Internationales Restaurant Isarvorstadt "G*":Schnörkel und verbaler Zierrat

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Im G* regiert normalerweise Holger Stromberg. Obwohl der Küchenchef der deutschen Nationalmannschaft gerne die unverfälschte Direktheit guten Essens preist, hat man es hier nicht so mit dem Profanen.

Carolus Hecht

Dieser Text ist leider veraltet, das Restaurant gibt es inzwischen nicht mehr.

Anziehende Distanziertheit: Mit dem G* unterhält Stromberg eine der an kulinarischem und preislichem Anspruch ambitioniertesten Stätten Münchens. (Foto: Foto: Alessandra Schellnegger)

Die Früchte des Ruhms können süß und mannigfach sein. Für Holger Stromberg, den einst jüngsten in Deutschland je mit einem Michelin-Stern geschmückten Koch, hat er höchste Aufgaben gebracht, nämlich nicht nur Kalbs-, sondern auch Meistermägen zu füllen. Als offizieller Küchenchef der deutschen Nationalmannschaft begibt er sich bei der Fußball-EM in ein gefährliches Verantwortungsgemenge: Werden es in drei Wochen vielleicht Unbilden buchstäblich im Innersten der Mannschaft gewesen sein, die ein schmähliches Abschneiden mitverschuldet hätten?

Oder sollte die Kühnheit der Küchenkreationen die Choreographie auf dem Rasen wesentlich beflügelt haben? Und was, so hat man Stromberg gefragt, werde es denn geben, wenn die Teutonen tatsächlich Europas Meister würden? Weise hat er gesagt: "Ich bezweifle, dass in so einem Moment jemand ans Essen denkt. Es gibt aber eine Art Ritual: Nach wichtigen Siegen wird es mit Sicherheit Schnitzel oder Pizza geben. Was ganz Profanes. Als Dank und Lohn nach all dem Verzicht in der Vorbereitung."

Im G*, nach eigenem Ausweis Bar, Lounge und Restaurant, hat man es sicher nicht mit dem Profanen. Stromberg unterhält nahe dem Baldeplatz eine der an kulinarischem und preislichem Anspruch ambitioniertesten Stätten Münchens. Dem Zeitgeist gemäß wuchtig, aber in gerader Linienführung möbliert, mit pittoresk-abstrakten Ornamenten zwischen Kunst und Handwerk, ist dies ein Ort von anziehender Distanziertheit. Vorab gibt's farbenfrohe Cocktails, am Tisch lockt ein Karussell von Olivenöl und Salzen, prätentiös, für Uninteressierte ziemlich gespreizt. Wer aber die feinen Differenzen beim Salz und die markanten beim Öl erkunden will, kann mit einem hübschen, identitätsstiftenden Gesellschaftsspiel beginnen. Chef Stromberg preist sonst gerne unverfälschte Direktheit guten Essens. Im G* dominieren Schnörkel und verbaler Zierrat.

Sehnsucht nach dem puren Fisch

Beginnen wir das Fest mit dem Spieß von Jakobsmuscheln und Kalbskopf mit - welche Poesie - Erbsen-Löwenzahn-Cocktail, der beweist, wie die scheinbar derbe Korrespondenz zu dem delikaten Meerestier geschmacklich glänzen kann. Makellos das Törtchen vom gelben Zucchino mit Brunnenkresse auf marinierten Radieschen und Pinienkernvinaigrette. Spargel roh mariniert, Thunfisch mit Chili und Ingwer lackiert - hier ist zu studieren, was roher Fisch wirklich vermag. Nur der Gelbwurz-Arme-Ritter dazu ist ein dürrer Pappriegel. Höchst befremdlich auch, dass sich die Perlhuhn-Liebstöckel-Weißwürstchen auf Spargelrisotto und Burgunder-Senfcoulis durch eine drastische Überdosis Salz dem Urteil entziehen.

Die geschäumte Bärlauchsuppe mit Edelfisch-Wantan hingegen lehrt den virtuosen Umgang mit dem sonst modisch überfrachteten Frühlingskraut. Gemeinsam mokiert sich die Runde über den Begriff "Edelfisch": Ist nicht der Hochseefisch, also gleichsam der "Prekariatsfisch", noch gesünder und keineswegs weniger edel? Der Seeteufel im Teriyakisud (eine Soja-Reiswein-Gewürz-Soße) und geräuchertem Aprikosen-Bonito-Crumble (der Bonito ist ein Verwandter von Thun und Makrele) und sautierten Zuckerschoten?

Ein Rezept wie ein Küchenlexikon, ein zwar genießerisches Getümmel auf dem Teller, das bei aller Delikatesse Sehnsucht nach dem puren Fisch weckt, mit nur bescheidener Begleitung. Kalbsfilet mit Spargel en Papillote, in der Papierrolle, mit Kalbsschwanzravioli und Trüffeljus belegt klassische Meisterschaft. Im G* lässt man so ganze Kaskaden von Düften und Würzlinien ineinanderfließen, wie Ingwerjus und Zitronenthymian-Kaiserschmarrn zum Kalb mit Mangold. Oft ergeben sich daraus herrliche Wellen des Reizes, nicht immer aber gelingt dies so klar, wie man es bei so viel Aplomb erwarten muss.

Himmlisch süße Assoziationen

Am Ende schlägt man im G* noch besonders delikate Saiten an. Das Wasabipraliné mit Sauerampfersorbet lässt in unserem Tischpoeten musikalische Empfindungen wie bei den Spätromantikern anklingen, faszinierend, unergründlich. Unser Lieblingsteller die Spargel-Pannacotta mit Himbeersorbet und Zuckertomaten: himmlisch süße Assoziationen ohne irgendwie süß zu sein. Und wieder ein Ausreißer: die Taleggioterrine mit Mispelcoulis und Wildkräutern ist ein überwürztes, zähes Flädchen; wie fein wäre dagegen der pure Taleggio.

Wohltuend der unaufdringliche Stil der dienstbaren Geister. Wie angeregt wird man von Gianni Comes, der den Maitre im Restaurant gibt, bei der Weinwahl beraten. Der distinguierte Italiener geizt nicht mit vom Mainstream abweichenden Vorschlägen sowie mit eleganter Zuvorkommenheit. Die Wahl des Canetto d'Angelo aus der Basilicata zum önologischen Hauptstück des Abendmahles entzückt auch den Maitre: Ein dichter purer Aglianico mit viel Struktur und kräftigem, harmonischem Tannin, das die Aromen der Gerichte nicht erdrückt.

Sollten übrigens die Deutschen wirklich Europameister werden, sie sollten sich die Pizza bestellen. Oder sich in Wien, wo das Endspiel stattfindet, in einem x-beliebigen Beisl ein Wienerschnitzel backen lassen, nicht aber im G*. Zufällig schwärmt Stromberg am Tage eines unserer Besuche im Fernsehen, sein eigenes Lieblingsgericht sei eben das Wienerschnitzel. Zugegeben, unser perfekter italienischer Service-Meister windet sich, will abwehren, ordert es dann doch. Was für ein trauriger Lappen, die "Panier" lasch und teils zu blass, teils zu dunkel. Aus Wien würde man den Koch im Schimpf vertreiben.

© SZ vom 09.06.2008/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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