Erst Kind, dann Freund:"Schwule Väter erziehen selbstbewusste Kinder"

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Ein 47-jähriger Münchner schildert, wie er erst gegen seine sexuelle Orientierung kämpft, heiratet und einen Sohn bekommt - und sich dann outet.

Sven Loerzer

Mit fast 20 Jahren Abstand betrachtet, klingen auch einschneidende Erlebnisse fast schon wie Anekdoten. Als Jürgen Schlischo seiner Mutter zu erklären versuchte, dass er schwul sei, reagierte sie völlig verständnislos: "Warst du schon beim Arzt", fragte sie den heute 47-Jährigen, "kriegst du Medikamente?" Eigentlich, sagt Schlischo, habe er Glück gehabt mit seinem Coming out, dem offenen Bekenntnis, dass er schwul ist. "Ich hätte viel mehr Stress haben können", weiß der geschiedene Vater eines erwachsenen Sohnes.

Jürgen Schlischo (Foto: Foto: Hess)

Ein einfacher Weg war es dennoch nicht. Schlischo klagt nicht, er schildert seine Entwicklung ziemlich nüchtern aus der Distanz der Erinnerung. In Hannover geboren und aufgewachsen in einem konservativ eingestellten Elternhaus, ist seine Jugend geprägt vom Kampf gegen die Folgen der Kinderlähmung. Mit zwölf Jahren vernimmt er, wie die Ärzte über seinen "Fall" urteilen und zu dem Ergebnis kommen, er werde "irgendwann im Rollstuhl sitzen".

Doch Schlischo gibt nicht auf, setzt um so zäher auf Gymnastik und Sport, um die Behinderung zu überwinden. Er habe nur auf Zehenspitzen mit nach innen gedrehten Füßen laufen können. Doch nach zweieinhalb Jahren regelmäßigen Trainings brauchte er keine Hilfsmittel mehr, geblieben ist nur eine leichte Gehbehinderung.

"Du gehörst auf die Sonderschule"

Die Reaktion auf seine Behinderung hatte ihn in der Schule zum Außenseiter gemacht. "Im Alter von zehn Jahren hat die Lehrerin zu mir gesagt, du bist behindert, du gehörst auf die Sonderschule, da werden die Lehrer besser bezahlt." Für die Behinderung "kriegt man noch richtig eine reingewürgt", sagt Schlischo. Erst nach dem Sonderschulabschluss kann er den Hauptschulabschluss nachholen und eine Ausbildung zum Industriedreher absolvieren. Danach arbeitet er als Betriebsschlosser für die Bundeswehr.

Zu seinem Schwulsein hat er sich damals noch nicht bekannt. In der Schule habe er mehr den Jungs - möglichst unauffällig - nachgeschaut. "Ich wusste schon bald, dass mich Mädchen nicht interessieren." Und wenn Klassenkameraden jemand als "schwule Sau" diskriminierten, dann hielt sich Schlischo zurück, da wollte er nicht mitmachen. Im Elternhaus herrschte weitgehend Stillschweigen. Nur einmal habe sein Vater zu ihm gesagt, "bevor du dir ständig einen runterholst, besorg dir mal lieber ein Mädchen - oder bist du etwa schwul".

Als dann schließlich seine Schwestern heirateten, habe er es versucht auch "diese Schiene zu fahren, mit einer Frau". Tatsächlich habe er eine Frau "kennen und lieben gelernt, die er 1985 auch heiratet. Noch im gleichen Jahr wird ein Sohn geboren. Sein "Schlüsselerlebnis" für das Coming out hat Schlischo 1989.

"Du bist doch auch schwul"

Als Betriebsschlosser bei der Bundeswehr ist er eingeteilt für eine Küchenreparatur und kommt dabei mit dem schwulen Koch ins Gespräch. Der hatte Probleme mit einer Versicherung, und weil sich Schlischo da auskannte, lädt der Koch ihn nach Hause zum Essen ein.

Der Koch spricht offen aus, was Schlischo glaubte, gut verborgen zu haben: "Du bist doch auch schwul, deine Blicke verraten alles." Schlischo gerät in Panik, fühlt sich entdeckt: "Ich war total schockiert. Ich habe mich gefragt, ob man mir das wirklich ansieht, dass ich schwul bin. Dann bin ich sofort nach Hause gefahren, habe mich geduscht und abgeschrubbt, um mich nur ja von diesem schwulen Makel reinzuwaschen." Über den Koch bekommt Schlischo Kontakt zur schwulen Szene in Hannover: "Ich habe mich geziert, und wie das dann so ist, habe ich natürlich 1000 Einladungen bekommen."

