Fackellauf durch München:"Aufrechter Körper, richtige Schrittlänge"

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Zu schnell, zu langsam, verstolpern, verlöschen: Das olympische Feuer durch München zu tragen, ist für die Teilnehmer heikler als es aussieht. Günter Zahn weiß das nur zu gut - er war schon 1972 mit von der Partie.

Von Volker Kreisl

Anlässlich der Rückkehr der Olympischen Spiele nach Athen wurde das Olympische Feuer erstmals durch alle fünf Kontinente getragen. Heute führt der Fackellauf durch München, als Erster wird Günter Zahn, 50, Polizeiobermeister und Mittelstreckenläufer aus Passau, die Fackel übernehmen. Mit der Handhabung des Symbols kennt er sich aus - Zahn entzündete die Flamme 1972 zur Eröffnung der Spiele in München.

1972: Günther Zahn hat das olympische Feuer entzündet. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Sie haben 1972 eine zwei Kilo schwere Gasfackel in eine große Schüssel gehalten. Ein banaler Vorgang eigentlich, aber ein bewegender Moment. Das Feuer hat Symbolkraft, und es wurde gerade durch die ganze Welt getragen. Was hat diese Flamme in Ihnen verändert?

Zahn: Ich will da nichts übertreiben, mit Symbolik und so. Ein junger Mensch denkt heute wahrscheinlich, so ein Quatsch, die Flamme gehöre halt zu Olympia dazu. Für mich war es ein außergewöhnlicher Moment, an den ich noch oft denke und der mir auch für meine Sportkarriere Vorteile brachte. Ich beobachte weiter die Olympischen Spiele, heute machen die ja ein Riesenspektakel draus, das einen schon anrührt. Wenn dann zum Beispiel plötzlich der Muhammad Ali in Atlanta die Fackel hält und das Feuer entzündet, da denkst du dir schon: Mensch, du warst einer der wenigen, die das auch durften.

SZ: Damals, in Bielefeld im Juli 1972, hatten Sie an eine Olympische Fackel vermutlich noch gar nicht gedacht.

Zahn: Vier Wochen vor den Spielen nahm ich in Bielefeld an den Deutschen Jugendmeisterschaften teil. Ich gewann den 1500-Meter-Wettbewerb. Nach der Siegerehrung wurde ich von Mitgliedern des Organisationskomitees der Olympischen Spiele im Stadion angesprochen.

SZ: Was wollten die?

Zahn: Sie sagten, man suche noch jemanden, der die Olympische Fackel zum Abschluss trägt und das Feuer anzündet, ob ich mir das zutraue. Ich dachte, gut, die 300 Meter geradeaus und 200 Stufen nach oben sind konditionell zu schaffen. Mir war klar, dies ist ein einzigartiger, außergewöhnlicher Moment, den darfst du dir nicht entgehen lassen, und hab" gesagt: Klar trau" ich mir das zu.

SZ: Warum Sie?

Zahn: NOK-Präsident Willi Daume wollte wohl auf jeden Fall einen Leichtathleten, einen Mittelstreckler, der die lange Strecke locker bewältigen konnte. Ich war jung, mein Laufstil hat gepasst.

SZ: Ihr Laufstil?

Zahn: Ich habe später gelesen, dass darauf Wert gelegt wurde. Jeder hat seinen eigenen Stil, meiner war offenbar vorbildlich, aufrechter Körper, richtige Schrittlänge.

SZ: Also. Fackel nehmen, Brust raus, Stufen rauf, Feuer anzünden, abtreten.

Zahn: Zuerst haben wir geprobt. Die ganze Prozedur fünf oder sechs Mal, und jedes Mal gab es irgendetwas zu verbessern. Stadionsprecher war der Blacky Fuchsberger, dann gab es noch die Trommler und die Musiker, und alles musste zusammenpassen. Das Problem war das Timing.

SZ: Sie hatten nur eine bestimmte Zeit für die 200 Stufen hinauf zum Podest?

Zahn: War ich zu schnell, wäre ich da oben rumgestanden wie bestellt und nicht abgeholt, war ich zu langsam, wäre die Sphärenmusik bereits zu Ende gewesen.

SZ: Olympische Rituale haben immer etwas Völkerverbindendes. Diesen letzten Staffelteil, bei dem die halbe Welt zuschaut, liefen Sie bestimmt nicht alleine?

Zahn: Die Stufen rauf schon, bei der Runde im Stadion waren wir zu fünft, ich war umgeben von vier Läufern aus allen Kontinenten: dem Afrikaner Kipchoge Keino, später Olympiasieger über 3000 Meter, dem US-Amerikaner Jim Ryan, damals unter anderem Weltrekordler über die Meile, Kenji Kimihara aus Asien und Derek Clayton aus Ozeanien, alles hochkarätige Leichtathleten. Das war schon eindrucksvoll.

