Fellini-Ausstellung:Des Filmers zweite Leidenschaft

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Wenn Federico Fellini keinen Skizzenblock dabei hatte, kritzelte er auf Servietten, Speisen- oder Weinkarten. Und ließ seine Zeichnungen akribisch genau in seinen Filmen umsetzen. Das Deutsche Museum zeigt 40 bisher unveröffentlichte Zeichnungen des Regisseurs.

Von Birgit Lutz-Temsch

Im Grand Hotel von Rimini erzählen die Angestellten heute noch, wie sich Federico Fellini einst, wenn er in dem mondänen Strandhotel weilte, mit Vorliebe in eine Ecke der Lobby setzte und zeichnete. Und wenn er seinen Skizzenblock vergessen hatte, nahm er Servietten, egal ob aus Papier oder Stoff, die Speise- oder Weinkarte oder die Untersetzer für sein Weinglas.

Zeichnung zu "satyricon". (Foto: Quelle: Deutsches Museum)

Bevor auch nur ein Millimeter an Zelluloid verbraucht wurde, hatte Fellini seinen Film schon fertig - auf Papier. Dieser Umstand ist nicht unbekannt, es gibt ganze Bücher über die frivolen und farbenfrohen Zeichnungen des Maestro. Das Deutsche Museum aber präsentiert von heute an in seiner Ausstellung "Fellini ex machina" in der Bibliothek 40 Bilder, die bis jetzt noch nie öffentlich gezeigt wurden, zusammen mit Film-Utensilien aus der Entstehungszeit von Fellinis Werken. Gleichzeitig läuft im Forum eine filmische Retrospektive.

Zur Verfügung gestellt hat die unbekannten Werke Giuliano Gèleng, der Sohn von Rinaldo Gèleng - mit beiden arbeitete Fellini einst eng zusammen. Der junge Fellini lernte Rinaldo Gèleng kennen, als er nach Rom kam, in den späten dreißiger Jahren. In verschiedenen Lokalen porträtierten sie Restaurant-Besucher, Fellini begann, für die römische Wochenzeitschrift Marc' Aurelio zu zeichnen, von 1942 an betrieben die beiden das Zeichen-Studio "The Funny Face Shop".

Während Gèleng sich weiterhin dem Zeichnen, vor allem dem Porträtieren widmete, wandte sich Fellini von Mitte der vierziger Jahre an vermehrt dem Film zu. Nach seinem Regiedebut 1952 mit "Lo sceicco bianco" wurde er zum gefeierten Filmemacher, der in seinen Werken ein anderes Italien, abseits vom katholischen Landleben zeigte.

Und immer sind die Grundlage seiner Filme Zeichnungen, festgehaltene Träume, niedergekritzelte Gedanken. Fellini entwirft Szenerien, Charaktere, Gesichter, Kleidung, die er dann mit einer Genauigkeit, die fast an Besessenheit grenzt, in die Realität umsetzen lässt. Deutlich zeigt das die Ausstellung zum Beispiel anhand der Zeichnungen, mit denen Fellini die Figur der großbusigen schwedischen Filmdiva in "La dolce vita" entwarf, später verkörpert von Anita Ekberg: Mimik, Körperhaltung, Kleidung - die Zeichnung Fellinis wirkt wie ein Porträt der Ekberg in ihrer Rolle als Diva, so sehr ähneln sich Entwurf und Wirklichkeit. Doch es ist umgekehrt: zuerst war da die Zeichnung, dann der Filmcharakter.

In den sechziger Jahren begann Gèleng, den mit Fellini noch immer eine tiefe Freundschaft verband, als Produktionsdesigner für Fellini zu arbeiten. Bald kamen auch seine Söhne Giuliano und Antonello hinzu.

Giuliano Gèleng sagt später über diese Zusammenarbeit: "Fellini war der Motor der kinematographischen Maschine. Wenn er gekonnt hätte, hätte er es allein gemacht; er war ein außerordentlicher Mensch, der uns alle anführte, bis seine Ideen verwirklicht waren, uns alle in jedem Aspekt der Filmproduktion, Architekten, Ausstatter, Fotografen, sogar die Musik. Selbst zu Nino Rota sagte er ,lauter, leiser', bis er hatte, was er wollte."

Zitate wie dieses führen den Besucher durch die Ausstellung, setzen die Zeichnungen in den cinematographischen Kontext. So wird einerseits deren Bedeutung für das Schaffen Fellinis und ihre Rolle bei der Entstehung seiner Filme unterstrichen, und andererseits, über welch überbordende Phantasie Fellini verfügte, die sich über den Zeichenstift ein Ventil suchte. Zum Teil hat das Deutsche Museum Original-Requisiten aufgetrieben - und schafft so, untermalt von der Musik Nino Rotas, in dem kleinen Vorraum der Bibliothek eine Ausstellung, die einen guten und anschaulichen Überblick über Fellinis Werke und seine Art zu arbeiten gibt.

Fellini selbst sagte über seine Zeichnungen: "Immer, wenn ich einen neuen Film anfange, verbringe ich die meiste Zeit am Schreibtisch und tue nichts anderes als Ärsche und Titten hinzukritzeln." Tatsächlich spielen diese beiden Körperteile und das männliche Geschlechtsteil, wie in der Schau nicht zu übersehen, eine große Rolle bei Fellinis "Kritzeleien". Gleich am Eingang hängt ein von Gèleng und Fellini gemeinsam gezeichnetes Porträt Fellinis - mit einem Riesen-Phallus, der seinen Eigentümer fragt, wann er denn mal wieder etwas anderes machen dürfe als Pipi.

Noch etwas ist in dieser Schau erstmals zu sehen, zumindest in Deutschland: Ein Ausschnitt aus "L'ultima sequenza", einem Dokumentarfilm über Fellinis "8 ½". Dessen Schluss gefiel Fellini nicht. Er ließ ihn nicht nur völlig neu drehen, sondern zerstörte das alte Ende - was er ursprünglich vorhatte, war also für immer verloren. Vom ersten Versuch existierten allerdings zahlreiche Standbilder - und Fellini vergaß, auch den Ton zu vernichten.

Aus diesen Fragmenten, dem Ton und den Bildern hat der römische Fellini-Kenner und Filmhistoriker Mario Sesti in "L'ultima sequenza" den Schluss rekonstruiert. Neben diesem Ausschnitt in der Ausstellung ist der vollständige Dokumentarfilm in der Retrospektive zu sehen.

Eine Schau im Deutschen Museum wäre nicht vollständig, wenn es nicht irgendwo ein paar Knöpfe zu drücken gäbe - und Fellini selbst lieferte in diesem Fall die Idee: Das Druckknopfkabinett aus "Stadt der Frauen" ist in Miniaturform nachgebildet. Nachgebildet sind auch verschiedene Set-Szenen aus dem Studio 5 in der römischen Filmstadt Cinecittà, am größten die Saraghina-Szene aus "8½", und auch Fellinis Frau Giulietta Masina fehlt nicht, wie sie in "Giulietta degli spiriti" das Zimmer zu ihren Träumen öffnet.

An anderer Stelle taucht Masina als Gelsomina aus "La strada" auf - hingeworfen auf Briefpapier des Rimineser Grand Hotels. Vielleicht hat Fellini auch diesen Entwurf, diesmal für ein Cannes-Plakat, in der Ecke der Hotel-Lobby gezeichnet, in die die Angestellten des Hotels heute noch ehrfurchtsvoll deuten.

Oder in der Suite 313, in der ihn am 3. August 1993 sein erster Schlaganfall ereilte. Die Schau im Deutschen Museum ist bis 31. Oktober zu sehen. Dem Tag, an dem Fellini vor elf Jahren starb.

Täglich 9-17 Uhr, Retrospektive im Forum täglich 17 Uhr.

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