Fertigstellung blockiert:Millionenschwerer Streit um Krebsklinik

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Weil der Betreiber und die Technologiefirma sich nicht einigen können, liegt die Spezialklinik im Dornröschenschlaf. Jetzt schaltet sich Wolfgang Clement ein.

Otto Fritscher und Sibylle Steinkohl

Eigentlich sollten im Rinecker Protonentherapie-Zentrum in München längst krebskranke Patienten bestrahlt werden. Doch die Spezialklinik verharrt seit einem halben Jahr in einem Dornröschenschlaf.

Hans Rinecker würde gerne seine neue Krebsklinik eröffnen. Und das schon seit 2004. (Foto: Foto: Robert Haas)

Streitigkeiten zwischen Klinikbetreiber Hans Rinecker und dem Hersteller von Kernstücken der Anlage, der Firma Accel aus Bergisch Gladbach, blockieren die Inbetriebnahme. Es geht um Millionen. Nun versucht Wolfgang Clement, der Ex-Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, Bewegung in den Konflikt bringen.

Als könnte es sofort losgehen

Am Empfang weist eine Mitarbeiterin im weißen Kittel den Weg, im Wartezimmer sitzt ein großer Teddybär, und auf den Untersuchungsliegen sind die Einmal-Tücher schon ausgebreitet. Die Spezialklinik an der Schäftlarnstraße vermittelt den Eindruck, als könnten hier auf der Stelle die ersten Patienten behandelt werden.

So war es von Klinikbetreiber Hans Rinecker auch geplant: Das erste Protonentherapie-Zentrum in Europa, das seine Firma ProHealth ohne einen Euro Fördermittel errichtet hat, sollte ursprünglich von Mitte 2004 an schrittweise in Betrieb gehen. Doch dann wurde der Termin immer wieder verschoben. Inzwischen sind mehr als zwei Jahre vergangen. Und in dem dreigeschossigen Bau mit der Glasfassade und dem benachbarten Gästehaus ist noch kein Patient bestrahlt worden.

Der Grund für die Verzögerung sind Streitigkeiten zwischen dem Klinikbetreiber und der Firma Accel, die das Herzstück der Anlage, die Bestrahlungstechnik in den fünf Behandlungskammern, liefert. Es geht um viel Geld - und um die Frage, wem das Knowhow gehört.

Vertragsfreier Zustand

Die derzeitige Situation könnte man als vertragsfreien Zustand bezeichnen: Accel hatte im Mai die Arbeiten am "Rinecker Protonentherapie-Zentrum" (RPTC) eingestellt, weil es zu keiner Einigung über die Kosten für die restliche Fertigstellung kam. Im Raum stehen Beträge zwischen sechs und 15 Millionen Euro. Seitdem wartet das ehrgeizige Projekt, für das 2001 der erste Spatenstich erfolgte, auf seine Vollendung. Was dazu fehlt, sind fast ausschließlich Korrekturen an der Software.

Die Gesamtinvestition für das RPTC samt seiner Nebeneinrichtungen beträgt deutlich mehr als 100 Millionen Euro. Finanziert hat der 64-jährige Rinecker das RPTC über einen Fonds der Hannover Leasing mit einem Volumen von 15 Millionen Euro und über eine sogenannte Projektfinanzierung, sprich Kredite, der HypoVereinsbank und der WestLB über 46 und 45 Millionen Euro. Auch die NRW-Bank ist noch beteiligt.

67 Millionen Euro hat Accel nach Angaben von Rinecker bisher bekommen. Wobei M+W Zander, ein Unternehmen der Jenoptik-Gruppe, als Generalübernehmer zwischengeschaltet war. M+W Zander stieg jedoch vor einem knappen Jahr aus dem Projekt aus, was das Unternehmen etliche Millionen kostete.

Accel wiederum ist eine Ausgründung der Siemens-Tochter KWU (Kraftwerksunion) und gehört mehrheitlich zwei Physikern. Die Firma ist in der Partikeltherapie eines der europaweit führenden Unternehmen.

Hans-Udo Klein, geschäftsführender Gesellschafter, spricht von einem Technologievorsprung von zwei Jahren. Nach übereinstimmenden Angaben von Accel wie auch von Rinecker könnte das Therapiezentrum binnen kurzer Zeit - vermutlich einiger Wochen- in Betrieb gehen, wenn es zu einer Einigung käme.

Vorwurf: Das Ausspähen von Daten

Zurzeit befehden sich beide Seiten vor Gericht: Auf 75 Millionen Euro und den Rückbau, also auf den Abriss der Anlage, klagt Rinecker, "wenn es gar keine andere Lösung gibt". Man hat sich bereits mit einstweiligen Verfügungen beharkt: Es ging um die Herausgabe von Unterlagen und Gerätschaften auf der Baustelle.

Anfang Mai hatte Accel nämlich die Arbeiten eingestellt, da aus Sicht von Firmenchef Klein nach dem Ausstieg von M+W Zander kein Geld mehr geflossen sei. Seitdem klagt Accel nicht nur gegen Zander, sondern auch gegen Rinecker. Accel wirft dem Klinikbetreiber unter anderem das Ausspähen von Daten vor.

Accel hatte keinen so genannten Werkvertrag für das gesamte Projekt abgeschlossen, sondern insgesamt rund 20 Dienstleistungs- und Komponentenverträge für einzelne Abschnitte. "Es handelt sich um eine neue Technologie mit vielen Unwägbarkeiten, da konnten wir uns als Mittelständler nicht bedingungslos auf einen Festpreis und einen Fertigstellungstermin einlassen", sagt Hans-Udo Klein.

50 bis 70 Accel-Mitarbeiter seien ständig mit dem RPTC beschäftigt gewesen. "Es gab 40 Terminverschiebungen", ärgert sich Hans Rinecker.

Zweiter Kriegsschauplatz ist die Frage, wem das Knowhow zum Betrieb und zur Wartung der Anlage gehört. "Wir brauchen eine vernünftige Sicherheit, die nicht von einer einzigen Firma abhängen darf", sagt Rinecker. "Ohne Daten können wir aber keine andere Firma mit der Wartung beauftragen." Accel-Chef Klein argumentiert dagegen: "Wenn man ein Auto kauft, bekommt man eine Bedienungsanleitung, aber nicht die Konstruktionsunterlagen."

Eine Klinik ohne Kranke

Eine Million Euro verschlingen laut Rinecker Unterhalt und Finanzierung der High-Tech-Klinik ohne Kranke Monat für Monat. Rund 20 Mitarbeiter von der Putzfrau über den Techniker bis zum Chefarzt sind dort bereits beschäftigt, um die 120 sollen es werden, wenn die Bestrahlung bösartiger Tumore mit Wasserstoff-Atomen, den Protonen, beginnt.

Die Warteliste der Krebskranken sei lang, sagt Hans Rinecker, überzeugter Verfechter dieser nicht unumstrittenen Strahlentherapie. Und das findet er am schlimmsten: dass er den Menschen, die ihre Hoffnung auf die Protonen setzen, bis jetzt keine Hoffnung machen kann. Auch der Bau einer zweiten Rinecker-Anlage in Köln steht still.

Jetzt hat sich Wolfgang Clement, der ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident, als Vermittler eingeschaltet. Er kam vor einigen Tagen mit einem Angebot von Accel zu Rinecker, welches die Fertigstellung einer Behandlungskammer ohne Berechnung vorsieht. Bedingung sei aber, dass ProHealth vier Millionen Euro - laut Klein für "unbezahlte Rechnungen für bereits erbrachte Leistungen" - überweise.

Für die Fertigstellung aller fünf Kammern verlangt Accel zirka zwölf Millionen Euro. Das Angebot sei, so Accel-Chef Klein, "ein weiterer Versuch, um die festgefahrene Situation zu überwinden." Rinecker indes gibt sich auf Anfrage der SZ skeptisch, ob auf der Grundlage des von Clement überbrachten "Eckpunkte-Entwurfs" eine Einigung erreicht werden könne. Er lege nämlich besonderen Wert darauf, die technische Dokumentation sowie die Probebetriebsgenehmigung der Anlage in Händen zu halten.

Was passiert, wenn der Vermittlungsversuch nicht fruchtet? Rinecker ist überzeugt, den Stillstand finanziell durchzustehen. Er habe die Kreditzusagen der Banken noch nicht ausgeschöpft, die Finanzierung bewege sich immer noch im Rahmen des Gesamtplans.

"Jedes Unternehmen, auch Accel, muss permanent überlegen, wie es sich strategisch stärken kann. Dies gilt umso mehr in einer schwierigen Phase wie dieser", sagt Hans-Udo Klein. Das könnte Gespräche mit Investoren oder gar den Verkauf des Geschäftsbereichs Partikeltherapie bedeuten.

Ein Angebot, sich an Accel zu beteiligen, gebe es bereits, sagt Hans-Udo Klein. Ausgerechnet Rinecker habe es an die Beteiligungsgesellschaft der Sparkassen gerichtet, die einen Anteil von zirka 35 Prozent an Accel hält. Doch der Chirurg betont, er habe kein Interesse, die Firma zu übernehmen: "In meinem Alter werde ich doch nicht mehr Unternehmer." Es klingt ironisch.

© SZ vom 11.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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