Es leuchtet:"Herrgott, ist das nicht schön?"

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Insel im Strom: Das Ruffinihaus am Rindermarkt ist eine Reminiszenz an die Vergangenheit. Als "Münchner Wintermärchen" erstrahlt es nun in neuem Licht.

Anne Goebel

Am frühen Abend, wenn sich draußen die Glühweingruppen formieren, tritt Manfred Kraus gern vor die Tür und blickt nach oben Richtung Herrlichkeit.

Kraus ist Antiquitätenhändler, den Seidenschal trägt er malerisch drapiert, das weiße Haar wogt nach Richard Wagner Art, und wenn er so dasteht, die Arme zum Himmel gereckt, hat die Szene etwas theaterhaftes. ,,Herrgott, ist das nicht schön? Ist es nicht schön, Leut'?'', fragt er.

Die Punschtrinker am Rindermarkt lassen sich nicht weiter stören, und Manfred Kraus preist noch länger die schillernd illuminierte Front des Ruffinihauses. Der Prachtbau am Rosental ab 17 Uhr in Farbe: Das ist die neueste Attraktion des Christkindlmarkts, aber für den Moriskenkenner Kraus, für die Perückenhändlerin, den Küchenschürzenladen, das Früchtehaus, die Schnürsenkelhandlung geht es um mehr.

Kleine Genugtuung

Sie lieben das Ruffinihaus, den behäbig ausladenden Riegel am Ende der Fußgängerzone, der ihre Läden beherbergt. Und dass die Fassade mit den Erkern und Sprossenfenstern jetzt so knallig in Szene gesetzt wird, ist gegenüber den gelackten Großvitrinen der Shops und Passagen eine kleine Genugtuung. Wie bei einem, der schon immer wusste, dass er die Schönste abgekriegt hat - und endlich merken es auch die anderen.

Wobei es natürlich so ist, dass Connaisseure der Münchner Stadt- und Kunstgeschichte ohnehin nicht Gefahr laufen, das in zartem Gelb und Blau gehaltene Baudenkmal von Gabriel von Seidl zu übersehen. Die Ruffinihäuser - benannt nach dem Hofkammerrat und Salzkaufmann Johann Baptist von Ruffini, der das vorherige Anwesen 1721 erwarb - gelten als Prunkstück von Seidls.

Nach dem Abriss der alten Anlage, zu der bis in die Biedermeierzeit auch ein Stadttor gehörte, gewann der Großmeister des Historismus mit seinem detailvergnügten Entwurf den städtischen Wettbewerb. Walmdächer mit türmchenhaften Kaminen und überraschenden Balkonen, Rundbogenfenster, Pilaster, geschnitzte Nussholztüren:

Kunsthistoriker frohlocken über die ,,in ihrer Silhouette malerisch bewegte Baugruppe'', zu der von Seidl drei Häuser um einen dreieckigen Innenhof zusammengefügt hat.

"Ein bisserl pseudo"

Seit der Rindermarkt im Sommer zum liebsten Mittagspausenort der Innenstadt-Münchner avancierte, lässt sich der überreiche Dekor an den Fassadenreliefs lässig durch die Sonnenbrille begutachten: Mollige Putten zwischen Weinranken, Faungestalten und Wagenlenker, ein Münchner Kindl, eine Jungfrau - man sitzt beim Espresso, staunt und freut sich, was für ein toller alter Kasten das ist.

Ist er aber gar nicht so sehr. Zwischen 1903 und 1906 ließ von Seidl hier bauen, aber er hat sich à la mode nach Kräften bemüht, im Nebeneinander der Stile den Eindruck eines historisch gewachsenen Ensembles zu erzeugen.

Im Grunde sind die Ruffinihäuser ein Fake. Und von Seidl hätte das adventliche Kunstlichtspektakel vielleicht gemocht, das seinen Bürgerpalast aussehen lässt wie ein surreales Weltraumgefährt.

,,Ein bisserl pseudo'', hat die Tourismuschefin Gabriele Weishäupl in einer Liebeserklärung an das verwinkelte Haus geschrieben, in dem sie ihren imposanten Amtssitz unterhält.

Oben also Putz und Beletage, Erkerzimmer, Flügeltüren. Unten hocken, wie in einem Unterschlupf, die kleinen Läden. Einem bauchigen Poller gleich steht der Ruffiniblock inmitten der geschäftigen Passantenströme, die zwischen den Magnetpunkten Marienplatz, Sendlinger Tor, Viktualienmarkt hin- und herwogen.

Da kann es schon mal passieren, dass ein Brautmodenfenster mit unzähligen Krönchenmodellen übersehen wird oder eine Niederlassung für Freunde der Modelleisenbahn. Viele der Ruffinihausgeschäfte sind altmodische Handlungen, bei denen eine Glocke an der Tür bimmelt und das Sortiment zum Beispiel an Hauskitteln erstaunlich ist.

Georg Kapfhammer hingegen verkauft seit 67 Jahren Herrenkonfektion für die Firma Hillenbrand, die ihm mittlerweile seit Jahrzehnten gehört. ,,Elastische Kombihose'' oder ,,Autohose waschbar'' steht auf den Preisetiketten draußen im Schaufenster mit Vorkriegspuppen.

"Es hat so einen Liebreiz!"

Drinnen steht Georg Kapfhammer auf einem etwas abgewetzten Teppich und sagt, ,,ich war ein paar Jahre im Krieg draußen, danach hab ich die Nase voll gehabt vom Wegfahren''. Was nicht bedeuten muss, dass er nie wieder die Stadt verlassen hat, aber Herr Kapfhammer lehnt auf eine Art am hölzernen Verkaufstresen, gelassen freundlicher Blick, als passe er überhaupt nur hier her.

Zu seinen Füßen thront ein majestätischer Hund, und mit den penibel sortierten Regalen voller Wollhosen und Tweedsakkos fügt sich die Szene zu einem Bild wie aus vergangenen, langsamer fließenden Tagen.

Die zwei Stecknadeln im Pullover des 81-Jährigen deuten auf den Konfektionskenner hin, der einem die Änderungen an einem schottischen Dufflecoat behende abstecken würde. Als ein amerikanischer Tourist, der am Vormittag zwei Kniebundhosen kaufte und nun um Aufschreiben des deutschen Fachbegriffs für die ,,pants'' bat, den Laden wieder verlassen hat, lächelt Kapfhammer leise. ,,Die ham die Hosen gern.''

Es gibt Anzeichen dafür, dass die Ruffini-Läden besondere Geschäfte mit Spezialsortimenten sind - oft in Familienbesitz -, und dass sie eine Gemeinschaft bilden, einen eigenen Kosmos in der hastigen City unter von Seidls geschwungenem Ziegeldach.

Im Perückenladen hängt der Dankesbrief einer Kundin im Fenster; die Damen von Foto Kellner treffen gern Herrn Kapfhammer Junior bei der Rauchpause auf dem Bürgersteig, währen die italienischen Kellner vom ,,Segafredo'' beim Zigarettenkauf immer Scherze mit der Besitzerin des Tabakladens machen. Und das spanische Fruchthaus ist via Taufpatin mit der Konfektion Hillenbrand verbandelt.

Nebendran schwärmt Petra Weigert, die den Traditions-Schuhladen Baumeister und drei Schrankwände voller Schnürsenkel führt: ,,Es hat so einen Liebreiz, unser verkasteltes Hexenhaus!''

Schutz vor der Gier

Ihre Stammkunden aus Kanada oder Brasilien würden stets den Umriss ihrer Sohlen durchfaxen, damit die Filzpantoffeln oder Lammfellslipper in der richtigen Größe verschickt werden. Stammkunden sind wichtig für die Läden - und der Schutz vor gierigen Immobilienfirmen.

Wer sich schon immer gefragt hat, wie ein alteingesessenes Elektrogeschäft mit verblüffender Auswahl an Rasiergeräten und Nasenhaarschneidern mitten in der City überleben kann: Das Ruffinihaus gehört der Stadt, das hält die Mieten im Zaum.

Abends, wenn die Fassaden glühen und Manfred Kraus vor die Tür tritt, hilft am Glühweinstand gegenüber die 18-jährige Alessa Handke aus, die sehr hübsch ist und Geld für den Führerschein braucht. Was sie vom Ruffinihaus weiß?

,,Also, die Läden, nicht mein Ding'', sagt die schöne Alessa leichthin. Aber andererseits seien sie auch süß, und die Leute stünden da bestimmt schon seit tausend Jahren drin und verkauften ihre Sachen. ,,Irgendwie bin ich froh, dass sie da sind.'' Das ist schön gesagt.

© SZ vom 21.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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