Frauenhandel:Raus aus dem Elend, rein in die Hölle

Lesezeit: 5 min

Skrupellose Menschenhändler verkaufen Frauen wie Ware - auch in München. Die Ermittler stehen vor einem Berg von Problemen.

Von Monika Maier-Albang

Als ihr Vater sie zum ersten Mal vergewaltigte, war Jana sechs. Dass sie von ihm Prügel bezog, das kannte sie schon. Neu war, dass er ihr diesmal im Suff ein Messer an die Brust setzte und sich dann an ihr verging. Die Mutter, erzählt Jana, wollte davon nichts wissen.

Mit 18 riss Jana aus, lief weg von ihrer Roma-Familie, die in Böhmen lebt. Am Bahnhof in Prag traf sie andere "Zigeuner", wie Jana sie nennt. Die boten dem Mädchen Hilfe an, und eine heiße Schokolade. Jana erinnert sich noch daran, dass ihr schwindlig wurde. Als sie aufwachte, waren fremde Menschen um sie herum.

Die Sexstraße

Die hätten sie, erzählt die heute 30-Jährige in holprigem Deutsch, "auf die Sexstraße" geschickt. Jana konnte fliehen. Doch ihr Zuhälter fand sie, steckte sie in einen Keller, fesselte sie an Händen und Füßen, ließ sie vergewaltigen. Immer wieder. Jana hat Narben an den Schienbeinen, über die die Männer heißes Wasser gossen. Ein deutscher Freier verhalf Jana schließlich zur Flucht.

Heute lebt sie in München, wo sich Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle Jadwiga um sie kümmern. Dass Jana in Wirklichkeit nicht Jana heißt, liegt auf der Hand: Ihr früherer Zuhälter suche nach ihr, sagt Janas Betreuerin.

Janas Weg in die Zwangsprostitution ist insofern typisch, als sehr viele Frauen, die in die Fänge von Menschenhändlern geraten, mit prügelnden Vätern, Brüdern oder Großvätern aufwachsen.

Die meisten Frauen allerdings werden nicht geraubt, sondern mit falschen Versprechungen geködert: eine Stelle als Putzfrau im Westen, die alle Probleme lösen könnte. Die jungen Frauen, sagt Eleonore von Rotenhan, Geschäftsführerin von "Stopp den Frauenhandel", haben oft kranke Eltern daheim, ein behindertes Kind, oder sehnen sich einfach nach einem besseren Leben - deshalb willigen sie ein.

Jana zittert

Später verstummen die meisten Opfer aus Angst vor ihren Peinigern. Deshalb ist es etwas Besonderes, dass Jana auf einem Podium sitzt vor einigen hundert Zuhörern - Frauen zumeist - die zur Fachtagung "Stopp dem Frauenhandel" gekommen sind.

Die Hanns-Seidel-Stiftung, das katholische Osteuropa-Hilfswerk Renovabis und das "Aktionsbündnis gegen Fauenhandel" haben dazu nach München geladen. Jana zittert während des Gesprächs. Was sicher nicht nur an ihrer Aufregung liegt.

Franz Former, Leiter der Grenzinspektion Furth im Wald, hat im deutsch-tschechischen Grenzgebiet unzählige "schäbige Bordelle" gesehen, in denen "Mädchen wie Sklaven gehalten wurden". Wer nicht spurt, wer den Kunden nicht anlächelt, sagt Former, bekommt Schläge oder Tritte.

Vom Geld, das sie "erwirtschaften", sehen die Frauen wenig bis nichts, während sich die Händler an ihnen eine goldene Nase verdienen. Pro Woche könne eine Frau ihrem Zuhälter 20000 Euro einbringen, schätzt Jakob Pastötter, Sexualwissenschaftler an der Humbold-Universität. Die Gewinnspanne soll größer sein als beim Drogen- oder Waffenhandel.

Frauen frei Haus

Dass Frauen heute aus Weißrussland, der Ukraine, aus Rumänien oder Albanien kommen und kaum noch aus Südostasien, hat Rotenhan zufolge pragmatische Gründe: die Armut in Osteuropa, eine alte Nomenklatura, die mit den Menschenhändlern zusammenarbeitet und - so zynisch es klingen mag - "geringere Transportkosten". Die Frau ist Ware. Wird weiterverkauft, wenn die Freier sich langweilen. Wird ausgemustert, "wenn sie nur noch weint und schreit". Jana kann noch nur bei Licht schlafen.

Auf die Wünsche der Kunden reagieren die Händler schnell. Momentan hat die Münchner Polizei etwa eine "gestiegene Nachfrage nach Türkinnen" registriert. Also fahren die Menschenhändler nach Bulgarien. Dort lebt eine extrem arme türkische Minderheit - leichtes Spiel für die Anwerber, die längst nicht mehr nur Männer sind.

In Bayern, sagt Münchens Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer, ist ein Viertel der Tatverdächtigen weiblich. Auch Frauen durchschauen das Geschäft, das schnelles Geld bringt. Vor kurzem fasste die Polizei eine Bulgarin. Sie hatte ihre 16-jährige Nichte mit dem Versprechen nach München geholt, sie als Putzfrau unterzubringen. Sie brachte sie zu Männern.

Da die Bordelle häufig kontrolliert werden, findet die Polizei dort kaum noch Zwangsprostituierte. Die Zuhälter sind dazu übergegangen, den Freiern die Frauen frei Haus oder ins Hotel zu liefern - was die Arbeit der Polizei erschwert. Den Beamten bleibt oft nur die Telefonüberwachung. Und hier verweist Schmidbauer auf eine merkwürdige Rechtslage: Die Strafprozessordnung lässt Telefonüberwachung nur in Fällen zu, wo die Frauen mit List angeworben wurden, nicht aber dort, wo sie mit Gewalt zur Prostitution gezwungen werden.

Schmidbauer plädiert

Schmidbauer plädiert wie Bayerns Justizministerin Beate Merk für eine Ausweitung auch der präventiven Telefonüberwachung, die das Bundesverfassungsgericht gerade zum Teil für rechtswidrig erklärt hat. Um "diese moderne Form der Sklaverei" nachhaltig bekämpfen zu können, müsse man auch größeres Gewicht auf die Gewinnabschöpfung der Täter legen.

"Nur wenn es an den Geldbeutel geht, schmerzt es sie wirklich." Doch gerade hier haben die Ermittlungsbehörden ein personelles Problem: Es fehlt an Spezialisten, die sich mit dem Fluss illegaler Geldströme auskennen - viele wurden zur Terrorbekämpfung abgezogen.

Gesicherte Zahlen über Frauenhandel gibt es ebenso wenig wie eine strafrechtliche Definition. In der Kriminalstatistik wird bei Menschenhandel nicht nach Geschlecht unterschieden. Das Strafgesetzbuch kann laut den Pragraphen 180b und 181 "Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung" mit bis zu zehn Jahren Haft ahnden, wenn der Täter sein Opfer mit Zwang, unter Androhung oder Anwendung von Gewalt, durch List und Ausnutzung der Hilflosigkeit eines Menschen zur Prostitution veranlasst.

Die UNO geht von unglaublichen 200.000 Zwangsprostituierten in Deutschland aus, andere Schätzungen liegen bei 120.000. Dem gegenüber stehen 289 Ermittlungsverfahren mit 811 Opfern im Jahr 2002 - bundesweit. In Bayern hat sich 2003 die Zahl der Ermittlungsverfahren im Vergleich zum Vorjahr immerhin auf 126 verdoppelt.

Man habe "das Dunkelfeld etwas aufhellen können", sagt Petra Sandles, Kriminaldirektorin im bayerischen Innenministerium. Trotzdem gehört es noch immer zu den Highlights eines Ermittlers, wenn tatsächlich ein Menschenhändler oder gar einer der Hintermänner verurteilt wird. Und mit der EU-Erweiterung, fürchten die Ermittler, nehmen die Probleme noch weiter zu.

Dass die meisten Täter unbehelligt bleiben, liegt vor allem an der Angst der Opfer - vor den Zuhältern, die drohen, sie oder ihre Familien umzubringen. Angst aber auch vor korrupten Polizisten daheim, die mit den Tätern gemeinsame Sache machen. Oft sind die so genannten Opferzeuginnen, selbst wenn sie aussagen wollten, zudem längst zurück in der Heimat, wenn der Gerichtstermin endlich ansteht. Die Frauen von dort zurückzuholen, ist für die Behörden mühsam.

Glaube verloren

Also behilft man sich häufig mit Videovernehmungen. Die aber, weiß Justizministerin Merk, haben nie das Gewicht einer Zeugin, die leibhaftig im Gerichtssaal sitzt. Die Beraterinnen von Jadwiga bemühen sich deshalb, die Opfer bis zum Prozess in Deutschland zu behalten. Dennoch wollen nur 27 von 77 Frauen, die im vergangenen Jahr in den Beratungsstellen in München und Hof betreut worden, vor Gericht aussagen.

Frauen, die nach dem Aufgriff durch die Polizei zunächst ins Gefängnis wanderten - wegen illegalen Aufenthalts oder illegaler Prostitution - seien so gut wie nie zur Aussage zu bewegen, sagt Monika Cissek-Evans von Jadwiga. "Die glauben nicht mehr, dass man ihnen hier noch glaubt."

Das Dilemma ist erkannt - und soll behoben werden. Eine "Zusammenarbeitsvereinigung" zwischen bayerischer Polizei, Justiz und Hilfsorganisationen mit dem Ziel, den Opferschutz zu verbessern, steht kurz vor der Unterzeichnung. Damit wäre zumindest geregelt, dass Opferzeuginnen bis zum Ende der Verhandlung eine Duldung erhalten. Eine Sysiphus-Arbeit also für Behörden und Hilfsorganisationen. Und so lange die Nachfrage ungebrochen ist, wird sich kaum etwas ändern.

Elisabeth von Rotenhan kennt die Argumente der Freier, die von der Not der Frauen nichts bemerkt haben wollen, die ihr tatsächlich erzählen, "die hat mich doch angelächelt, also hat es ihr doch auch Spaß gemacht". Billige Ausflüchte, sagt Rotenhan.

Besonderer Kick

Die Männer nähmen die Umstände billigend in Kauf, weil der Sex günstig ist, weil die Frauen Dinge tun, zu denen "normale Prostituierte" nicht bereit sind, oder weil erzwungener Sex ihnen "einen besonderen Kick" gibt.

Für ihr Engagement bekommen die Helferinnen von Organisationen wie Jadwiga oder Solwodi viel Schulterklopfen. Aber wenig Geld. "Eine Million für eine Männerkampagne", das wäre Eleonore von Rotenhans Traum. Auch Jana hat ein paar Wünsche: eine Arbeit, bei der sie Menschen hilft, eine Wohnung, wo sie ungestört ist. Und einen Mann, den sie morgens im Bett anlächeln kann.

Jadwiga ist zu erreichen unter Tel. 54497-233 jadwigamuenchen@aol.com, Konto bei der Liga-Bank München, Stichwort, "Jadwiga" Konto-Nr: 2298201, BLZ: 75090300. Kontakt zum Bündnis: www.gegenfrauenhandel.de

© SZ v. 11.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: