Gerichtsreportage:Das lange Warten auf den braunen Nachwuchs

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Ausnahmezustand im Münchner Justizgebäude: Beim Prozess gegen fünf mutmaßliche Neonazis herrscht die höchste Sicherheitsstufe. Die Besucher werden durchsucht, die Angeklagten dürfen nicht fotografiert werden.

Von Stephan Handel

Körperverletzung, Betrug, sexueller Missbrauch, Trunkenheit, Vergewaltigung - alles ganz normal an diesem Mittwochmorgen im Justizgebäude an der Nymphenburger Straße, so normal eben, wie es sein kann in einem Gebäude, das hauptberuflich Menschen ins Gefängnis schickt.

Großer Medienrummel herrschte beim ersten Tag des Neonazi-Prozesses in München. Am Ende gab es nicht viel zu filmen. (Foto: Foto: dpa)

Nicht normal jedoch ist, dass der Gang nach hinten zur Cafeteria mit braunem Packpapier versperrt ist, davor stehen Polizisten und ein Fotokopierer, Absperrgitter und eine lange Menschenschlange.

Langsam nur rückt die Schlange vor, denn jedes einzelne Glied der Kette muss seine Taschen leeren, seinen Personalausweis herzeigen, dann wird der Personalausweis kopiert, der Mensch, der dazugehört, wird durchsucht, er muss sein Handy abgeben, und wenn er "Dosen, Eier und Früchte" dabei hätte, dann müsste er die auch rausrücken, so steht's in der zehnseitigen Verfügung, die gleich nebendran an einer Pinnwand hängt, denn Dosen, Eier und Früchte sind "zum Schlagen oder Werfen geeignete Gegenstände", also böse.

Wann und wer gefilmt werden darf ist streng geregelt

Es geht um Sicherheit, und deshalb steht in der Verfügung auch, dass im Saal selbst erst fünf Minuten vor Sitzungsbeginn gefilmt und fotografiert werden darf, allerdings nicht die Angeklagten Monika S., Ramona S. und Thomas S. - sie haben ausrichten lassen, dass sie nur aussagen werden, wenn sie nicht "einer Bild- und Filmberichterstattung gegen ihren erklärten Willen ausgesetzt" sind.

Weil dem Gericht, dem 6. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts, die Aussagen der Angeklagten wichtiger sind als ein paar Fotografen, hat der Vorsitzende Richter, Bernd von Heintschel-Heinegg, die Verfügung sogar noch einmal geändert und diese Änderung dokumentiert durch den Zusatz "in der Fassung der Änderung vom 5.10. 2004", als sei's ein Gesetz und nicht nur eine Verhaltensregel für Leute, die bei einem Prozess zuschauen wollen. Die Mitglieder des Staatsschutzsenats, fünf Berufsrichter in schwarzen Roben, dürfen natürlich überhaupt nicht fotografiert werden.

Taucht kein Glatzkopf auf, filmen sich die Kamaraleute gegenseitig

Weil jetzt, eine gute halbe Stunde vor Prozessbeginn, eh noch nichts los ist, filmen die Kameraleute sich gegenseitig. Nur wenn unten, an der Personenkontrolle, jemand auftaucht, dessen Haare kürzer als ein halber Zentimeter sind, dann rennen alle hin und filmen den - könnte ja vielleicht ein Sympathisant sein, einer dieser südlichen Kameraden, die den Jakobsplatz in die Luft sprengen wollten und den Marienplatz gleich mit dazu.

Wenn die Kurzhaarigen sich dann aber nicht an der Menschenschlange anstellen, weil sie an diesem Prozess überhaupt kein Interesse haben, sondern vielleicht gerade selber um ihre Freiheit, ihr Geld oder ihren Führerschein bangen müssen - dann wenden sich die Kameraleute enttäuscht ab und filmen zum dritten Mal den Glaskasten mit der Prozessankündigung - "S. Monika und vier andere wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung u.a."

Kurz vor zehn doch ein wenig Bewegung am Durchsuchungsschalter - nun kommen nämlich zwei, die wirklich etwas zu tun haben mit der "Kameradschaft Süd" und ihren neonazistischen Umtrieben.

"Schau dir die Presseschakale an"

Hayo Klettenhofer nennt sich "Münchner Stützpunktleiter" von was auch immer, er steht unten an der Treppe, dreht sich zu seinem Begleiter um und sagt: "Schau dir diese Presseschakale an", was ihn nicht unbedingt sympathischer macht.

Klettenhofers junger Freund, schwarzes Hemd, schwarze Krawatte, kaum Haare, hat jedoch gerade zu tun - denn die Polizeibeamten finden bei ihm Flugblätter, die dürfen auch nicht mit in den Saal genommen werden. Auf den Blättern geht es irgendwie um Rudolf Hess, aber strafrechtlich gesehen ist nichts Verbotenes drauf, der junge Mann wird sie später wieder abholen können.

Die Kiebitze, die jeden Tag ins Gericht kommen, stehen an den Absperrgittern und diskutieren die Angelegenheit, Tenor: "Was das wieder kostet." Ansonsten ist interessanter, was in anderen Prozessen los ist - "Rauschgift, sechs Jahre, da gibt's hernach das Urteil".

Um in den Sitzungssaal A 101 zu kommen, in dem der Neonazi-Prozess stattfindet, müssten sie wie alle anderen die Leibesvisitation über sich ergehen lassen, aber das tun sie nicht - sie sind Prozess-Hopper, wenn's in dem einen Saal zu langweilig wird, schnell ab in den anderen.

"Bundesanwalt - das klingt ja fast wie FBI"

Nebendran der Vorsitzende Richter einer Landgerichts-Kammer, er schaut neidisch auf die drei Ankläger, ein Bundesanwalt und zwei Staatsanwälte am Bundesgerichtshof, die gerade in den Sitzungssaal rauschen: "So eine schöne rote Robe hätte ich auch gerne", murmelt der Vorsitzende Richter, und: "Bundesanwalt - das klingt ja fast wie FBI."

Zehn Minuten bis zum Beginn der Verhandlung. Jetzt dürfen die Fotografen in den Saal, es ist ein großes Hauen und Stechen um die besten Plätze, und von draußen ist ein großes Geblitze zu erkennen, alle halten drauf, was die Akkus hergeben.

Nur - worauf? Die Angeklagten Jessica F. und Andreas J., die für sich kein Fotografierverbot ausgehandelt haben, sind nicht im Saal, und weil sie nicht aus der Haft vorgeführt werden, sondern auf freiem Fuß sind, kann sie auch niemand zwingen hereinzukommen.

So richtig sexy ist das nicht

Die Fotografen fotografieren Aktenstapel, rote Roben, Rechtsanwälte - aber so richtig sexy ist das nicht, die meisten schauen enttäuscht, als sie herauskommen, und filmen vorsichtshalber noch einmal die Sitzungstafel.

Drinnen beginnt jetzt die Verhandlung, die Atmosphäre ist ruhig und konzentriert, nur Hayo Klettenhofer nebst Kamerad sitzt da und grinst. Erst einmal müssen die Verteidiger die böse Presse geißeln, die ihre Mandanten schlimm vorverurteilt habe.

Monika S., die zunächst als einzige aussagen wird, weint schon, als sie hereinkommt, die anderen Angeklagten scheinen durchaus beeindruckt zu sein von fünf Berufsrichtern, drei Anklägern und einem vollen Zuschauerraum.

Die Kiebitze draußen haben sich zu aufregenderen - und leichter zugänglichen - Prozessen verzogen, der Landsgerichts-Richter fragt sich selbst, "ob ich vielleicht doch noch was arbeiten soll".

Vor dem Gerichtsgebäude führt einer einen Privat-Prozess gegen Unbekannt mit Hilfe eines Plakats, es geht um einen Massenmord in der Reichenbachstraße 1970, so steht es auf dem Plakat des Mannes, er scheint eine umfangreiche Dokumentation dabeizuhaben - wer da jetzt hingeht, um zu fragen, kommt unter einer Stunde nicht mehr weg.

Ein junger Türke spricht vor dem Sitzungssaal einen Polizisten an: "Ej, wo geh' ich 214?" Er bekommt den Weg erklärt und klettert die Treppen hinauf, um seinen Führerschein, sein Geld oder seine Freiheit bangend. Ganz normal.

© SZ vom 7.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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