SZ: Flankiert von aller Welt. Heute gibt es Pyrotechnik, in Sydney gab es aufwändige Wasserspiele, nun, für Athen, wurde ein Fackellauf durch die Welt veranstaltet, der etwas olympische Botschaft vermittelt, aber auch ganz viel konkrete Werbung für die beiden Hauptsponsoren. Ist das noch die alte Fackelidee?

Zahn: Für mich ist das okay. Ich habe nichts gegen Vermarktung, solange es Olympia hilft. Es stimmt allerdings, andere sehen das anders. In Melbourne sollte zum Beispiel vor ein paar Wochen Ron Clarke, der Schlussläufer von Melbourne '56, die Fackel übernehmen und hat sich geweigert. Er ist da unten so etwas wie ein Nationalheld und hat gesagt, er macht da nicht mit, dieses ganze Beziehungsgeflecht, das rund um Olympia entstanden ist, wolle er nicht unterstützen.

SZ: Sie treten auf jeden Fall heute wieder an, um das Feuer nochmal zu tragen, ab 12.30 Uhr geht"s los, wieder im Olympiastadion, diesmal aber nicht die Stufen hinauf, sondern zum Tor hinaus. Es wird anders als damals.

Zahn: Es waren 80.000 Zuschauer im Stadion, der Innenraum war rappelvoll mit Olympioniken, am Bildschirm waren schätzungsweise eine halbe Milliarde Menschen. Ich war aufgeregt.

SZ: Wovor hatten Sie Angst?

Zahn: Dass ich stolpere, oder dass das Feuer ausgeht. Als die Flamme durchs Marathon-Tor kam, war es schon furchtbar laut. Dann hab ich sie genommen, bin da rauf, und mit jedem Schritt wurde es lauter.

SZ: Anstrengend?

Zahn: Die Fackel war eigentlich kein Problem, das Problem war die Haltung, man sollte sie mit einem nach oben gestreckten Arm tragen, damit's nach was ausschaut.

SZ: Das Olympische Feuer war in der Antike erfunden worden, um gegenüber Zeus ein Zeichen zu setzen: Solange die Spiele andauern, werden alle kriegerischen Handlungen eingestellt. Dachten Sie wenigstens Mal kurz an die Symbolik?

Zahn: Weniger. Im Übrigen ist die eigentlich Bedeutung der Fackel heute eher überflüssig. Heute gehen die Kampfhandlungen doch weiter, und die Spiele werden für die jeweilige politische Propaganda genutzt. 1978 marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein, und Westdeutsche und Amerikaner boykottierten 1980 die Spiele in Moskau, 1984 blieb dafür der Osten Olympia in Los Angeles fern. Dieser symbolische Sinn war in der Antike berechtigt, heute ist das Feuer halt ein Teil des Spektakels.

SZ: Ihre Flamme ist nicht ausgegangen, und gestolpert sind Sie auch nicht?

Zahn: Ich stand da oben, es war eh schon so laut, aber als ich dann die Fackel in die Schüssel tauchte und das Feuer anging, hattest du dein eigenes Wort nicht mehr verstanden, das ging einem durch Mark und Bein. Ein unvergesslicher Moment.

SZ: Was hatten Sie konkret davon?

Zahn: Es gab einige internationale Läufe, zu denen ich wohl sonst nicht eingeladen worden wäre. Es hieß, Mensch, der Zahn, das war doch der Schlussläufer "72. Später war ich als Bahn- und Crossläufer 24 Mal Deutscher Meister über Mittelstrecken, zum Teil mit der Mannschaft, zum Teil im Einzel. Als Marathonläufer hab' ich mal eine Zeit von 2 Stunden 15 Minuten geschafft, heute bin ich Hobbyläufer und Trainer bei der LG Passau.

SZ: Dann hat das Feuer gebrannt, und Sie haben sich aus dem Staub gemacht?

Zahn: Das war schnell erledigt, ich hab' auf den nächsten Programmpunkt gewartet, bin hinten wieder runter geklettert, dann hab ich mich umgedreht, und vom Geländer da oben noch ein bissl zugeschaut.

SZ: Waren Sie zufrieden?

Zahn: Es hat ja alles geklappt, bis auf eins.

SZ: Was?

Zahn: Ich war zu schnell. Ich musste da oben doch recht lang auf meinen Einsatz warten, und die Fackel wurde immer schwerer. Ich sag' mal, eine Minute noch, dann wäre der Arm wieder gesunken.

© SZ vom 29.06.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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