Hartz-IV-Bezieher:Bei Verdacht Hausbesuch

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Künftig überprüfen in München vier Teams Hinweise auf Leistungsmissbrauch. Sie helfen aber auch, Not zu lindern. Betrogen wird ohnehin nur wenig.

Sven Loerzer

Die Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung München (Arge) dehnt jetzt die Kontrollen bei Hartz-IV-Haushalten auf das gesamte Stadtgebiet aus.

In einem Drittel der von den Sachbearbeitern gemeldeten 500 Verdachtsfälle in drei Pilot-Stadtbezirken hatten Leistungsbezieher falsche Angaben gemacht. Im Schnitt ergab sich eine Ersparnis von 470 Euro pro Fall.

Im Juni 2006 begann das erste Hausbesuchsteam der Arge mit seiner Arbeit in dem Pilotgebiet Au, Haidhausen und Bogenhausen. Helena Szemzö und Reiner Schmid sind immer zu zweit unterwegs.

Helena Szemzö kennt die andere Seite nur zu gut: Die alleinerziehende Mutter hatte vor ihrer Beschäftigung bei der Arge von Hartz IV leben müssen und einen Ein-Euro-Job angenommen. "Es ist sicher von Vorteil, wenn man weiß, wie hart das Leben mit Hartz IV ist."

Neugierige Nachbarn

Denn der Hausbesuchsdienst hat nicht nur die Aufgabe, dem Verdacht auf Leistungsmissbrauch nachzugehen; trifft er auf Haushalte, wo es etwa an Möbeln oder Fürsorge für die Kinder fehlt, gibt er dem Sachbearbeiter Hinweise, um dann gezielt zu helfen.

"Es gibt Fälle, wo wir einiges für die Menschen tun können", bekräftigt Helena Szemzö. Die Teamarbeit habe sich bewährt, manche Kunden sprechen eher mit einem Mann, andere nur mit Frauen. Außerdem, sagt Schmid, "sieht eine Frau andere Dinge, das ist eine gute Ergänzung".

Das Team startet nur dann zum Hausbesuch, wenn ein Auftrag von einem Sachbearbeiter erteilt ist, weil "irgendein Verdacht auf Leistungsmissbrauch vorliegt", sagt Franz Singer, Abteilungsleiter im Amt für Soziale Sicherung. Dann kommen die beiden Außendienstler unangemeldet und läuten.

"Wir weisen leise daraufhin, von welcher Stelle wir sind und bitten darum, das Gespräch in der Wohnung fortsetzen zu dürfen - es gibt sehr neugierige Nachbarn", berichtet Schmid. Erstaunlich selten würden sie abgewiesen. In einem solchen Fall notiert er "Zutritt wurde nicht gewährt". Allerdings kann daraufhin die Leistung gesperrt werden, bis der Sachverhalt geklärt ist.

Und wird ein Kunde auch beim sechsten oder siebten Besuch nicht angetroffen, fragen die Arge-Mitarbeiter anonym, also ohne Hinweis auf ihre Tätigkeit, beim Nachbarn oder Hausmeister nach, um zu erfahren, ob der Betreffende in der Arbeit oder im Urlaub ist.

Nur eine Briefkastenadresse

Oft bekommen Szemzö und Schmid ihre Kunden noch nicht einmal zu Gesicht: "Viele Leute haben nur eine Briefkastenadresse, aber sie wohnen nicht unter der angemeldeten Anschrift", sagt Singer. Da wird die Leistung gesperrt und nach einer Anhörung dann eingestellt, wenn der Betroffene woanders wohnt.

Unter den Missbrauchsfällen ist das der häufigste. Nicht wenige Betroffene leben im Ausland und kämen deshalb mitunter zu Vorladungen mit vorgeschobenen, fadenscheinigen Begründungen zu spät.

Verschwiegen wird bei der Hartz-IV-Antragstellung aber auch mitunter, dass der Partner mit in der Wohnung lebt, etwa wie bei einer Frau mit Kind, deren Überweisung nach dem Bericht über den Hausbesuch dann vom Sachbearbeiter um den Mietanteil des Partners gekürzt wurde.

Der Besuch in der Wohnung folgt, anders als in manchen Filmberichten über sogenannte Sozialdetektive, strikten Regeln: "Wir fassen nichts an, wir machen keine Tür und keinen Schrank auf. Der Kunde geht voraus und zeigt uns das, was er zeigen möchte", erklärt Szemzö.

Und Schmid ergänzt: "Oft erzählen uns die Leute mehr, als wir eigentlich wissen wollen." Der Blick ins Badezimmer bleibt die Ausnahme, etwa wenn ein eheähnliches Verhältnis vermutet wird, in dem der verdienende Partner für den anderen mit einstehen müsste.

Kein Generalverdacht

In letzter Zeit schaut der Hausbesuchsdienst auch dort vorbei, wo der Verdacht besteht, dass die beantragten Einrichtungsgegenstände für die neue Wohnung, Herd, Spüle und Waschmaschine, zwar geliefert worden sind, aber tatsächlich gar nicht benötigt werden. In der Hälfte der acht Fälle standen die Geräte entweder im Keller oder waren weiterverkauft worden.

"Es ist traurig, so etwas feststellen zu müssen", sagt Szemzö, "denn es gibt wirklich Leute, die so etwas dringend brauchen, aber es sich gar nicht trauen, einen Antrag zu stellen."

Wer zu Unrecht Leistungen bezogen hat, muss mit einer Rückforderung rechnen und, bei hoher Schadensumme, mit einer Strafanzeige wegen Betrugs.

"Der weit überwiegende Anteil der Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, verhält sich korrekt", betont Arge-Geschäftsführer Michael Baab. Die Missbrauchsquote bewege sich bei etwa zwei Prozent und damit auf dem gleichen Niveau wie früher in der Sozialhilfe.

Die Pilotphase sei ohne Beschwerden verlaufen, "für uns war es wichtig zu sehen, dass wir unser Geld verdienen". Drei weitere Teams haben sich eingearbeitet, damit Hausbesuche stadtweit möglich sind.

Hartz-IV-Bezieher stehen keineswegs generell unter Missbrauchsverdacht: Selbst die Mehrzahl der Verdachtsfälle sei in Ordnung gewesen. "Die überwiegende Mehrheit der Leistungsbezieher ist ehrlich", betont Schmid und Szemzö sagt: "Ich freue mich, wenn ich jemandem helfen kann - aber auch, wenn ich einen Betrüger aufdecken kann. Doch den Glauben an das Gute im Menschen darf man nicht verlieren."

© SZ vom 30.04.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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