Heilige Zeiten:O du fröhlicher Kitsch

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Tangaslips mit Glöckchen, Seife im Tannenbaum-Design: Die erlesensten Weihnachts-Artikel.

Von Wolfgang Görl

(SZ vom 16.12.03) — Noch immer gibt es Menschen, die am Heiligen Abend in einer Garderobe vor den Weihnachtsbaum treten, die dem festlichen Anlass Hohn spricht. Um mal gleich den häufigsten Styling-Fehler anzusprechen: Man trägt als distinguierter Herr keine Filzpantoffeln zum Frack, auch nicht im familiären Rahmen.

Auch ein erlesener Weihnachts-Artikel. (Foto: Foto: dpa)

Dem Christfest angemessen ist ein weißer oder cremefarbener Anzug, der sich in Kombination mit den Pantoffeln zu einem eleganten und modisch korrekten Erscheinungsbild fügt.

Und was trägt der Mann von Welt darunter? In jedem Fall Boxershorts, am besten mit Weihnachtsmann-Motiven, wie sie derzeit in jedem besseren Kaufhaus zu finden sind - damit ist man fraglos auf der sicheren Seite.

Nach der Mette

Gleichwohl sollten kultivierte Herren davon Abstand nehmen, die Unterhosen im Verlauf der Weihnachtsfeier den Gästen vorzuführen. Denkbar ist dies allenfalls nach der Christmette, und auch nur dann, wenn die Kinder im Bett sind und die Erbtante das Haus verlassen hat.

Damen erfreuen den Geliebten oder - wenn's nicht anders geht - den Gatten am Weihnachtsabend mit einer festlichen Performance, in der ein naturnah geformtes Elchgehörn die Hauptrolle spielt. Aufs Haupt gesteckt, signalisiert das rot gefärbte Geweih, dass der seit langem vereinbarte Besuch bei Ikea keinen Aufschub mehr duldet.

Ansonsten orientiert sich der modische Auftritt der Frau am Weihnachtsmann, also roter Mantel, rote Stiefel, weißer Damenbart. Im Gegensatz zum Vorjahr trägt die stilbewusste Lady heuer die Zipfelmütze linksseitig, sofern das Elchgeweih dies zulässt.

Weihnachtliche Tangaslips

Vorsicht ist geboten bei vorgeblich weihnachtlichen Tangaslips, die auch in seriösen Wäschegeschäften offen ausliegen. Zwar sind der aufgestickte Tannenbaum und das Glöckchen als festliche Motive durchaus zu begrüßen, keineswegs hingegen das knapp gehaltene, textile Drumherum. Zur Unzeit enthüllt, könnte es auf sittlich labile Charaktere eine Wirkung ausüben, die dem Geist der Weihnacht komplett widerspricht.

Es versteht sich von selbst, dass auf den Baum Wachskerzen gehören und nicht etwa elektrische Imitate. Letztere nützen nur den Stromkonzernen und gefährden Arbeitsplätze bei der Feuerwehr. Das Entzünden der Kerzen gehört neben dem Verzehr von Würschten mit Kartoffelsalat zu den feierlichsten Momenten des Heiligen Abends und sollte ausschließlich Fachleuten überlassen bleiben, etwa Mesnern oder Spitzenkräften aus Indien (Green Card überprüfen!).

Besonders eindrucksvoll gerät die Zeremonie, wenn die Streichholzschachtel mit der Mutter Gottes bebildert ist. Doch aufgepasst: Neben dem Baum muss stets ein Eimer Löschwasser stehen! Noch besser ist es, die Badewanne mit Wasser zu füllen, um im Ernstfall den brennenden Baum hineinwerfen zu können. Nicht vergessen: Vorher den Karpfen entnehmen, den zu schlachten Papa nicht übers Herz gebracht hat. Wer ganz auf Nummer sicher gehen will, begeht den Weihnachtsabend komplett im Badezimmer.

Besinnliche Lieder

Apropos Badezimmer: Für dessen festliche Gestaltung gibt es jetzt Seife im Tannenbaum-Design. So verfliegt selbst beim Händewaschen nicht jene gehobene Stimmung, die der brennende Weihnachtsbaum in die Herzen aller getragen hat.

Die Übergabe der Geschenke (am besten Bargeld) sollte dann zügig vonstatten gehen, damit das Absingen besinnlicher Lieder ("O du fröhliche", "Schnaps, das war sein letztes Wort") vor dem abendlichen Fernsehprogramm erledigt ist.

Singende Plastik-Weihnachtbäume aus fernöstlicher Produktion dürfen nur dann zum Einsatz kommen, wenn die Familie über keine stimmbegabten Mitglieder verfügt. Noch ein letzter Tipp: Die selbst gebackenen Plätzchen, die die Erbtante mitgebracht hat, nicht vor ihren Augen an den Karpfen verfüttern!

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