Fremdenverkehr:Im Bann der roten Spinde

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Die Allianz-Arena wird zur Touristenattraktion: 30 Betreuer führen jeden Tag mehr als tausend Besucher durch das neue Fußballstadion.

Von Michael Tibudd

Hans-Joachim Fundus hat schnell eine These parat in Sachen Unterschied zwischen altem und neuem Münchner Stadion. Er ist gerade Treppe G an der Ostseite der Allianz-Arena hochgelaufen. Sie hat ihn von der Markenwelt mit ihren vielen Läden ganz nach oben geführt, auf Rang drei, da, wo man den besten Überblick hat.

(Foto: Foto: AP)

Ein erster Eindruck ist da: wie steil die Ränge sind, wie schlicht grau die Sitze, wie nah auch hier oben der Rasen, wie eng das ganze Stadion ist. All das muss seinen Testosteron-Spiegel kräftig angehoben haben. Die Arena, etwas Weibliches? "Für uns Männer ist das hier viel besser", sagt er. "Hier geht es um Fußball." Das Olympiastadion für ihn dagegen: feminin. "Frauen interessieren sich ja mehr für das Drumherum. Dafür war der Olympiapark da."

Ob die Arena in Fröttmaning wirklich männlich ist, davon können sich seit vergangener Woche Menschen jeden Geschlechts beinahe jederzeit selbst ein Bild machen. Seitdem nämlich bieten die Stadion-Betreiber Führungen an.

Und der Andrang ist riesig: "Momentan werden wir überrannt", sagt Harald Mayer, der das Besucher-Management leitet. "Gut 1000 Leute kommen jeden Tag." 30 Stadionführer hat er in den vergangenen Wochen eingestellt und sie Zahlen und Fakten pauken lassen rund um die Bauphase und das fertige Bauwerk. In rund 30 Führungen pro Tag zwischen 10 und 19 Uhr können die neuen Mitarbeiter nun ihr Wissen los werden.

Pathos im Zeitraffer

So wie Christian Selbherr, der die Gruppe rund um Hans-Joachim Fundus, München-Tourist aus Sindelfingen, führt. Beim Allianz-Arena-Shop in der Markenwelt auf Ebene drei hat er seine zahlenden Kunden begrüßt - fast 50 sind es, eine ziemlich große Gruppe. Die hat er dann erst einmal ins Kino geführt. "Ein kleiner Film zur Einstimmung." Auf der Leinwand dann: In drei Minuten der Weg vom Nichts in der Fröttmaninger Heide zum fertigen Stadion.

Männer, die baggern, Männer, die Beton gießen, Männer, die bei Sonnenuntergang auf Gerüsten stehen. Viel Zeitraffer, viel Pathos. Nach dem Film: Viele Stufen, eben hoch zum Oberrang. Denn so funktioniert das Konzept der Stadionführungen: "Wir gehen jetzt in einem Stück ganz rauf, so lange Sie noch bei Kräften sind", ruft der Führer seiner Gruppe entgegen. "Danach geht es nur noch runter."

Unter dem Dach dann endlich Zeit für Fragen. Wie hoch das Stadion ist? Wie viele Sitzplätze es hat? Wo welche Fans sitzen? 52 Meter, 66000, in der Südkurve die Bayernfans, im Norden die Sechzger: Allzu schwer machen es die Besucher, viele von außerhalb Münchens, ihrem Führer nicht.

Vom Oberrang weiter hinter die Tribüne, ganz nah an die Luftkissen der Außenhaut, ein Blick auf die Neonröhren, die das Stadion zum Leuchten bringen. "Verstehe", "ach so ist das" - Selbherr erklärt technische Details und beschert den Besuchern eine Menge Aha-Erlebnisse.

Schnell geht es jetzt nach unten für die 50 Neugierigen, diesmal auf der Westseite des Stadions, über die Pressetribüne im Unterrang bis ans Spielfeld. Dort ein deutlicher Hinweis: "Rasen betreten verboten" - und die Besucher halten sich daran, sieht das Grün doch ohnehin recht mitgenommen aus.

Zum Sitzen zu aufgeregt

Statt auf dem Rasen verteilt sich die Gruppe entlang der Seitenlinie. Und es zeigt sich zum ersten Mal eine tatsächliche Geschlechter-Trennung: Besonders viele Frauen setzen sich auf die Trainer- und Ersatzbank. Ausruhen. "Ich bin hier sowieso nur meinem Mann zuliebe", sagt Therese Englert aus Bad Neustadt an der Saale. Und der ist verschwunden: Irgendwo im Stadion muss er sich selbstständig gemacht haben.

Zum Sitzen viel zu aufgeregt sind die meisten Männer hier an der Seitenlinie. Fremde gesellen sich in Grüppchen zusammen und fachsimpeln. "Kalt ist es hier", sagt Hans-Joachim Fundus jetzt über sein Männerstadion. "Da brauchste echt ein Sitzkissen." "Ach was, hier ist 30 bis 40 Prozent weniger Wind als im alten Stadion", glaubt dagegen Werner Mersmann aus Ingolstadt erkannt zu haben. Er winkt ab, dreht sich um und geht weg, Gespräch beendet. Nach 40 Minuten Besichtigung hat jeder seine festen Überzeugungen.

Kein Abstecher in die Löwen-Kabine

Feste Überzeugung ist es auch, die Wolfgang Starke am Ende gerade in dem Moment die Stimmung verdirbt, in dem sich andere im höchsten Glück wähnen: Es geht in die Umkleidekabine - die von den Bayern. Er beobachtet, wie viele fasziniert die schlichten, aber bayern-roten Spind-Türen auf und zu machen. "Eine herbe Enttäuschung" ist es für Starke, dass ein Abstecher in die Sechzger-Kabine nicht mehr vorgesehen ist. Er ist einer der wenigen Münchner in der Gruppe. Sein Herz gehört den Blauen.

"Super", "hat sich gelohnt", "hier muss ich auch zu einem Spiel mal her" - von den auswärtigen Stadion-Touristen vermisst die blaue Kabine keiner. Die Tour endet, wo sie begonnen hat. Manche investieren noch Geld in Stadion-Souvenirs, andere lockt das Restaurant. Bald werden sie das Stadion verlassen und Fröttmaning den Rücken kehren. Ein Drumherum gibt es hier ja nicht.

© SZ vom 14.06.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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