Filmfest:Die fabelhafte Welt der nachtaktiven Räuber

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Das Partygeschehen zu Beginn des 19.Filmfest: Leander Haußmann lästert, Axel Milberg geht zum Angeln.

Andrea Surkus

(SZ vom 2.7.2001) - Der eine geht aufs Filmfest, der andere geht angeln. So sind sie, die Mimen. Axel Milberg denkt gar nicht daran, der feierlichen Eröffnung der Münchner Filmwoche an diesem Samstagabend beizuwohnen: "Ich geh heute Nacht mit meinem Sohn auf Monsterjagd am Griessee im Chiemgau. Hoffentlich kriegen wir einen dicken Waller an die Angel - das ist ein nachtaktiver Räuber, so wie viele Schauspieler auch", verkündet er am Mittag beim Sommerfest der Agenturen im Restaurant "Osterwaldgarten".

Dominique Pinon vergnügt sich mit Sissy Höfferer. (Foto: Foto: Catherina Hess)

Sozusagen als Vor-Filmfest-Eröffnung laden drei Münchner und eine Hamburger Agentur für Filmschaffende (1st Unit, Scenario, Brandner und Reuter) nun schon zum dritten Mal in Folge ein, um ihre Schützlinge beim zwanglosen Brunchen aufeinander loszulassen: "Kennt ihr euch?"

Raubfische und Filmfest-Arbeiter

Ob Doris Dörrie in Quietschgrün, Rainer Kaufmann, Martin Lüttge, Michael Mendl mit acht Monate altem Sohn oder Natalie Scharf: Schauspieler, Regisseure, Autoren, Produzenten haben sich in Sommerfähnchen und Jeansanzüge geworfen, um - bevor sie am Abend den nachtaktiven Raubfisch rauslassen - wahlweise makellose Schönheit oder Ideenreichtum bei prallem Tageslicht zu demonstrieren.

Noch brauchen wir keine Sonnenbrillen, um blutunterlaufene, vom Party-Marathon entzündete Augen zu kaschieren! Und körperlich-geistig sind alle auf der Höhe, schließlich hat man für die härteste Woche im Jahr trainiert.

"Filmfest ist Arbeit", sagt Michael Schreiner ("Tierarzt Dr. Engel"). "Aber ich bin fit. Ich hab ein Austragshäusl im Chiemgau, dort bin ich extra viel den Berg rauf- und runtergerannt. Da draußen hab ich einen Misthaufen vor dem Fenster, da sitze ich dann und denke: Das Filmgeschäft ist wie dieser Misthaufen."

"Man hört sich um"

Ein Elend, aber wann soll man sonst Geschäfte machen? Wenn man sich mal wieder in einer Serie trifft? So brummt die Luft unter den Kastanien vor Schlagwörtern ("FHW - Filmen heißt Warten"), Rollen-Verschachern ("Da gibt's nur die beiden SOKO-Beamten und die Gräfin - keine Barfrau") und Erörterungen, ob die amerikanische Schauspielergewerkschaft nun streikt oder nicht.

Und wo, um Gottes Willen, findet in dieser Nacht die begehrteste After-Party statt? In der Muffathalle? Schauspieler Francis Fulton Smith raunt: "Man hört sich um, trifft auf einen, der vielleicht eine Einladung hat...Das kommt über Handy." Dranbleiben, Junge.

Dann ist es Abend. In Scharen, aber mit raffiniertem Timing, was das Beschreiten des roten Teppichs im Foyer angeht, ziehen die nachtaktiven Räuber im Gasteig ein. Seltsam unglamourös gekleidet - viel Schwarz, ein wenig changierendes Pink, Corinna Harfouch in bleichem Nixentürkis, Bernd Eichinger in Ganzkörper-Eierschale.

Doris Dörrie in Purpur

Nur Doris Dörrie hat sich inzwischen in leuchtendes Purpur gewickelt. Fassungslos beäugt Theaterregisseur Leander Haußmann, wie sich die Münchner Prominenz geriert: Schlagerbombe Petra Perle turnt an einem Geländer für die Kameras, Jutta Speidel schwenkt die Federboa, Birgit Bergen verrenkt sich an einer Ziegelwand. "Gestern im Flugzeug ist mir beim Lesen eines Magazins aufgefallen, dass das Wort ,Promi' ganz furchtbar ist", sagt Haußmann. "Ich möchte niemals in einem Atemzug mit einer Nadja El-Farrag, oder wie die heißt, genannt werden.

In Deutschland vermischen sich solche Leute und die, die was leisten. Die wenigsten auf der Leinwand haben heute ein Geheimnis wie Audrey Hepburn." Und wie inflationär die Leute im deutschen Film eine Knarre in der Hand hätten! An diesem Abend kommen derlei Requisiten indes nicht zum Einsatz, auch nicht als April Hailer vor dem Eröffnungsfilm als kieksende Britney Spears mit X-Beinen über die Bühne stolpert.

Im Saal begegnet Haußmann dann zumindest auf der Leinwand doch noch einer Schauspielerin mit Geheimnis: Audrey Tautou, die im Eröffnungsfilm "Die fabelhafte Welt der Amélie" (Regie: Jean-Pierre Jeunet) zauberhaft rehäugig spielt. Und im Publikum sind tatsächlich ein paar internationale Regie-Stars zu erspähen: der Engländer Terence Davies, dem eine Reihe gewidmet ist, Stanley Kubricks Schwager und Produzent Jan Harlan, der ein Kubrick-Porträt gedreht hat, und Francesco Rosi, Ehrengast beim Festival der Filmhochschulen. Er wird von Filmfest-Chef Eberhard Hauff auf die Bühne geholt, der von seiner Bandscheibe gepiesackt wird (liegt's daran, dass er die Glückssteine, die die Zuschauer beim Amélie-Film zwecks Wunscherfüllung fest in der Hand halten sollen, eigenhändig in einem Tiroler Gebirgsbach gesammelt hat?).

Jubel im Saal

Jubel lässt den Carl-Orff-Saal erzittern, als Rosi mit ausgebreiteten Armen auf der Bühne steht: "Thank you, Professor Hauff!" Hauff winkt ab: "No Professor." Rosi: "Thank you, Hauff!"

Als dann auch noch der 93-jährige portugiesische Regisseur Manoel de Oliveira seinen CineMerit Award 2001 entgegennimmt und gerührt sagt: "Ohne Ihre Liebe zum Kino würde das Kino nicht existieren", schmilzt das Publikum endgültig dahin. Zumal OB Ude mal wieder über Berlin als Filmstadt Nummer Eins vom Leder zieht: "Unglaublich, wenn man aus der tiefsten Provinz zum Deutschen Filmpreis kommt: Die haben sogar einen echten Oscarpreisträger, den Florian Gallenberger von der Münchner Filmhochschule. Sie haben auch einen Weltstar eingeladen: Senta Berger aus München." Das Kinomärchen von Amélie macht dann alle vollends beschwingt.

Wovon um Mitternacht, als die Party im Foyer beginnt, aber wenig zu merken ist: Die Party entpuppt sich als Stehempfang, so mancher nachtaktive Räuber als Zierfisch. Während Amélie im Film am Montmartre Erinnerungen sammelt, rafft man im Gasteig lieber Visitenkarten. Schauspieler Michael Schreiner freut sich schon auf den Morgen: "Dann ist die Luft am besten und man sieht wieder lebendige Menschen. Denn wir Filmleute sind nicht nur Künstler, sondern auch künstliche Menschen. Da ist es gut, wenn man einen Misthaufen hat."

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