Unhaltbare Vorwürfe:Freispruch für Müller-Ermann

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Heiner Müller-Ermann mit seinem Plakat - und einer Bekannten, die auch mal kurz bei ihm stand. (Foto: Renate Schmidt)

Das Amtsgericht Erding kassiert einen Bußgeldbescheid des Landratsamts über 253,30 Euro ein. Die Meinungsäußerung mit einem Plakat gegen eine AfD-Veranstaltung war keine unangemeldete Versammlung

Von Florian Tempel, Erding

Heiner Müller-Ermann hat nicht gegen das bayerische Versammlungsgesetz verstoßen. Das Amtsgericht Erding hat einen Bußgeldbescheid des Landratsamts Erding über 253,50 Euro mit einem Freispruch für den 69-Jährigen einkassiert. Als am 2. Mai die AfD eine Veranstaltung in Dorfen abhielt, hatte sich der SPD-Stadtrat bewusst abseits einer Gegenkundgebung alleine hingestellt und mit einem handgeschriebenen Plakat seine Meinung geäußert. Auf dem Plakat stand: "Auch damals dachten viele: So schlimm wird's schon nicht werden." Aus dem schlichten Umstand, dass ein Nachbar bei ihm stehen blieb und sich einige Minuten mit ihm unterhielt, konstruierte man im Landratsamt Erding eine angebliche Versammlung, die Müller-Ermann spätestens 48 Stunden vorher hätte anmelden müssen. Das war und blieb unhaltbar.

Als Erster durfte Müller-Ermann die Sache aus seiner Sicht darlegen. Er sagte, der Bußgeldbescheid des Landratsamts sei ihm "völlig unerklärlich" und der Vorwurf gegen ihn "aus der Luft gegriffen". Er habe an jenem Tag sehr genau überlegt, wie er auf die erste größere AfD-Veranstaltung in seiner Stadt reagieren sollte. Er habe nicht an der von "Die Partei" angemeldeten Kundgebung gegen die AfD teilnehmen wollen, weil er von dieser "Spaßpartei" wenig halte. Er habe auch nicht an der Aktion anderer Dorfener teilnehmen wollen, Sitzplätze im AfD-Veranstaltungslokal zu besetzen und den Rednern dort die rote Karte zu zeigen.

Schließlich sei er auf die Idee gekommen, mit einem Plakat seine Meinung öffentlich zu äußern. Wie er erwartet hatte, wiesen ihn Polizeibeamte vor dem AfD-Veranstaltungslokal an, sich mit dem Plakat nicht direkt davor zu positionieren. Also stellte er sich nebenan vor die Sparkasse. Manche Passanten blieben bei ihm stehen und lobten den Spruch auf seinem Plakat, andere gingen "mit verkniffenem Gesicht vorbei".

Dann kam sein Nachbar Ernst Giller zu ihm. Dieser berichtete als Zeuge vor Gericht, wie er sich mit Müller-Ermann über dies und das unterhalten habe - unter anderem über die vergeblichen Mühen des Fußballvereins 1. FC Köln im Abstiegskampf. Plötzlich seien drei Polizeibeamte an sie herangetreten und hätten ihnen "zu unser großen Überraschung" eröffnet, dass sie wohl eine unangemeldete Versammlung abhielten.

Richterin Katharina Höhne hielt ihm vor, was im Polizeibericht ans Landratsamt stand: Dort war vermerkt, Giller habe zu Polizei gesagt, "er könnte so tun, als ob er sich mit Müller-Ermann unterhalte". Diesem Halbsatz maß die Richterin offenbar große Bedeutung zu. Denn mit etwas Mühe ließ sich daraus rückschließen, dass Giller eben nicht wegen einer Unterhaltung bei Müller-Ermann stand, sondern um mit ihm zu demonstrieren.

Doch weder Giller noch einer der Polizeibeamten, die als Zeugen vor Gericht aussagten, wussten etwas von einer derartigen Aussage. Ein Kriminalbeamter der Abteilung Staatsschutz und der stellvertretende Dienststellenleiter der Dorfener Polizeiinspektion konnte nichts anderes sagen, als dass Müller-Ermann und Giller zusammen standen. Der Polizeibeamte, der den Bericht ans Landratsamt geschrieben hatte, war der Verhandlung durch Krankheit entschuldigt ferngeblieben.

Der zuständige Abteilungsleiter im Landratsamt blieb dennoch hartnäckig dabei, das Zusammenstehen der beiden Nachbarn sei eine Versammlung gewesen. Außerdem sei Müller-Ermann gewissermaßen ein notorischer Wiederholungstäter. Tatsächlich hatte Müller-Ermann vor vier Jahren bei einem Besuch von CSU-Spitzenpolitikern an der A 94-Baustelle mit einer kleinen Gruppe mit Mitstreitern ohne vorherige Anmeldung demonstriert - was aber damals ohne Folgen blieb.

Müller-Ermanns Anwalt Claus Deißler erwiderte, das Verfahren gegen seinen Mandanten habe "groteske Züge": "Wenn jeder, der seine Meinung äußert, Gefahr läuft, ein Bußgeld zahlen zu müssen, dann ist das verfassungsrechtlich sehr bedenklich." Müller-Ermann sagte in seinem Schlusswort, er sei erstaunt über die "unglaubliche Energie", mit der das Landratsamt Erding einen verfolge, "der nichts anderes getan hat, als eine vernünftige Botschaft unters Volk zu bringen". Das schmerze ihn als "altgedienten Demokraten". Er habe aber "das Vertrauen in den Rechtsstaat, dass ich hier nicht verurteilt werde".

Richterin Höhne begründete den Freispruch kurz und knapp. Es möge zwar "nahe liegend" sein, im Zusammenstehen von Müller-Ermann und seinem Nachbarn Giller "eine gemeinsame Meinungsäußerung" zu erkennen, eine Versammlung sei das aber nicht gewesen.

© SZ vom 12.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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