Freistaat drängt auf Islam-Unterricht:Angst vor Ghettoisierung

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Weil der Deutschunterricht intensiviert werden soll, könnten Kinder aus muslimischen Familien bald im Abseits stehen, befürchten Pädagogen.

Christian Rost

Der muttersprachliche Ergänzungsunterricht an den Schulen hilft Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, sich in zwei oder mehr Sprachen besser zurecht zu finden. Zugleich können in den zusätzlichen Stunden auch Themen besprochen werden, die im bayerischen Lehrplan sonst keinen Platz finden: die Islamkunde zum Beispiel.

Wenn in zwei Jahren nun der Ergänzungsunterricht nicht mehr angeboten wird, weil das Kultusministerium künftig auf einen intensiveren Deutschunterricht setzen will und zudem Lehrer aus ihren Heimatländern wie der Türkei keine Entsendeverträge mehr erhalten, steht die Gesellschaft vor einem Problem: Kinder aus muslimischen Familien erfahren dann womöglich nur noch von Imamen in Moscheen etwas von ihrer Religion. Sowohl der Freistaat als auch die Stadt befürchten in der Folge eine "Ghettoisierung" der Muslime und insbesondere der jungen Menschen unter ihnen.

Keine Antwort

Etwa 100 000 Kinder und Jugendliche islamischen Glaubens besuchen bayerische Schulen. Die Mitglieder im Sozial-, Jugend- und Schulausschuss des Stadtrats ließen sich deshalb am Dienstag über die Möglichkeiten eines islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen in München informieren. Den Punkt hatte die Fraktion der Grünen auf die Tagesordnung gebracht, und als Experten wurden der Professor für Religionspädagogik, Johannes Lähnemann von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen, und Ulrich Seiser, Ministerialrat im Kultusministerium, gehört.

Beide betonten den hohen Stellenwert, den das Thema vor dem Hintergrund einer erfolgreichen Integration von Muslimen haben müsse. Wie sich ein islamischer Religionsunterricht - unter staatlicher Obhut "im Einklang mit dem Grundgesetz" - aber in den Schulen organisieren lässt, auf diese Frage erhielten die Stadträte letztlich keine Antwort.

Wie Pädagogik-Professor Lähnemann ausführte, gibt es zwar in Erlangen einen erfolgreichen Modellversuch an zwölf Grundschulen zum Islamunterricht, wobei Muslime aus aller Welt, auch deutsche, an der Uni Erlangen-Nürnberg zu Lehrern ausgebildet werden. Damit aber bayernweit an den Schulen eine islamische Unterweisung erfolgen kann, muss dies eine landesweite islamische Religionsgemeinschaft zunächst beantragen: Religionsgemeinschaften haben im Freistaat einen Anspruch darauf, dass ihre Religion an den Schulen vermittelt wird.

Eine landesweite Gemeinschaft der Muslime existiert jedoch nicht, bislang stehen sich die einzelnen Gruppierungen sehr heterogen gegenüber. Einzelne Vereinigungen setzen unterschiedliche Akzente beim Praktizieren der islamischen Lehre, einige gelten als gut integriert, während andere unter dem Verdacht der Radikalisierung am Rande der Gesellschaft stehen.

Lokale Modellschulen

Um den Islamunterricht unter staatlicher Obhut dennoch hinzubekommen, setzten sich Vertreter des Kultusministeriums schließlich sogar mit der Milli-Görüs-Gemeinschaft, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, an einen Tisch. Eine landesweite Religionsgemeinschaft sei trotz aller Bemühungen aber nicht zustande gekommen, berichtete Ministerialrat Seiser.

Das Ministerium versucht es nun bei den Kommunen: An den 180 Grund- und Hauptschulen in München könnte die Initiative für einen Islamunterricht auch von Elterninitiativen ausgehen, schlug Seiser dem Stadtrat vor. Sie könnten so als "lokale Modellschulen" geführt werden. Das Gremium zeigte sich skeptisch, ob man die Verantwortung einfach auf die Eltern "abwälzen" dürfe. Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD) erkannte "Ratlosigkeit" und riet ihren Ratskollegen dazu, die Erkenntnisse zunächst in einer Expertenrunde erörtern zu lassen und erst dann Beschlüsse zu fällen.

© SZ vom 25.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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