem Radio, das er auf einen Informationssender eingestellt hat, manchmal aber auch einen Klassiksender. Wer in das Taxi von Heinz Schmidt steigt, weiß schon nach wenigen Sekunden, dass er sicher ans Ziel gebracht wird. Natürlich ärgert es ihn, wenn manche Autofahrer einfach ausscheren ohne zu blinken oder nur am Handy quatschen, anstatt sich aufs Autofahren zu konzentrieren. Was soll's!

Die Frage aller Fragen, Herr Schmidt: wer sind die besseren Autofahrer, Männer oder Frauen? Seine Antwort: "Bei Frauen ist das so: entweder sie fahren fantastisch oder grausam. Ein Mittelding gibt es nicht!" (Foto: Foto: Lara Doktor)

Am liebsten fährt er Gäste, die "auch über mehr reden wollen, als nur über das Wetter". Manche steigen ein und erzählen ihm in fünfzehn Minuten Fahrzeit ihre Lebensgeschichte, vom Streit mit der Familie oder mit den Kindern. "Dann komme ich mir manchmal vor wie ein Beichtvater", sagt er. Aber die Abwechslung, die unterschiedlichen Leute, mit denen er täglich zu tun hat, ist gerade das, was ihm an seinem Beruf so gut gefällt. Bei der einen Fahrt steigt ein Besoffener ein, bei der nächsten Fahrt ein Vorstandsmitglied von einem Großkonzern. Seine Fahrgäste kommen aus allen Schichten, sind jung und alt.

Vokabeltraining mit Discogästen

Besonders gerne nimmt er junge Leute mit, die auf dem Weg zur Disco sind. "Die sind immer gut drauf, sind oft interessiert und stellen mir viele Fragen", erzählt er und fügt hinzu, "und außerdem lerne ich dann immer die neuesten Ausdrücke, die finde ich immer witzig." "Tanke" sage man ja heute zum Beispiel zu einer Tankstelle.

Neben amüsanten Fahrten gibt es aber auch schlimme Fahrten. Etwa als in einer Sylvesternacht eine junge Frau mit aufgeschlitzten Pulsadern einsteigt. Schmidt fährt sie in die Notaufnahme. Oder als ein Mann ihn aus dem Krankenhaus anruft und nachhause zu seiner Frau gefahren werden möchte, weil er sie nicht mehr erreicht. Als sie zuhause ankommen, finden sie die tote Frau. Schmidt ruft einen Notarztwagen, doch zu spät.

Vieles hat sich verändert im Beruf des Taxifahrers. Heinz Schmidt hat jetzt viele ausländische Kollegen. Die Straßen sind voller geworden in München, darum fährt er jetzt auch lieber nachts, da ist weniger Verkehr. So einigen Irrsinn hat er auch mitmachen müssen, zum Beispiel das Redeverbot für Taxifahrer, das in den siebziger Jahren erlassen wurde. Mit den hohen Treibstoffpreisen hat auch er zu kämpfen. Er versucht, immer billig zu tanken und möglichst wenig Kilometer ohne Fahrgast zurückzulegen.

Eigentlich bräuchte er ja gar nicht mehr Taxi fahren, schließlich bekommt er seit fast zehn Jahren schon Rente. "Es einen zieht einen einfach raus", grinst er. Er kennt viele Taxifahrer, die mit dem Fahren weitermachen, obwohl sie es nicht mehr müssten. "Man ist als Taxifahrer immer direkt im Stadtgeschehen und sieht, wie sich die Stadt verändert", erklärt er, "das ist faszinierend." Nächstes Jahr wird er fünfundsiebzig Jahre alt. "Dann werde ich mich wohl losreißen müssen", sagt er. Aber bis dahin fährt er weiter durch Münchens Straßen.

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