Open Air am Vöttinger Weiher:Lasst die Kunst, lasst uns tanzen

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Das "Prima Leben und Stereo"-Festival in Freising berührt das Niveau ganz großer Bühnen.

Ralf Dombrowski

Die Alternativen hießen: Badehose oder Gummistiefel. Schließlich hatte die Wetterlage pünktlich am Vorabend von "Prima Leben und Stereo" ergiebige Niederschläge parat, um die Wiese am Vöttinger Weiher einzuweichen, nicht ganz so nachhaltig wie bei der legendären Schlammschlacht 2010, aber immer noch batzig genug. Das Publikum nahm es gelassen und prostete eben einmal mehr, um stilecht gechillt zu schliddern. Nicht ganz Woodstock, aber ein bisschen, und das keinen Kilometer Luftlinie vom Weihenstephaner Hügel entfernt.

Die Stimmung jedenfalls passte, auch weil die insgesamt 14 Bands der zwei Festivaltage manche Überraschung zu bieten hatten. Pandoras Box zum Beispiel kamen mit sphärisch pathetischem Pop, ein bisschen Floaten am ersten Nachmittag, während Young Chinese Dogs den zweiten Tag mit putzig charmantem Songwriting eröffneten. Manches enttäuschte wie der ziellose Dance Sound von Bodi Bill, der seine stilistische Mitte noch nicht gefunden hatte. Anderes wiederum war brillant wie die Elektro-Schlager in der D.A.F.-Nachfolge des Berliner Duos Jeans Team, das mit reichlich Ironie in Texten und karg-naiven Arrangements das Gezappel der dritten Generation Disko persiflierte. Groß gefeiert wurden Frittenbude, deren Elektro-Rap sich auf der Bühne allerdings als wenig abwechslungsreich herausstellte. Tiefbässe kurz vor der Herzrhythmusstörung trafen dabei auf Sägezahnsynthies und Texte, die nett anarchisch, aber im Kern harmlos Liebe, Spaß und Kifferei einforderten.

Da hatte der Headliner des Samstags deutlich mehr Substanz. The Notwist, das Weilheimer Pop-Labor, dem visionäre Diskursnähe nachgesagt wird, gab sich für eines seiner raren Konzerte die Ehre. Das Sextett präsentierte einen dicht gewebten Soundteppich, der mit viel Passion für das musikalische Detail Tranceräume mit weit ausladender Songdramaturgie entwickelte. Manche Lieder wuchsen auf viertelstundenlange Klangerzählungen an, transparent in der Form, aber auf einen sich stetig steigernden Fluss der musikalischen Energien gebaut, der das Publikum nach einer ästhetischen Gewöhnungsphase auf eine weite Hörreise von den Achtzigern bis in die Gegenwart mitnahm. Das war Pop auf dem Niveau der ganz großen Bühnen, wenn auch Markus Achers Gesang zuweilen noch etwas mehr Nachdruck vertragen hätte. Ein kleine Überraschung schließlich rundete "Prima Leben und Stereo" als letzter Festivalact ab. Denn das Hamburger Trio Fuck Art Let's Dance erwies sich als ebenso clevere wie versierte Indie-Combo mit viel britischem Esprit im stilistischen Stammbaum, die nach der großen Notwist-Elegie noch einmal die Tanzwütigen auf den Acker holte - auch wenn es schon wieder zu tröpfeln begann.

© SZ vom 06.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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