Senioren und Betreutes Wohnen:Autarke Mieter

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Senioren des Betreuten Wohnens im Echinger ASZ wünschen nur in Notfällen einen Ansprechpartner. Ansonsten führen sie ein eigenständiges Leben. Tragische Vorfälle, wie jener zur Jahreswende, bei dem ein 76-Jähriger starb, lassen sich kaum vermeiden.

Von Alexandra Vettori

Das letzte Lebenszeichen des alten Mannes stammt von Heiligabend. Da drückte er die Taste seines 24-Stunden-Hausnotrufes und signalisierte der Leitstelle "Alles in Ordnung." Irgendwann danach muss er einen Herzinfarkt erlitten haben. Als man den 76-Jährigen zwei Wochen später fand, war seine Leiche in Verwesung übergegangen. Die Nachricht Ende Januar schockierte. Denn der alte Mann hatte zwar keine Angehörigen mehr, lebte aber nicht in einer anonymen Mietskaserne, sondern im Betreuten Wohnen des Alten- und Service-Zentrums (ASZ).

Dass der Tote zwei Wochen lang in seiner Wohnung gelegen hatte, während auf dem Gang davor die Nachbarn der 33 anderen betreuten Wohnungen im ASZ aus- und eingingen, löst auch jetzt noch Entsetzen aus. Auch bei ASZ-Leiterin Siglinde Lebich. "Das ist eine traurige Geschichte", sagt sie. Sie war dabei, als man die Wohnung öffnete und den Leichnam barg. Tage, nachdem das Personal im ASZ immer unruhiger wurde, weil es den Mann länger nicht gesehen hatte. Tage, nachdem es vergeblich versucht hatte, die in Urlaub weilende Rechtsvertreterin des alten Mannes ausfindig zu machen. Freilich sei das ein Schock, dass so etwas in einem betreuten Wohnprojekt passiere, sagt Lebich, vor allem für das Personal und die Nachbarn.

Und doch: "Man darf sich kein falsches Bild von Betreutem Wohnen machen. Es bedeutet eigentlich unterstütztes Wohnen. Unsere Bewohner sind ganz normale Mieter, die im Mietvertrag festlegen, wie viel Unterstützung síe in Anspruch nehmen." Das bedeute nicht Pflege, könne es auch nicht bedeuten, bei 800 Euro Miete im Monat. In Betreutes Wohnen zögen die Senioren, die nur im Notfall einen Ansprechpartner haben wollten. "Jeder tut und lässt, was er mag, niemand muss sich abmelden", sagt Lebich. Auch der alte Mann nicht, der erst sechs Wochen vor seinem Tod gezogen war. Er nahm nur selten an einem der Angebote im Haus teil.

In einem ersten Zeitungsartikel war von einem Streichholz die Rede, das der Mann, der an beginnender Demenz litt, in sein Hausnotruf-Gerät gesteckt haben solle, um nicht regelmäßig den "Alles-in-Ordnung-Knopf" drücken zu müssen. Das aber war eine Zeitungsente. "In meinen Unterlagen findet sich nichts über eine Manipulation des Notrufgerätes", sagt Staatsanwalt Oliver Dopheide, bei dem der Fall inzwischen liegt. Die Kriminalpolizei hat die Akte geschlossen, sie geht von einem natürlichen Tod aus. Die Staatsanwaltschaft Landshut wartet noch auf den Obduktionsbericht, dann stellt sie das Verfahren ein.

Nach der Aktenlage hatte der alte Mann sein Gerät einfach ausgeschaltet. Das bestätigt Albert Söhl, Geschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes in Freising, dem Betreiber des Hausnotrufsystems im ASZ. Ist das Gerät aktiviert, schlägt es nach 24 Stunden Alarm, wenn der Knopf vom Teilnehmer nicht gedrückt wurde. "Dann wird angerufen und nachgefragt, was los ist", erklärt Söhl. Schaltet der Teilnehmer sein Gerät ab, weil er etwa verreist, muss er das nicht vorher mit dem BRK absprechen. Nachgefragt werde nicht, "bei 500 Geräten ist das kaum machbar", sagt Söhl.

Bleibt die Frage, ob für einen alten, an Demenz erkrankten Mensch, so ein Gerät ausreicht. Ein schwieriges Thema, sagt Siglinde Lebich: "Wir sprechen nicht über die Krankheiten unserer Leute." Ganz allgemein, betont sie, "können wir von der ASZ-Leitung nicht den Gesundheitszustand unserer Mieter abschätzen. Das ist erst möglich, wenn sie auffällig werden." Schließlich geht es hier um das Spannungsfeld Selbstbestimmtheit und Fürsorge: Denn selbstverständlich dürfen die Mietverträge nicht gekündigt werden, nur weil der Bewohner an Demenz erkrankt ist. "Der Mensch gibt nicht seine Grundrechte ab, nur weil er im Betreuten Wohnen ist", sagt Lebich. Im ASZ ist man trotzdem zusammengerückt, die Nachbarn achten mehr aufeinander, und Siglinde Lebich ertappt sich dabei, wie sie auf Briefkästen von Bewohnern schaut, in denen sich Werbung ansammelt. An deren Wohnungen klopft sie dann zur Sicherheit mal an.

© SZ vom 18.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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