Freising:Ein Baum und viele Fäden

Lesezeit: 2 min

Eine Rotbuche hat jahrelang für Zwist zwischen Anwohnern und Landratsamt gesorgt - jetzt ist sie gefällt worden

Maximilian Gerl

Böse Zungen behaupten, das Geschehen an der Prinz-Ludwig-Straße 22 hätte den berühmten Schriftsteller Ludwig Thoma, so er noch lebte, bestimmt zu einem lustigen Bühnenstück inspiriert: Anwohner und Grundstücksbesitzer streiten hier seit Jahren um eine 120 bis 150 Jahre alte Rotbuche. Erhalten, sagen die einen; fällen, sagen die anderen. Das würde schon für genug Zwist sorgen, wenn nicht unerwartete Ereignisse das Geschehen zusätzlich verkomplizierten - zum Beispiel, indem die Mitarbeiter des Landratsamtes für Farbe sorgen, wo keine hingehört. Ihren vorläufigen Höhepunkt fand die Auseinandersetzung nun am vergangenen Freitag, als Teile der Rotbuche gefällt wurden. "Daran ist das Landratsamt schuld", ist Anwohner Bernd Kerscher überzeugt. Als unterste Umweltschutzbehörde hätte es sich um den Erhalt des Baumes kümmern müssen. Stattdessen habe man die Grundstückseigentümer gewähren lassen, die den Baum wegen eines geplanten Neubaus aus dem Weg räumen wollten.

Wie bei Thoma üblich, hatte alles ganz harmlos begonnen. Vor ein paar Jahren stellte eine Gartenbaufirma fest, dass der Baum kerngesund sei, von einigen kleineren Pilzerkrankungen abgesehen. Die Gärtner empfahlen, die Krone zurückzuschneiden und die dadurch verletzten Äste mit einer weißen Sonnenschutzfarbe zu bestreichen. Während die erste Fachfirma schon einmal besagte Farbe anlieferte, beauftragten die Grundstückseigentümer ein zweites Unternehmen mit einer neuen Expertise. Dieses kam zu dem Schluss, dass die Rotbuche erhaltenswert sei, sofern man ein wenig Totholz entferne. Das Landratsamt nahm das zur Kenntnis, hielt jedoch bei einer Besichtigung die bereitgestellte Sonnenschutzfarbe irrtümlich für Pilzschutzfarbe - und wies die zweite Firma an, damit den Baumstamm zu bestreichen. Das Ergebnis sah aufgrund des leuchtend weißen Farbtons nicht nur skurril aus, sondern war obendrein noch sinnlos, da der Stamm ganzjährig im Schatten liegt. Das wiederum nahm das ausgebootete erste Unternehmen zum Anlass, die Rotbuche abzulichten und in Vorträgen als abschreckendes Beispiel für "korrekt geplant, fehlerhaft umgesetzt" zu verwenden.

Anwohner Kerscher bombardiert das Landratsamt bis heute mit Anfragen zu der Geschichte. Die erfuhr im Dezember 2012 eine Fortsetzung, als die Gartenbaufirma Bauroth für die Grundstückseigentümer eine erneute Prüfung der Rotbuche durchführte. Ihr Fazit: Die Nordseite des Baumes war inzwischen total verfault. Schuld war eben jene Sonnenschutzfarbe, weil "der gummiartige Anstrich für ein gleichmäßig feuchtes Klima" sorgte und "Pilze somit optimierte Wachstumsbedingungen" vorfanden. Die Rotbuche habe deshalb noch höchstens fünf bis zehn Jahre zu leben. Da aber die Gefahr bestand, dass der Baum in eines der nahstehenden Gebäude umkippen könnte, musste er sicherheitshalber sofort gefällt werden.

"Das Landratsamt hätte das Für und Wider der Fällung besser abwägen müssen", moniert Kerscher. "Ein Entlastungsschnitt oder eine Wurzelbrücke hätte die Rotbuche vielleicht für ein paar Jahre gerettet." Die Firma Bauroth und das Landratsamt bezweifeln das. Für Kerscher steht daher fest, dass die Grundstückseigentümer im Hintergrund viele Fäden gezogen haben, um die Fällung voranzutreiben und ihr lange geplantes Mehrfamilienhaus zu errichten. Ohnehin gehe es schon lange nicht mehr nur um den Baum alleine, sondern ums berüchtigte Prinzip. "Ich kann nicht einsehen, dass eine Behörde schlampig arbeiten darf, die ich von meinen Steuergeldern bezahle." Es habe ihn zum Beispiel nur fünf Minuten gekostet, um über das Internet herauszufinden, dass die benutzte Farbe nicht geeignet sei. Das habe die Mitarbeiter des Landratsamtes aber nicht interessiert, so Kerscher. Sie sollten deshalb nun für ihre Fehler gerade stehen und in die Pflicht genommen werden.

Die Rotbuche selbst hält trotz aller Widrigkeiten tapfer durch. Denn da der Boden am Freitag hart gefroren war, konnte vorerst nur der obere Teil gefällt werden. Ihr kahler, weiß leuchtender Stamm hingegen harrt der Dinge, die da noch kommen mögen. Ludwig Thoma wäre sicherlich begeistert gewesen.

© SZ vom 27.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: