Erinnerungen:Die heilige Augusta, Gänse und ein Zauberer

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Renate Schöpf hat als Kind in einer der jetzt abgerissenen Petuel-Villen gewohnt. Sie erzählt von den anderen Familien und der Faszination dieser Häuser

Von Regina Bluhme

Ein Bild aus vergangenen Tagen: Die alten Villen an der Münchner Straße wurden abgerissen. Erbaut worden waren sie um 1900 von Ludwig Petuel, ein Freisinger Brauerei-Erbe und erfolgreicher Münchner Geschäftsmann. (Foto: Marco Einfeldt)

Die alten Villen an der Münchner Straße sind verschwunden. Das noch recht ansehnliche hellgelbe Haus mit dem Zierbalkon ist weg, ebenso das ramponierte Nachbarhaus mit dem verwunschenen Turm. Ludwig Petuel, ein Freisinger Brauerei-Erbe und erfolgreicher Münchner Geschäftsmann, hatte die Häuser um 1900 erbaut. Anfang Januar 2014 kamen die Bagger. Was bleibt? Ein paar Zeitungsartikel, Fotos, eine alte Postkartenansicht - und die Erinnerungen von Renate Schöpf. 1953 ist die damals Siebenjährige mit den Eltern und zwei Schwestern in das Haus mit Turm, "Villa Augusta" genannt, gezogen. Sieben Jahre hat die Familie im Parterre gewohnt. Mit Renate Schöpf geht es zurück in eine Zeit, in der die Villa samt Turm ein stattliches Haus mit gepflegtem Vorgarten war, das unter anderem von einer jüdischen Familie und einem bekannten Freisinger Kaffeehausbesitzer und talentierten Zauberkünstler bewohnt wurde.

Als erstes räumt Renate Schöpf mit der romantischen Vorstellung vom lauschigen Wohnen in einem der hübschen Turmzimmer der "Villa Augusta" auf. "Im Turm befand sich das Treppenhaus und auch das Etagenbad", berichtet sie. Die Parterrewohnung bestand aus einem Elternschlafzimmer, einer relativ großen Wohnküche, dem Wohnzimmer mit Erker und Kohleofen und dem Kinderzimmer. "Stuckdecken hatten wir nicht." Aber dafür riesige Fenster mit doppelten Scheiben und Oberlichten, hölzerne Fensterläden mit verstellbaren Lamellen und ein kleines Podest im Kinderzimmer. "Der Boden war aus Holz, ich glaube, das war Fischgrätparkett", vermutet Renate Schöpf. An der Straßenfront war eine bunte Gipsfigur angebracht, die "Heilige Augusta". Sie ist schon lange verschwunden.

"Bis 1954 wohnte über uns die Familie Steger, eine jüdischen Familie", erinnert sich Schöpf. Die Eltern seien im Konzentrationslager gewesen. Die älteste der drei Töchter, Laura, sei als junge Frau nach Amerika ausgewandert. Laura Waco hat 1997 einen autobiografischen Roman veröffentlicht, in dem auch das Haus an der Münchner Straße vorkommt. Sie beschreibt in dem Buch ebenfalls die hohen Fenster und erzählt von dem Vorgarten mit Blumen, Gemüse und Schnittlauch, den sie ab und zu geklaut habe. Außerdem berichtet sie, wie in dem Freisinger Haus Anfang der 50er Jahre im ersten Stock das jüdische Lichterfest und kurz darauf im Parterre Weihnachten gefeiert wurde.

An den Vorgarten kann sich auch Renate Schöpf gut erinnern. "Meine Mutter hatte dort einen kleinen Steingarten und ein Gemüsebeet angelegt." Hinter dem Haus gab es einen Apfel- und einen Zwetschgenbaum sowie eine Schaukel. Außerdem befand sich dort eine Schar Gänse, die der Flüchtlingsfamilie aus der Dachwohnung gehörte.

Nach dem Auszug der Familie Steger wohnte die Familie des bekannten Freisinger Kaffeehausbesitzers Hauptmann im ersten Stock. Ihm gehörte das gleichnamige Lokal an der Unteren Hauptstraße. Dort wurden die Gäste von den Kunststücken des begabten Zauberkünstlers Hauptmann unterhalten. "Er konnte zum Beispiel Uhren verschwinden lassen", erinnert sich Renate Schöpf.

Nach ihrem Auszug 1960 hat sie das Haus aus den Augen verloren, wie sie sagt. Doch immer, wenn sie dran vorbeigekommen sei, "hat es mir einen Stich in der Brust gegeben". Vor 14 Jahren ist eine ihrer Töchter mit Genehmigung des Hausbesitzers in die damals schon völlig verwahrloste Villa eingestiegen, hat Fotos gemacht und der Mutter die Dias zu Weihnachten geschenkt. "Wenig später bin ich selber mit der Tochter ins Haus hinein." Die Böden waren herausgerissen, die Fenster eingeschlagen, die Wände beschmiert, das Treppengeländer war zerstört: "Als ich das mit eigenen Augen gesehen hatte, da konnte ich abschließen, da habe ich mit dem Haus meinen Frieden gemacht."

© SZ vom 18.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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