Gewaltakt in München:Erneut Attacke in der U-Bahn

Lesezeit: 2 min

Zwei Jugendliche haben in der U2 auf einen 17-Jährigen eingeprügelt. Laut Kriminalitätsstatistik gehen die Gewalttaten jedoch zurück.

Das beherzte Eingreifen anderer Fahrgäste hat vermutlich Schlimmeres verhindert beim Angriff zweier betrunkener Jugendlicher auf einen 17-jährigen Zimmerer am Freitagabend in der U-Bahn-Linie 2: Die beiden, 18 und 19 Jahre alt, fuhren gegen 22.45 Uhr stadteinwärts, unterhielten sich laut, der Ältere rauchte eine Zigarette. Schließlich versuchten sie den Zimmerer, der ihnen gegenüber stand, zu provozieren und ihn in ein Streitgespräch zu verwickeln.

Als der 19-Jährige versuchte, dem Opfer mit dem Fuß gegen den Kopf zu treten, und ihn schließlich beide mit den Fäusten traktierten, gingen mehrere Fahrgäste dazwischen und hielten die Täter fest.

Der U-Bahn-Fahrer hatte den Radau in seinem Zug mitbekommen, verständigte die U-Bahn-Wache und die wiederum die Polizei. Schließlich wartete der Fahrer vor dem Bahnhof Frankfurter Ring, bis die Polizei eingetroffen war und fuhr dann erst ein. Dort wurden die beiden Täter festgenommen. Der 18-Jährige steht wegen anderer Delikte auf der so genannten Proper-Liste von Polizei und Staatsanwaltschaft für jugendliche Intensivtäter. Deshalb wurde gegen ihn Haftbefehl beantragt. Sein Mittäter kam nach Vernehmung und Blutentnahme wieder frei. Der Zimmerer erlitt ein Hämatom und eine Jochbeinprellung.

Auch wenn sich in den U- und S-Bahnen Gewaltattacken in den vergangenen Monaten scheinbar gehäuft haben: Die Zahl von Übergriffen im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) geht laut Bayerischem Innenministerium zurück. Am heutigen Montag verkündet Minister Joachim Herrmann die Kriminalitätsstatistik für das Jahr 2009.

Danach verringerte sich die Gewaltkriminalität im ÖPNV um 5,1 Prozent im Vergleich zu 2008. Im vergangenen Jahr wurden 394 solcher Fälle gezählt. Damit setzt sich die Entwicklung aus den Vorjahren fort, denn bereits zwischen 2007 und 2008 verringerte sich der Wert um fast ein Viertel.

Medienwissenschaftler sprechen deshalb von verzerrter Realität. Den Tod von Dominik Brunner, der im September 2009 von zwei Jugendlichen am Münchner S-Bahnhof Solln totgeprügelt wurde, nennt der Kommunikationswissenschaftler Hans-Bernd Brosius von der Ludwig-Maximilians-Universität München ein "Schlüsselereignis".

Dieser Vorfall habe wie bereits viele andere vor ihm eine ganze Reihe von immer gleichen Abläufen zur Folge, sagt Brosius und: "Sie ändern das Orientierungsverhalten von Journalisten." Damit meint er, dass auch kleinere Ereignisse wie harmlose Pöbeleien thematisch "hochgezogen" werden, sofern sie strukturelle Ähnlichkeiten mit dem Schlüsselereignis haben. Wenn etwa der Tatort ebenfalls eine S-Bahn ist.

Journalismus hat "zweifelsohne eine Thematisierungspflicht", meint Volker Lilienthal, selbst Journalist und Professor für Qualitätsjournalismus an der Universität Hamburg. Es sei jedoch problematisch, wenn Fälle miteinander in Verbindung gebracht werden, die nichts miteinander zu tun hätten. "Der Fall Brunner wird missbraucht", sagt Lilienthal. Er diene Medien als Legitimation, über reißerische Themen zu berichten. Ein ähnliches Mediengebaren hat Lilienthal beim Thema Koma-Saufen beobachtet. "Da war viel Sensationalismus dabei."

Lilienthal sagt aber auch: "Hauptsache, es wird darüber gesprochen." Denn mit Hilfe der Berichterstattung könne Journalismus das Signal geben: Kümmert euch! "Die Politik merkt: Da müssen wir handeln, sonst schlachten uns die Medien", sagt Lilienthal.

Und noch einen Effekt macht der Medienexperte aus. "Wenn die Fallzahlen abnehmen, hat das auch mit der Medienthematisierung zu tun", vermutet Lilienthal. Die Öffentlichkeit werde dadurch für ein Thema sensibilisiert, das wüssten auch jugendliche Gewalttäter.

Für die Opfervereinigung Weißer Ring sind vor allem die stärkeren Überwachungsmaßnahmen eine Folge der öffentlichen Debatte. "Der Fall Brunner hat schon aufgerüttelt", sagt Verbandssprecher Arved Semerak. Mittlerweile gebe es in jedem Waggon Überwachungskameras, und auch das Sicherheitspersonal sei viel präsenter in den Zügen. "Das schreckt sicher einige ab", sagt Semerak.

Wegen der hohen medialen Aufmerksamkeit für das Thema könnten Leser jedoch den Eindruck gewinnen, die Realität habe sich verändert, sagt Kommunikationsforscher Brosius. Sein Hamburger Kollege Lilienthal spricht auch von verzerrter Realität. Doch nur so könne der Druck auf die Täter aufrechterhalten werden. Eine langanhaltende Berichterstattung sei dann wünschenswert, wenn die Medien "jenseits der Aktualität" auf Ursachenforschung gingen.

© SZ vom 15.03.2010/stha/ddp - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: