Weiteres Zeugnis für die lange Besiedlungsgeschichte:Der Tote von Landsham

Lesezeit: 4 min

Bei Grabungsarbeiten für das Mehrgenerationenhaus in Pliening entdecken Archäologen ein Skelett aus der Zeit spätrömischer Besiedlung

Von Alexandra Leuthner

Ein Mann in den besten Jahren muss er gewesen sein, nicht allzu groß. Auf 1,60 Meter in etwa schätzen ihn seine Finder. Für seine Zeit allerdings war er vielleicht eine stattliche Erscheinung - die aber ein unverhältnismäßig frühes Ende gefunden haben muss. Die Zähne in seinem Mund jedenfalls sehen stark und ziemlich unversehrt aus. Sie haben den Jahren weitaus besser widerstanden als andere Körperteile des Unbekannten, der vor kurzem unsanft aus seiner ewigen Ruhe ans Tageslicht geholt wurde.

Die Wirbelsäule hat sich im kalkhaltigen Boden der Schotterebene komplett zersetzt, die Armknochen aber waren noch vorhanden und bildeten, so wie man ihn fand, einen flachen Halbkreis um die platt gedrückten Rippen, die Beine waren x-förmig zueinander gebogen. Der Kopf hatte seine ursprüngliche Form eingebüßt, war auf die Seite gedreht und eingedrückt - für einen ehemaligen Kriminalermittler wie Roland Frick, der sich an einem sonnigen Herbstmorgen den Fund zeigen lässt, wäre ein solcher Anblick im ersten Moment ganz sicher ein Anlass zu erhöhtem Puls gewesen. In diesem Fall aber kann die Verformung wohl auf das Gewicht der Erde zurückgeführt werden, die seit 1700 Jahren ungefähr auf das Skelett des Toten drückt, womit er nicht mehr ganz in die Zuständigkeit der Kriminalpolizei, sondern in jene der Archäologen gehört.

Roland Frick, heute bekanntlich CSU-Bürgermeister der Gemeinde Pliening, freute sich dennoch recht über die historischen Überbleibsel, die Mitarbeiter des Archäologischen Büros Anzenberger und Leicht in Landsham zu Tage gefördert haben und bei einem Ortstermin der Öffentlichkeit präsentieren. Sind der Tote und zwei weitere Skelette, die ebenfalls in der Baufläche für das künftige Landshamer Mehrgenerationenhaus lagen, doch ein weiteres Zeugnis für die lange Besiedlungsgeschichte des Gebiets am Fuß der Endmoräne in der Gegend von Landsham, Pliening und Gelting. Mit der ewigen Ruhe allerdings ist es nicht so weit her in der Gegend. Wo der Baugrund so begehrt ist, werden immer wieder unter den obersten Erdschichten Spuren der Vergangenheit zu Tage gebracht: Grabfelder aus der Keltenzeit im Baugebiet Am Seelkopf, 3000 Jahre alte Reste von Häusern aus der Hallstattzeit, das Skelett eines Mannes aus der Glockenbecherzeit um 2500 vor Christus.

Die Archäologen Birgit Anzenberger und Tilman Eickhoff besichtigen mit Architekt Kristian Polborn (links) die Reste eines Wirtschaftsgebäudes am Rande der Baufläche. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Tote von Landsham nun - der vielleicht auch eine Frau gewesen ist, wie die Archäologin Birgit Anzenberger erklärte - und seine zwei Mitreisenden durch die Ewigkeit dürften aus der Zeit römischer Besiedlung stammen. Soviel konnten die Experten aus den Funden in der untersuchten Fläche rekonstruieren. Am nördlichen Rand des Baugrundstücks, zum Brunnenweg hin gelegen, waren unter der obersten Bodenschicht Reste von rötlichem Stein zu erkennen. "Tebulae, römische Dachziegeln, und Spuren von Tuffstein, ganz typisch für die römische Bauweise." An dieser Stelle müsse einmal ein hölzerner Bau gestanden haben, ein senkrecht in die angegrabene Böschung hinein laufender Mauerrest ist noch erkennbar, der wohl einmal einen Raum zur Vorratslagerung gebildet hat. "Hier, das sind alles Spuren von Getreidekörnern," erklärt der Archäologe Tilmann Eickhoff und zeigt auf viele stecknadelgroße schwarze Punkte, die sich im hellen Kalkboden abzeichnen. Zur Mitte der Fläche hin konnten die Archäologen Reste eines Brunnens freilegen, kaum mehr als eine ringförmige Verfärbung im hellen Boden. Das Grundwasser sei zur spätrömischen Zeit viel höher gestanden als heute. Würde der Brunnen heute noch im Wasser stehen, wäre das Holz konserviert worden.

"Man muss davon ausgehen, dass das hier der Außenbereich einer Siedlung war", erläutert Anzenberger, gelegen an einer Nebenstraße der Hauptsiedlung, die an einer großen Römerstraße errichtet worden war, die sich durch die Schotterebene zog. Dass man die Toten nicht in einem großen Grabfeld bestattete, sondern in einer kleinen Gruppe, vermutlich auf dem eigenen Hof, sei ganz üblich gewesen. Auch, dass die Toten unterschiedlich ausgerichtet waren, deute darauf hin, dass sie noch vor dem beginnenden Mittelalter begraben wurden. Erst dann seien große Gräberfelder angelegt worden, erklärt sie weiter. "Dann lagen sie lagen alle mit dem Kopf im Westen, den Blick Richtung Sonnenaufgang."

Für die Toten von Landsham - die ja vielleicht sogar den einen oder anderen Nachkommen in der Gemeinde haben - ist die Zeit in der kalten Erde jetzt vorbei. In der archäologischen Staatssammlung werden sie noch einigen Untersuchungen unterzogen, auf Krankheiten und Verletzungen, bevor sie archiviert werden. Selbst die Gesellschaftsschicht, zu der die Toten gehört haben, lasse sich relativ leicht erschließen, sagt die Archäologin. Die Ärmsten hatten immer schon die abgekautesten Zähne, die Mittelschicht die besten. Die Oberschicht aber kämpfte schon im alten Rom mit Karies. "Das zieht sich durch alle Jahrhunderte. Man kann noch heute erkennen, wer sich weißes Mehl und Zucker leisten konnte."

Die drei Gräber und die Spuren, die die Toten zu ihren Lebzeiten hinterlassen haben, verschwinden im kommenden Jahr unter den Fundamenten des Mehrgenerationenprojekts der Baugenossenschaft Maro, die die Grabung in Auftrag gegeben hatte - sehr zur Freude der Archäologen. "Die Gemeinde war dafür, der Bauherr, das Landesamt für Denkmalpflege, der Eigentümer des Nachbargrundstücks", - in das die Archäologen hinüber graben mussten, um den letzten der drei Toten komplett freizulegen. "Bessere Bedingungen kann man sich nicht wünschen", schwärmt Anzenberger - der man dennoch eine gewisse Enttäuschung darüber anmerkte, nicht unter dem Radweg, der das Gelände im Norden begrenzt, weitergraben zu können und vielleicht noch mehr von der römischen Vorratskammer freizulegen. "Das geht sicher in 70 Zentimeter Tiefe unter dem Radlweg weiter." Wer weiß, was sich dort noch alles gefunden hätte. Aber die Suche nach Spuren aus der Vergangenheit ist in Landsham auch so noch lange nicht vorbei. So sind die Archäologen derzeit auf einem Feld in Gerharding beim Kieswerk Ebenhöh beschäftigt, und auch im gemeindeeigenen Baugebiet Landsham Süd soll erst einmal nach Überresten aus fernen Jahrhunderten gegraben werden, bevor die Bagger anrücken. Für den Kriminalermittler im Bürgermeister Grund genug, sich schon einmal die Hände zu reiben.

© SZ vom 22.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: