Geistliche Wiesn-Bedienung:"Herr Pfarrer: Zwei Mass, bitte!"

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Pfarrer Schießler ist nicht auf der Wiesn, um dort die Feiernden zu ermahnen. Nein, er schenkt ihnen ein - und die religiösen Gespräche sind besser als in der Kirche selbst. Der Grund für seinen Schank-Job ist aber ein anderer.

Franziska Schwarz

Die zwei älteren Damen im Biergarten des Schottenhamel-Festzeltes, mit Tweed-Kostüm, geordnetem Haar und elegantem Hut deuten lachend auf den Mann neben ihnen, mit knallblauer Regenjacke und grober Sportuhr. "Der Kellner hat uns eben unsere Beichte abgenommen!" sagen sie.

Ausschenken für einen guten Zweck: Pfarrer Schießler (Foto: Foto: SZ/Rumpf)

Rainer Maria Schießler entgegnet: "Normalerweise müsste dann aber zwischen mir und den Damen eine Abschirmung stehen". Der 45-Jährige ist seit fast 20 Jahren Pfarrer und betreut die Gemeinde der Kirche Sankt Maximilian im Glockenbachviertel.

"Natürlich bin ich katholisch - einen evangelischen Pfarrer würde seine Frau doch gar nicht hierher lassen", witzelt er, und beschreibt mit seinem Arm einen Bogen über die vorbeidrängenden Menschenmassen. "Wir haben da einen beliebten Witz: Die Katholiken haben den Papst, die Evangelen ihre Frau."

Aber Schießlers eigentlicher Beruf zählt heute nicht. Eine Bedienung des Schottenhamel unterbricht ihn hektisch: ob er es war, der dem Typen da hinten eine Mass hingestellt hat. "Ich bin schuldlos", erwidert der Pfarrer gelassen. Er ist seit vier Stunden auf Schicht im Schottenhamel - mehr als sechs Stunden hat er noch bis Dienstschluss vor sich.

"Das hier ist ein Knochenjob!"

Seit zwei Wochen schleppt der Pfarrer Masskrüge, serviert Wiesn-Hendl und nimmt Trinkgeld entgegen. Zehn bis elf Stunden ist er täglich auf den Beinen, stemmt an die 14 Mass. "Das hier ist ein Knochenjob - in jeder Hinsicht", sagt er. "Normalerweise habe ich hier auch öfters mit einer Mass gesessen, und einen Bierbauch angesetzt. Doch diesmal habe ich schon fünf Kilo abgenommen."

Den Stress sieht man ihm nicht an: er ist die Ruhe selbst. Er schaut versonnen in den Münchner Nachmittags-Himmel und seine Stimme wird eindringlich: Er spricht von seiner Mission. Sein Vorhaben ist, seinen kompletten Wiesn-Lohn einer gemeinnützigen Stiftung zu spenden. Das klingt erst mal wie das Klischee vom wohlwollenden Geistlichen - im Gespräch mit Schießler wird jedoch klar, wie bodenständig er ist.

Dass er das dazuverdiente Geld nicht einstecken würde, sei ihm in den ersten Tagen klargeworden. "Das hier ist eine Mega-Party. Diese Freude möchte ich weitergeben. Die Menschen stehen hier täglich gegen vier Uhr nachmittags auf den Tischen, und singen 'Viva Colonia' - das ist die pure Lebenslust. Aber woanders, in der Dritten Welt, haben die Menschen auch Lust zu leben. Nur da geht es meist darum, überhaupt zu überleben."

Vorbild Lotti Latrous

Er geht kurz ins Zelt, und kommt mit einem Taschenbuch zurück. Während er spricht, tippt er immer wieder energisch auf den dessen roten Einband: Das Buch "Madame Lotti" von Gabrielle Bauman-von-Arx habe ihn dazu inspiriert, für einen sozialen Zweck zu arbeiten.

Die Schweizerin Lotti Latrous kämpft in einer eigenen Klinik an der Elfenbeinküste gegen das dortige Elend. Schießler ist beeindruckt von der Stärke dieser Frau.

Zu dem für einen Geistlichen ungewöhnlichen Nebenjob ist er durch Zufall gekommen. Er war auf dem diesjährigen Neujahrempfang der CSU - "schwarz und schwarz gesellt sich gern", witzelt er. Dort habe er den Wiesn-Wirt Schottenhamel persönlich kennen gelernt und spontan gefragt, ob er während der Wiesn in seinem Zelt aushelfen könne.

"Ich wollte nicht nur die Arbeiter fragen, wie es ihnen geht". Derart "klerikal bestückt", wie er es ausdrückt, wäre er sich scheinheilig vorgekommen. "Ich will den Arbeitsalltag am eigenen Leib erfahren." Daher hat er schon als Erntehelfer oder Volontär bei der Fußball-WM gearbeitet. Die Jobs macht er stets während seines Urlaubs.

Das Handy immer in der Hosentasche

Mit seinem Beruf als Pfarrer kollidiere der Wiesn-Job nicht, denn er hat Urlaub, eine offizielle Vertretung, und immer das Handy in der Hosentasche - falls doch mal etwas ist. Vor seiner Schottenhamel-Schicht hält er auch jetzt täglich eine Messe bei sich zuhause.

Bei der Frage, ob seine kirchlichen Kollegen den Job auf dem Vergnügungsfest nicht skeptisch sehen, zieht er erstaunt die Augenbraue hoch. "Das hier ist doch ein ehrbarer Job!" Die Kirchenpädagogen hätten ihn immer gelehrt, nahe an das Volk zu gehen.

Genau dort ist er jetzt, und deshalb macht ihm die körperliche Arbeit nichts aus. Als Einziges stört ihn die Ungeduld vieler Gäste, die sich aufführten "als sei hier eine Hungersnot".

Wiesn-Besucher mit religiösen Anliegen

Seit sich seine Anwesenheit auf dem Oktoberfest herumspricht, kommen stets Leute zum Plaudern und Diskutieren vorbei - und er nimmt sich die Zeit. "Besser als hier kann man Missverständnisse gar nicht aufklären." Die angebliche Kirchenfeindlichkeit und Ignoranz gegenüber der Religion sei nicht wahr - er erfahre nur Interesse. Näher als auf dem Oktoberfest könne die Kirche dem Volk gar nicht kommen, findet Schießler: "Warum mischen sich nicht mehr Geistliche ins Gemenge?"

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