Essensausgabe für Bedürftige:In Starnberg tafeln

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Einmal in der Woche essen Bedürftige in einem idyllischen Umfeld - von den Spenden der "Starnberger Tafel" zehren viele dann sieben Tage lang. Außer dem Hunger verbindet die Gäste kaum etwas.

Franziska Schwarz

"Ich kann grad nicht reden", ruft die Frau mit dem breiten rosa Stirnband "Ich habe nämlich die Nummer eins gezogen!". Sie dreht sich abrupt um, und verschwindet in der Gruppe.

Unter diesem Schild stehen bei der "Starnberger Tafel" die Kisten mit Lebensmitteln. (Foto: Foto: Franziska Schwarz)

Die rund hundert Menschen, die sich hier vor den Garagen neben einer Starnberger Kirche versammelt haben, sind nicht nur arbeitslos, sondern bedürftig, und die Nummer eins hätten sie vermutlich alle gerne gezogen. Ein paar Meter weiter sitzen an diesem Nachmittag viele Menschen bei einem Stück Torte und Kaffee am Starnberger See.

Der Landkreis Starnberg hat seit Jahren die höchste Millionärsdichte: auf 10.000 Einwohner kommen 12 Millionäre. Aber auch dreimal so viele Bedürftige: 36 sind es momentan, sagt Josef Textor, Leiter des Sozialamts des Landkreises Starnberg.

Deshalb speist man bei der "Starnberger Tafel", einer wöchentlichen Essensausgabe für sozial Schwache, nicht mit gespreizten Fingern. Anmutend wie ein kleiner Bauernmarkt mit Bierbänken zum Verweilen, findet man in den Auslagen zwar fast alles - trotzdem ist es Ware, die sonst niemand mehr wollte.

Seit 1993 existiert die Tafel, ihn ihrem Prinzip folgt sie den amerikanischen "Foodbanks": Auf Anruf holen die cirka 15 ehrenamtliche Helfer Waren ab, die knapp vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum stehen oder kleine Fehler haben und darum nicht mehr verkauft werden. Die erste amerikanische "food bank" wurde 1967 in Phoenix, Arizona, gegründet: St. Mary's Food Bank - seit 1967 verteilte sie Essen in Phoenix, Arizona.

Die beschädigte Ware kommt hauptsächlich aus Supermärkten und wird hier in Lebensmittelgruppen sowie in "sofort verzehrbar" und "zum Kochen" unterteilt. Spenden kommen auch von Privathaushalten und Großbetrieben. Die Molkerei Weihenstephan zum Beispiel spendet einmal wöchentlich Ausschussware, größtenteils Joghurt und Buttermilch.

"Du kannst ruhig rauf bis siebzig nummerieren - heute kommen sehr viele", weist Helfer Wolfgang seinen Kollegen an. Die Essensausgabe verläuft streng nach Plan. Nachdem die nummerierten Karteikärtchen verlost worden sind, warten die Menschen auf ihren Aufruf und treten, mit einer Transport-Kiste in der Hand, den Parcours von leicht verderblichen über länger haltbare Lebensmittel bis hin zur warmen Mahlzeit an.

Gesprochen wird kaum. Bis zum Schluss, wenn die Ausgabe nach ungefähr einer Stunde vorbei ist, mischen sich die beiden Gruppen nicht: Die Wartenden auf den Bänken und jene am Eingang der Kirche, mit einer Bierflasche in der Hand.

Nach eine halben Stunde taucht die Frau mit der Nummer eins wieder auf und hält einen angebrochenen Schokoladen-Weihnachtsmann in einer Plastiktüte. Sie guckt während des Sprechens durch ihre dunklen Gläser nervös in alle Richtungen.

Früher sei sie eine "grüne Witwe" gewesen - sie habe reich verheiratet die meiste Zeit auf dem Land gelebt, bis ihr Mann sie verlassen habe. Nun teile sie sich Hartz IV ein, das ergebe fünf verfügbare Euro am Tag. Ansonsten sammle sie leere Bierflaschen ein. Problematisch seien Arztbesuche."Ich trage bis hier oben Stützstrümpfe", sagt sie und deutet mit beiden Armen an ihrem Körper hinab.

Die Stadt Starnberg bemüht sich um Abhilfe. Immer zur Weihnachtszeit sammelt der Sankt-Johannes-Verein Spendengelder der Bürger und verteilt sie in Form von Bargeld an die Bedürftigen. Dafür schreibe er die Gelisteten persönlich an, sagt Andreas Steinrötter, Verwalter des Vereins. Die Beteiligung an der Aktion sei gut.

Am Rand der Szene wartet ein älterer Herr mit Trolley - der "Professor". Sein aufeinander abgestimmter Trenchcoat und Hut fallen auf. Er ist Physiker, hat früher viel programmiert, erzählt er.

"Der 'Professor' war wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität", erzählt Frau Klemm, Begründerin der Starnberger Tafel. "Wir haben ihn neu eingekleidet - jetzt besucht er wieder Vorlesungen in der Akademie der Künste."

Es werde immer schlimmer, sagt Frau Claudia Keller, Inhaberin einer Pasinger Bäckerei. Auch sie ist Sponsorin und gibt einmal wöchtenlich 15-20 Kilo an altem Brot her. Leider kämen die Abholer zu selten - die feinen Gebäckstücke verderben zu schnell. Ihre Hilfe bot sie vor fünf Jahren an, als immer mehr Bedürftige nach Resten fragten. "Einmal stand um fünf Uhr in der Früh eine Frau in meinem Laden und sagte, dass sie kein Geld habe."

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