Finanzkrise erreicht München:"Wir bleiben nicht verschont"

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Noch ist die Lage stabil, doch der Beinahe-Kollaps des Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate hat Börsianer und Bankenchefs in München in Alarmbereitschaft versetzt.

Otto Fritscher

Das Andauern der internationalen Finanzkrise beunruhigt viele Münchner: Wie sicher sind meine Einlagen noch?, lautet die wichtigste Frage. Die Banken wiegeln ab. Dennoch herrscht Nervosität in den Chefetagen der Münchner Finanzbranche. "Keiner weiß, wie es weitergeht", sagt ein Bankdirektor.

Seit 2002 geht die Zahl der Beschäftigten in der Finanzbranche Jahr für Jahr zurück. Wie viele Jobs die aktuelle Krise fordern wird, ist noch nicht absehbar. (Foto: Foto: SZ-Grafik)

Der Beinahe-Kollaps des Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate hat die gesamte Münchner Finanzbranche in Alarmstimmung versetzt - auch wenn dies keiner so deutlich sagen mag. Von "erhöhter Aufmerksamkeit" spricht Christine Bortenlänger, Chefin der Münchner Börse. Panik sei nicht angebracht, weil die klassischen Geschäftsbanken die Krise "bisher sehr gut gemeistert" hätten.

Allerdings hat die Krise auf den internationalen Finanzmärkten deutlich gemacht, dass angesichts der globalisierten Märkte "für München nicht egal ist, wenn in China ein Sack Reis platzt". Die Börsen-Chefin rechnet auch künftig mit "deutlichen Reaktionen im Kursverlauf", wenn neue schlechte Nachrichten die Anleger verunsichern sollten.

Bürgschaften über 35 Milliarden Euro

Die Münchner Regionalfürsten der Großbanken wagen sich nicht öffentlich aus der Deckung. "Welche Ausmaße die Krise angenommen hat, das kam völlig überraschend", sagt einer. Die Münchner Real Estate konnte nur durch Bürgschaften über 35 Milliarden Euro gerettet werden. "Die ohnehin angespannte Situation hat sich durch diese Rettungsaktion noch verschärft und verschont auch München nicht", sagt Rupert Hackl, Chef der Münchner Niederlassung des Immobilienfinanzierers Eurohypo. Und: "Seriöse Aussagen zur weiteren Entwicklung sind nicht möglich." Hackl kann nicht ausschließen, dass "noch nicht stehende Finanzierungen für Großprojekte neu strukturiert werden müssen". Womit Hotelneubauten oder ähnliche Vorhaben gemeint sein könnten.

Doch auch wenn es nicht um Hunderte Millionen geht, zeitigt die Krise Auswirkungen in München. So bestürmen viele Bankkunden ihre Berater mit der Frage, wie sicher ihre Einlagen denn noch seien. "Viele Kunden sind verunsichert", sagt etwa Harald Strötgen, Chef der Stadtsparkasse. Im gleichen Atemzug beruhigt er aber die Kunden seines Hauses, zu denen annähernd jeder zweite Münchner gehört: "Die Einlagen sind vollkommen sicher - und zwar in unbegrenzter Höhe." Strötgen empfiehlt Anlegern, "Aktienkäufe zurückzustellen, bis die Indizes nicht mehr so stark schwanken".

Sicherheit - und da deckt sich Strötgens Einschätzung mit der vieler anderer Banker - steht bei den Anlegern zurzeit an erster Stelle: "Viele kaufen Gold." Auch bei den Geschäftskunden der Sparkasse ist Verunsicherung spürbar. Aber auch hier beruhigt der Vorstands-Chef: "Die Stadtsparkasse verfügt über ausreichende Eigenmittel, um die Kreditvergabe an Unternehmen weiter ausdehnen zu können." Und Strötgen kann sich einen Seitenhieb auf die Großbanken nicht verkneifen: "Wir haben nur in Produkte investiert, die wir auch verstehen. Das zahlt sich nun wohltuend aus."

Hochburg der Wagniskapitalgeber

Gelassenheit herrscht im Gegensatz zum Börsenparkett in der Wagniskapitalszene. München ist die deutsche Hochburg der Wagniskapitalgeber, die Geld in aufstrebende Firmen investieren. "Mehr als 100 Millionen Euro" dürften dies im vergangenen Jahr gewesen sein, schätzt Werner Arndt, ein exzellenter Kenner der Münchner Gründerszene.

Und es steht noch viel mehr Geld zur Verfügung, das die Kapitalgeber in den vergangenen guten Jahren gehortet haben. "Für unseren neuesten Fonds haben wir vor allem von institutionellen Anlegern 130 Millionen Euro eingesammelt", sagt Rolf Mathies, Mitgründer von Earlybird, einer der größten Wagniskapitalgesellschaften in München. "Wir haben also noch viel trockenes Pulver." Mathies erinnert an die Krise vor gut fünf Jahren. "2003 hat sich auch niemand vorstellen können, dass es in Deutschland jemals wieder Börsengänge geben wird."

Börsen-Chefin Christine Bortenlänger will auch kein allzu düsteres Bild zeichnen: "Der Finanzplatz München kommt eher gut weg", sagt sie und begründet ihren Optimismus mit der Vielfalt, die München beherbergt: Banken, Versicherungen, Leasing-Gesellschaften, Kapitalanlage-Gesellschaften und Fonds-Anbieter. "München ist ein Allfinanzplatz und hat bessere Voraussetzungen, die Krise zu überstehen." Andere Fachleute verweisen auf den Dominoeffekt: "Wackelt ein großes Unternehmen, zittern auch die anderen", sagt Eurohypo-Chef Rupert Hackl. Er kennt auch das Zauberwort, um die Zukunft zu meistern: "Eigenkapital."

Wie lange sich die Krise auf den Finanzmärkten noch hinziehen wird? Diese Frage mag keiner der Münchner Finanz-Gurus beantworten: "Die Krise, die wir derzeit erleben, ist einzigartig, deshalb können wir nur auf wenig Erfahrungswerte zurückgreifen", sagt Strötgen. Auch die Auswirkungen der Krise um die Hypo Real Estate seien "noch nicht sicher prognostizierbar". "Einzelne Unternehmen werden die Folgen der US-Krise aber sicher noch direkt oder indirekt zu spüren bekommen", ist Strötgen überzeugt.

© SZ vom 02.10.2008/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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