Wie lebt es sich in der Boomregion?:Grenzen des sozialen Gewissens

Lesezeit: 3 min

Bessere Löhne, bezahlbare Wohnungen und die Kita-Plätze am besten gratis: OB-Kandidaten diskutieren mit dem DGB darüber, wie sie Geringverdiener gerne entlasten würden - und was tatsächlich machbar ist.

Birgit Goormann-Prugger

Freising _ Die Höhe der Kita-Gebühren, Wohnungsbau für Geringverdiener, Dumping-Löhne in der Flughafenregion und die Stadt als kommunaler Arbeitgeber, alles viel diskutierte Themen. Auch wenn Sebastian Habermeyer, Grüne, es langsam leid ist, wie er sagt, hochkomplexe Sachverhalte in Zwei-Minuten-Statements darzulegen: Bei der achten Podiumsdiskussion mussten Freisings sieben OB-Kandidaten am Donnerstag genau das wieder tun. Diesmal hatte der DGB-Ortsverband ins Asamfoyer eingeladen. Zwei Fragen standen im Mittelpunkt. Was kann sich eine Kommune leisten und wo kann sie überhaupt Einfluss ausüben, wenn es um die Belange der Arbeitnehmer geht? Die Senkung oder sogar die Abschaffung der Gebühren für die Kinderbetreuung wäre natürlich "ein Traum", so Habermeyer. Aber ist das auch finanzierbar? Benno Zierer, Freie Wähler, sagte dazu ganz klar "Nein". Auch Rudi Schwaiger, CSU, warnte davor. Worüber alle Kandidaten, außer Benno Zierer, mit sich reden lassen könnten, wäre eine Staffelung der Gebühren nach dem Einkommen der Eltern. Eine Forderung, die Eva Bönig, SPD, übrigens immer wieder stellt. "Aber mein Antrag wird immer niedergeschmettert". Unterstützung hatte sie von den Grünen. "Wir haben also immer zusammen verloren", erinnerte sich Habermeyer. Zierer sagte dazu, der Antrag sei abgelehnt worden, weil der Verwaltungsaufwand zu hoch sei. Beim Thema öffentlicher Wohnungsbau stellte der DGB die These auf, dass die Zahl der geförderten Wohnungen in Freising seit Jahren abnehme, was von den Kandidaten so nicht bestätigt werden konnte. Sowohl Eva Bönig als auch Rudi Schwaiger versicherten, ihre Zahl nehme in Freising sogar zu. Gerade im Moment würden an der Isarstraße 78 neue Wohnungen für Geringverdiener errichtet und Eva Bönig versicherte, Freising sei die einzige Kommune im Umland, die überhaupt noch in den öffentlich geförderten Wohnungsbau investiere "und viel ausbadet, was im prosperierenden Umland versäumt wurde". Helmut Priller, ÖDP, forderte, den Studentenwohnungsbau in Freising zu fördern, damit kleine und bezahlbare Wohnungen frei würden. Daniel Wilke, Linke, stimmte da nicht zu: "Das löst doch die Probleme auf dem Freisinger Wohnungsmarkt nicht", sagte er. Tobias Eschenbacher, Freisinger Mitte, indes könnte sich gut vorstellen, dass die Stadt selbst ein neues Studentenwohnheim baut, damit WG-Wohnungen jungen Familien zur Verfügung stehen würden. Aber die Probleme auf dem Freisinger Wohnungsmarkt mit seinen hohen Mieten, "die werden uns noch die nächsten 20 Jahre beschäftigen". Gute Arbeit, von der man in der teuren Flughafenregion auch leben kann, war ein weiteres Thema. Auch da war man sich einig: Wer arbeitet, soll auch seine Miete selbst bezahlen können - ohne Unterstützung durch die Arge. Dass Leiharbeiter schlechter bezahlt werden als das Stammpersonal, wollte Helmut Priller aus Sicht eines Handwerkers indes nicht rundweg ablehnen. Aber kann ein künftiger OB darauf Einfluss nehmen, welches Unternehmen sich in Freising ansiedelt, und möglicherweise solche, die Dumpinglöhne zahlen, verhindern? Hier sei der Einfluss in der Tat gering, so Habermeyer, aber die Stadt könne punkten, indem sie sich als Innovationszentrum und Hochschulstandort vermarktet und so hochwertige Firmen anziehen. Da ging er konform mit Eschenbacher. Die Stadt habe auch ein monetäres Interesse an solchen Firmen, denn das wirke sich auf die Gewerbesteuereinnahmen aus. Schwaiger stellte fest, man jammere in Freising auf zu hohem Niveau. Schließlich gebe es im Agenturbezirk 107 762 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, davon seien nur 1486 Ergänzer, deren Lohn so niedrig sei, dass er aufgestockt werden müsse. "Im Verhältnis zu anderen Standorten geht es uns also gut", sagte er. Daniel Wilke konnte berichten, als Student selbst in einem Niedriglohnjob am Flughafen gearbeitet zu haben. "Für 7,49 Euro brutto, teilweise bis zu 160 Stunden im Monat". Er forderte: "Gewerbeansiedlung ja, aber nicht zu jedem Preis". Zierer gab zu, das Wort "Jobs" nicht mehr hören zu können. "Das ist das Unwort des Jahrzehnts. Jobs, das sind doch keine anständigen Arbeitsplätze", sagte er. Die Stadt dürfe nicht nur darauf schauen, bei der Vermarktung ihrer Gewerbegrundstücke möglichst hohe Erlöse zu erzielen. "Wir brauchen gute Arbeitsplätze", forderte er. Auch die Stadt, so die OB-Kandidaten, habe als Arbeitgeber natürlich Vorbildfunktion. Ein Ausstieg aus dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst komme darum nicht in Frage. Und wenn die Stadt ihre Post künftig durch einen privaten Postdienst befördern lasse, dann müsse das schon eine gute Firma sein, die ihre Mitarbeiter auch anständig entlohne.

© SZ vom 11.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: