Fünflinge:Schultüten x 5

Lesezeit: 5 min

Ihre Geburt vor sechs Jahren galt als Sensation. Jetzt kommen Albin, Alma, Agnesa, Aurela und Argenita in die Schule. Wie die Familie das schwierige Leben meistert.

Von Anne Goebel

"Bei Zwillingen hört der Spaß auf", sagt Enver Gashi. Klar, man will als Vater ja auch sonst noch was vom Leben haben. Sich austoben im Fitness-Studio nach einem langen Tag im Job, nette Kollegen treffen, ganz normale Dinge. Für Enver Gashi ist das nicht drin, sein Leben ist auch nicht unbedingt das, was man normal nennen würde. Zuhause wartet auf ihn nach der Arbeit wieder jede Menge Arbeit, und es warten Albin, Alma, Agnesa, Aurela und Argenita.

Albin, Alma, Agnesa, Aurela und Argenita Gashi mit ihren fünf Schultüten. (Foto: Foto: Catherina Hess)

Im Fall von Herrn Gashi war nämlich bei Zwillingen noch lange nicht Schluss, vor gut sechs Jahren beim Geburtstermin seiner Frau Susanne im Klinikum Großhadern. Susanne Gashi bekam Fünflinge. Vier Töchter, einen Sohn.

Die Schultüten stehen aufgereiht

Die Sensation der "Münchner Fünflinge" ging groß durch die Presse damals, im Januar 1998. Man konnte lesen, wie schwach sie waren, weil sie drei Monate zu früh auf die Welt gekommen waren, dass das fünffache Überleben der winzigen Säuglinge an ein Wunder grenze.

Heute, sechseinhalb Jahre später, stehen zuhause bei den Gashis die Schultüten aufgereiht für das große Ereignis am 14. September 2004. In vier Tagen kommt das Quintett in die erste Klasse, und abgesehen davon ist es immer noch ein kleines Wunder, wie diese Familie den Alltag bewältigt.

Besuch in Kolbermoor, ein Spätsommernachmittag im Garten. Die vier Mädchen tragen alle das gleiche rotgemusterte Flattersommerkleid, Albin ist in Hellblau, und wie sie zu fünft die Leute von der Zeitung in Augenschein nehmen, erst von weitem, dann die Hände ausstrecken zur Begrüßung: Es ist die schiere Menge an vielen kleinen gleichgroßen Menschen auf einmal, die frappiert.

Zwanzig zappelnde Gliedmaßen

Fünf Paar dunkle Augen, zwanzig zappelnde Gliedmaßen, zehn nackte braungebrannte Füße auf den Terrassenplatten. Wie ein Rudel junger Tiere umflitzen Albin und Alma, Agnesa, Aurela und Argenita den Besuch.

Susanne Gashi serviert Wasser und Kaffee, und eins ist schon nach ein paar Minuten klar: Man wird es an diesem Nachmittag nicht schaffen, die Namen und die Kinder auseinander zu halten. Warum alle Namen mit dem Anfangsbuchstaben A?

Enver Gashi, der seine Turnschuhe ausgezogen hat und am Boden auf dem weichen Teppich vor der Eingangstür sitzt, zuckt lachend die Schulern. Da stecke nichts besonderes dahinter, die Namen hätten ihm einfach gefallen, "das hat halt gepasst", sagt er.

Und es ist ja wirklich so, dass die Gashi-Kinder irgendwie aus einem Guss sind. Gashi eins, Gashi zwei, Gashi drei und so weiter, das hätten sich die Ärzte und Schwestern damals am Tag der Entbindung zugerufen und die Frühchen schnell weitergereicht in die mobilen Brutkästen, damit sie rechtzeitig vom Kreißsaal zur Spezialbehandlung in die Neonatologie kamen.

Alle haben überlebt

Während der Vater das erzählt, schaut er ernst, fast kummervoll, dann sagt er den Satz mit den Zwillingen und dass da der Spaß aufhört. Am Ende ist es gut gegangen, alle haben überlebt, Albin, der mit 960 Gramm als erster kam, die drei dazwischen, Argenita, die letzte und leichteste.

"Sie sind alle da", sagt Enver Gashi, der schon vor der Geburt seiner fünf Kinder einiges mitgemacht hat, der aus dem Kosovo floh, dessen vier Semester Medizin in Deutschland nichts wert waren, der den Traum vom Arztberuf aufgeben musste und Krankenpfleger wurde.

"Ich war der erste, der allererste!", kreischt Albin mittlerweile zum dritten Mal, man muss sich schließlich durchsetzten gegen vier (sehr bezaubernde) Schwestern, welche seinen Auftritt prompt mit Augenverdrehen ignorieren.

Enver Gashi schaut auf die zehn von der langen Holzbank herunterbaumelnden Beine seiner Kinder, "trotzdem, ich möchte nicht wechseln", sagt er. Nein, tauschen will er nicht, obwohl vor allem die ersten Monate unglaublich hart waren. Zigmal am Tag wickeln und füttern, ständig war einer der immungeschwächten Säuglinge krank, an Schlaf war nicht zu denken.

Susanne Gashi hielt der Belastung nicht mehr stand, als sie auch noch zwei Familienangehörige im Kosovo-Konflikt verlor: Sie erlitt einen Zusammenbruch. Aber es ging irgendwie weiter, die Babys wurden größer, das Geld knapper. Auszug aus der Futterbilanz im zarten Alter von Vier: drei Laib Brot am Tag, 30 Liter Milch und 60 Joghurts in der Woche. Das war hart.

Schön war, wie normal die Kinder sich entwickelten, dass sie munter waren, gesund. So ist das bei den Gashis. Alles ist immer fünfmal so schlimm - und fünfmal so schön.

Jetzt die Schule: Große Freude, die Spannung, erzählen die Eltern, steigt täglich. "Ich liebe Schuuu-le, kein Kindergarten mehr", intoniert Albin in gewohnter Lautstärke und im Stakkato, die Mädchen fallen ein.

Susanne Gashi, eine stille ernste Frau, die meistens ihrem Mann das Reden mit Fremden überlässt, holt die mit Jubel in Empfang genommenen Schultüten. Enver erzählt, dass er ganz schön froh sei: "Dreihundert Euro Kindergartengebühren jeden Monat, das war schon was."

Auf mehrere Klassen verteilt

Die Kinder werden auf mehrere Klassen verteilt, dazu hat der Rektor geraten, obwohl es den Eltern schwer fiel. Sie hätten die Fünf lieber zusammen gesehen, allein aus praktischen Gründen, um nur mit einem Lehrer, einer Sprechstunde, einem Termin für den Elternabend zu tun zu haben.

Erst ist man versucht, dem Gedanken des Schulleiters zuzustimmen, natürlich, die Kinder müssen mal raus aus dem Quintett! Dann kommt Enver Gashi mit seinem Einwand, und es wird einem klar, dass man sich gar keine Vorstellung macht vom Leben dieser Familie.

Die Gehrerstraße in Kolbermoor: ein weiß gestrichenes Familienhaus mit Garten und zehn bunten Kindersommerschuhen auf der Terrasse. Und ein Logistikzentrum für schwer organisierbaren Alltag. Fünf Schultüten sind gekauft, von den teuren Ranzen bisher nur der erste Schwung, Nummer vier und fünf stehen noch aus.

Das schmale Gehalt als Krankenpfleger muss für sieben Menschen reichen. Die nagelneuen Federmäppchen hält die Mutter unter Verschluss, damit zum Schulbeginn nicht schon die ersten Stifte verloren gegangen sind. Überblick ist alles.

Hilfe hat es viel gegeben, aus der Nachbarschaft, vom Chef und den Kollegen der Klinik, wo Enver Gashi beschäftigt ist. Unterstützung vom Staat, über das Kindergeld hinaus? Keine. Antrag auf eine Haushaltshilfe während Susanne Gashis Erkrankung? Nicht genehmigt.

Sie schüttelt still den Kopf, als er davon erzählt. Und es hat auch Ablehnung gegeben, hier in der adretten oberbayerischen Vorgartenlandschaft, fünf Kinder können sich, auch wenn das mancher gerne hätte, nicht unsichtbar machen oder unhörbar.

Albin ist schwer verliebt

Albin, Goldkettchen am rechten Arm, diesen Sommer schwer verliebt in eine doppelt so alte Blondine aus dem Freibad, Albin markiert mit seinen sechseinhalb gern den Macker. "Kauf mir einen Bruder", sagt er zu seinem Vater, wenn es ihm zu bunt wird mit den vier Mädels. Und: "Arzt und Doktor" verkündet er jetzt breitbeinig auf die Frage nach dem Berufswunsch.

Die Mädchen wollen Tänzerin werden oder Lehrerin und ziehen Argenita ein bisschen auf, die immer an der Mutter hängt und später mal "Mama sein" will. Kurzzeitig entsteht Gerangel um einen blauen Füllfederhalter, Schreibvorführung ist angesagt, klar können sie schon alle ihren Namen kritzeln, Albin ist als erster dran, Tränen bei Argenita, die als die Klügste gilt, sich aber prompt als einzige verschreibt.

Wie sie da über einen karierten Notizblock gekauert hocken, das Rudel in Rotgeblümt und Hellblau: Spätsommeridylle im Garten, ein paar Tage, bevor die Schule ihnen ein Stück von ihrer Freiheit wegnimmt.

Herrn Gashi wären so nostalgischen Gedanken übrigens fremd. Er will, dass seine Kinder eine gute Ausbildung bekommen, dass sie ordentliche Berufe lernen. Er empfindet die Zäsur, die der Schulanfang bedeutet, nicht als sentimentalen Abschied.

Eher wird ihm so klar, dass er, dass sie alle zusammen viel geschafft haben bis hierher. "Sie sind gute Kinder", sagt er. "Ich möchte, dass sie ein gutes Leben haben." Enver Gashi wünscht sich das selbe wie jeder Vater der Welt. Nur eben mal fünf.

© SZ vom 11.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: