Fotoausstellung:"Partigiani" - Der Kampf um die Erinnerung

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Eine Fotoausstellung in der Seidl-Villa erinnert an den Kampf der Resistenza gegen die Nazis.

Von Birgit Lutz-Temsch

Das Brot duftet frisch durch das Haus. Ein seltener Geruch in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs. Ein Geruch nach Zuhause, nach der backenden Mutter, nach der Familie, die sich um den großen Holztisch versammelt und gemeinsam isst. Eine grobe Hand greift nach dem Brotlaib. Er fällt zu Boden. Vor blank geputzte Stiefel aus schwarzem Leder. Der Laib wird aufgehoben, in einen Sack gesteckt.

Giacomo Notari heute (Foto: Foto: oh)

Durch die Holzdielen beobachtet der Sohn, wie das Brot verschwindet. Er sieht durch ein Fenster, wie der Sack auf einer Fuhre Heu landet, und dass ein Rind an dem Wagen festgebunden wird. Er hat eine Waffe in der Hand. Genauso wie sein Freund, der sich mit ihm zusammen im Taubenschlag versteckt. Er könnte die Männer erschießen, die das Brot, das Rind, das Heu mitnehmen. Einfach so.

Aber an jenem Nachmittag im Jahr 1944 schießt Giacomo Notari nicht. Er unternimmt nichts gegen die Plünderung. Der damals 17-Jährige wartet, bis die deutschen Soldaten sein Dorf verlassen haben, mitsamt den Lebensmitteln, die seine Eltern und die Nachbarn dringend brauchen. Erst als die Deutschen weg sind, steigt er aus seinem Versteck.

Er wartet, bis der Vater neues Brot gebacken hat, nimmt ein paar Laibe mit in das Lager der Partisanen, draußen im Wald. "Was haben wir uns damals ohnmächtig gefühlt", sagt Notari heute. "Es wäre ein Leichtes gewesen, die Soldaten zu erschießen. Aber wenn wir das getan hätten, wären andere zurückgekommen. Das ganze Dorf wäre niedergemacht worden, unsere Eltern, Geschwister, Freunde getötet. Also sahen wir einfach zu. Außerdem ging es in diesem Fall ja nur um Brot."

Giacomo Notari rettet mit dieser Entscheidung wahrscheinlich einem ganzen Dorf das Leben. Andere hatten nicht so viel Glück. Die Liste der in Italien verübten faschistischen Massaker ist lang, die Zahl der Toten hoch. 770 Menschen sterben zum Beispiel in Marzabotto bei Bologna, weil die Bevölkerung die Partisanengruppe "Stella Rossa" unterstützte.

335 Menschen kommen beim Massaker in den Fosse Ardeatine vor den Toren Roms um. Zehn Opfer für je einen Besatzer - sie werden erschossen und verscharrt, weil 34 Soldaten durch eine Bombe von Partisanen umkamen.

Diese und andere Morde thematisiert von heute an die Fotoausstellung "Partigiani" in der Seidlvilla. Die Schau fokussiert nicht nur auf den Widerstandskampf der Partisanen, sie liefert auch einen Überblick von den Anfängen der faschistischen Zeit in Italien in den zwanziger Jahren bis zum Umgang der Italiener mit ihrer Vergangenheit nach dem Krieg.

Auch die Befehle, denen zufolge die Racheakte ausgeführt wurden, sind ein Teil der Ausstellung. Zum Beispiel folgender, ausgegeben von Albert Kesselring, Oberbefehlshaber Süd der Deutschen Wehrmacht: "Wo Banden in größerer Zahl auftreten, ist der in diesem Bezirk wohnende, jeweils zu bestimmende Prozentsatz der männlichen Bevölkerung festzunehmen und bei vorkommenden Gewalttätigkeiten zu erschießen. (...) Werden Soldaten usw. aus Ortschaften beschossen, so ist die Ortschaft niederzubrennen. Täter oder Rädelsführer sind öffentlich aufzuhängen (...)."

Der umfassende Ausstellungskatalog beschreibt, wie die Gräueltaten oft noch über diese Anweisungen hinaus gehen - denn oft genug sterben auch andere Zivilisten, Frauen, Kinder, Alte. Die Partisanen wissen, dass allen der Tod sicher ist, die gefasst werden. Trotzdem entschließen sich viele zu kämpfen. "Es blieb uns nichts anderes übrig", sagt Notari heute. "Meine Entscheidung, mich den Partisanen anzuschließen, entstand nicht aus einer politischen Überzeugung.

Die bekam ich erst später. Die Dörfer in den Bergen hatten einfach ein übermächtiges Bedürfnis nach Frieden. Das Leben dort, ohne Wasser, Elektrizität war schon schwer genug. Dann kamen auch noch die Deutschen und brachten Zivilisten um, darunter kleine Kinder. Sie zündeten Häuser an, erschossen wahllos die Menschen. Wir wollten sie so schnell als möglich nach Hause schicken."

Ohnehin war es für den jungen Notari besser, unterzutauchen, denn Männer im Alter von 16 bis 50 Jahren seien wahllos verhaftet worden, wie er erzählt. "Sie dachten, sie würden nach einigen Befragungen wieder frei gelassen. Stattdessen wurden sie deportiert. 1200 Männer allein hier in der Gegend. Freunde von mir waren auch dabei. Einige kamen nie zurück."

Notari und seine Gruppe machten weiter, verübten Sabotageakte, verminten Straßen und Brücken. Die Waffen beschafften sie sich mit Überfällen auf die Truppen. Außerdem warfen Briten und Amerikaner Ausrüstung aus Flugzeugen ab, um die Resistenza zu unterstützen.

Giacomo Notari überlebte den Widerstandskampf, anders als Tausende anderer Partisanen. Nach dem Krieg trat er der Kommunistischen Partei bei, war jahrelang Bürgermeister und Kreisrat. Heute sagt er, Hass auf die Deutschen empfinde er keinen. "Die Deutschen haben unter dem Krieg genauso oder noch mehr gelitten wie wir. Die zerstörten Städte, die vielen Toten. Und auch in Deutschland gab es Widerstand, der von uns nur zu gern ignoriert wurde. Deutsch sein wurde mit Nazi sein gleich gesetzt. Das stimmt aber nicht."

In Reggio Emilia wurde Notari Präsident der Vereinigung der Partisanen. Als solcher hilft er unter anderem bei der Organisation von Ausstellungen wie der in München. "Die Zukunft ist es wert, immer wieder über die Vergangenheit zu reden", sagt er. Dass nach Kriegsende Partisanen blutige Rache an Faschisten übten, erschwere die Erinnerung. "Diese Selbstjustiz war falsch, und sie schadet dem Andenken an die Resistenza bis heute."

Weihnachten 1944 ist das letzte Fest, bei dem die gesamte Familie Notari um den großen Holztisch sitzt. Giacomo und sein Bruder kommen an den Feiertagen nach Hause. Es gibt frisches, duftendes Brot. Nach dem Krieg bleibt ein Platz am Tisch leer. Der Bruder stirbt als Partisan, in den letzten Kriegswochen.

Fotoausstellung von 29. Januar bis 27. Februar, täglich von 12 bis 19 Uhr in der Seidlvilla am Nikolaiplatz. Führungen: 1. Februar, 13 Uhr, 14. Februar um 18 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung (089/333139)

Begleitprogramm:

29. Januar, 19 Uhr, im Gasteig, Raum 0.131 Vortrag: "Die Erinnerung an die Resistenza war für uns der Motor des Lebens..." Zur Bedeutung des italienischen Widerstands gegen die NS-Bestzung und Saló-Faschismus in der Nachkriegszeit. Dr. Lutz Klinkhammer, Historiker am Deutschen Historischen Institut in Rom.

3. Februar, 19 Uhr, Filmkusttheater Lupe 2, Ungererstraße Film: Rom - Offene Stadt

5. Februar, 19.30, Seidlvilla Vortrag: Geschichte des Faschismus in Italien. Ein Überblick Dr. Friederike Hausmann, freie Autorin und Übersetzerin, München

10. Februar, 19 Uhr, Filmkusttheater Lupe 2, Ungererstraße Film: Paisà

13. Februar, 19.30 Uhr, Seidlvilla Partigiani - a futura memoria Elisabetta Cavani und Emilia Sonni Dolce lesen aus Werken italienischer Schriftsteller und Berichten von Zeitgenossen.

14. Februar, 15 Uhr, Seidlvilla Erzählcafé: Figlie di resistenti - Töchter italienischer Widerstandskämpfer erinnern sich.

19. Februar, 19.30 Uhr, Seidlvilla Gespräch: Faschismus in Italien und deutsche Besatzung - verdrängt und vergessen

26. Februar, 19.30 Uhr, Seidlvilla Vortrag: "Ich mache das alles, weil ich es mir ausgesucht habe" - Frauen im italienischen Widerstand.

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