Auch wenn Schlischo und seine Frau abends abwechselnd allein ausgehen, damit der vierjährige Sohn versorgt ist, bleibt ihr der neue Freundeskreis nicht verborgen. Irgendwann kommt die Frage: "Du bist regelmäßig mit Schwulen unterwegs. Bist du auch schwul?" Schlischo räumt darauf ein: "Ja, ich glaube, ich gehöre auch dazu." Seine Frau antwortet: "Jetzt wird mir einiges klar."

Danach sucht er sich eine eigene Wohnung und zieht aus. Obwohl es für seine Frau nicht einfach wegzustecken war, dass sich ihr Mann geoutet hat, habe sie ihm "den Weg dazu geebnet", sagt Schlischo. "Obwohl es für sie schmerzhaft war, hat sie mich sehr unterstützt." Sie habe sogar bei seiner Mutter interveniert, ihr vorgehalten, dass sie doch ihren einzigen Sohn nicht einfach fallen lassen könne. Dennoch brach der Kontakt für längere Zeit ab. 13 Jahre nach der Trennung schließlich lässt sich Schlischo scheiden.

Seinem Sohn hat er schon bald erklärt, dass er einen Mann liebt. Größere Konflikte gab es nicht: "Schwule Väter haben ein großes Verantwortungsbewusstsein und sind meist häuslich eingestellt. Sie erziehen tolerante und selbstbewusste Kinder."

Auf den Rat seiner Frau hin outet sich Schlischo auch schon bald am Arbeitsplatz: "Das war dann drei oder vier Wochen das Thema Nummer 1." Der eine oder andere blöde Spruch kam dann noch. Die Kollegen fragten, wie das denn gehe, wenn der Sohn bei ihm in der Wohnung übernachtet und Schlischos Freund komme. Schlischo schüttelt den Kopf: "Ihr macht doch auch die Schlafzimmertür zu."

Schlischo hat inzwischen die Bundeswehr verlassen, um sich nach dem Erwerb verschiedener Trainerlizenzen, wie etwa für Nordic Walking, als Wellnesstrainer und -berater selbständig zu machen. Wegen eines Fortbildungsseminars kam er Ende 2005 erstmals nach München - und blieb. "Ich fand München interessant. Als ich aus dem Zug stieg, wusste ich, hier will ich leben." Schon in Hannover hat er im Schwulenzentrum mitgearbeitet, so schließt er sich auch in München schon bald dem Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum (Sub) als Mitglied des Trägervereins an.

Im Sub übernimmt er Thekendienste und wird schließlich im November letzten Jahres in den Vorstand gewählt, wo er sich um die Haustechnik, Sicherheit und Öffentlichkeitsarbeit kümmert. Im Sub treffen sich jeden ersten und dritten Mittwoch (20 Uhr) auch etwa 30 schwule und bisexuelle Ehemänner und Väter in einer offenen Gruppe.

Dem Sport, der ihm in der Bewältigung der Behinderung so viel geholfen hat, ist Schlischo treu geblieben: "Dadurch ist mein Körper wieder in Gang gekommen." Dreimal pro Woche geht er selbst zum Fitnesstraining, mit seinem Freund trifft er sich zum Schwimmen, 1000 Meter, "das tut mir gut".

Wahre Liebe, sagt Schlischo, der aus der Kirche ausgetreten ist und sich dem Buddhismus zugewandt hat, sei nur in der Zweisamkeit zu finden. Saunabesuche, der schnelle Sex mit wechselnden Partnern, waren noch nie seine Sache. Aber, so winkt er ab, "ich will mich nicht über Sexualität definieren, sondern als Mensch". Harmonie, aber auch Respekt voreinander sei in einer Beziehung wichtig.

Auch wenn er es sehr viel leichter gehabt habe, sich zu outen, als andere schwule Väter, ist Schlischo dennoch davon überzeugt, dass die Unterstützung aus dem Umfeld wichtig ist. Eine andere sexuelle Orientierung dürfe nicht dazu führen, Menschen abzuwerten.

Doch noch immer stoßen Schwule, die sich outen, auf Widerstände, Abwertung und Ausgrenzung. Er kennt einen Fall, wo die Eltern ihren Sohn mit Stromstößen "behandeln" lassen wollten, oder einen anderen, wo die Ehefrau ihren schwulen Mann von einem Pastor belehren ließ. Trotzdem ist Schlischo davon überzeugt, dass das Coming out der richtige Weg ist: "Ich musste zuvor viel Energie aufbringen, um mich nicht entdecken zu lassen."

© SZ vom 11.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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