Ungewöhnliche  Kunstbegegnungen:Leinwand und Leberkäse

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Beim Metzger, im Möbelhaus, beim Zweckverband: Im Landkreis kann man Ausstellungen entdecken, wo man sie nicht vermutet hätte. Gerade das macht die Bilder mitunter erst recht zu Hinguckern

Von Thomas Jordan, Erding/Dorfen

Gleich hinter der Schweineschulter hängt die Lebensfreude. So heißt das abstrakte Acrylgemälde, das sich in leuchtenden Orangetönen von der Warmhaltevitrine der Metzgerei Lobermeier in Erding abhebt. Links und rechts davon hängen im Imbissbereich vier weitere Gemälde, mal zeigen sie Dirndlträgerinnen, mal einen Sonnenuntergang. An der Decke ist eine Lichtschiene für die Beleuchtung angebracht, die Wand ist in einem warmen Dunkelrot gestrichen. Wer im Landkreis Erding Kunst erleben will, muss nicht immer ins Museum oder in eine Galerie gehen. Im Möbelhaus in Dorfen überraschen Skulpturen und Gemälde überregionaler Künstler, beim Abwasserzweckverband Erdinger Moos hängen abstrakte Naturbilder und hinter aufgetürmten Leberkäselaibern wartet Acrylmalerei.

Anfangs habe sie Bedenken gehabt, in einer Metzgerei auszustellen, sagt die Malerin Sylvia Frey. "Ich hatte befürchtet, es wertet die Kunst ab." Inzwischen hat die Künstlerin ihre Meinung geändert. Was in der Metzgerei erst seit kurzem ausprobiert wird, gehört im Einrichtungshaus Thalmeier seit 30 Jahren zum Konzept. Wer das Geschäft am Marienplatz in Dorfen betritt, stößt im zweiten Raum auf einen verletzlich wirkenden Mädchentorso aus Keramik. Überzogen ist das Kunstwerk mit einer Porzellanlasur. Man würde es eher in der Münchner Glyptothek als in einem Dorfener Möbelhaus vermuten.

Im Möbelhaus Thalmeier hängt "Goggel" von Harry S. (Foto: Renate Schmidt)

"Die Skulptur beseelt die ganze Ausstellung", sagt Veronica Clemens. Die 59-Jährige kümmert sich seit zehn Jahren um das Kunstprogramm in dem Einrichtungshaus. "Wohnen ist Leben" sagt Clemens. Das Einrichtungshaus versteht die Innenarchitektin Clemens als "Bühne des Lebens". Und zum Leben gehörten schließlich auch die melancholischen Momente, wie sie die Skulptur "Mitzi" der Bildhauerin Christa Walde aus Lengdorf verkörpert.

Seit Ende Juni läuft hier eine Ausstellung zum 150-jährigen Firmenjubiläum der Schreinerei Thalmeier. 25 Künstler sind mit etwa 50 Arbeiten auf den drei Ebenen der Möbelausstellung zu sehen. Das Spektrum reicht von Holzskulpturen über Zeichnungen und großformatige Gemälde bis hin zu Fotokunst. Eine Vielfalt, auf die so manche Kunstgalerie neidisch wäre.

Die Kunstwerke, die Veronica Clemens für die Ausstellung aussucht, sollen Emotionen auslösen und zum Gesamtkonzept eines des Raums passen. Ein Kollege kümmert sich um die Möbelausstellung und Clemens sorgt dafür, dass Küchen- Wohn- und Schlafzimmereinrichtungen durch die Kunst zusätzlich gewinnen. Das Spiel mit Farbkontrasten und Formähnlichkeiten zwischen Möbel und Kunstwerk ist ihr wichtig. Zwischen zwei rostfarben schimmernden, stoffbezogene Wohnzimmerseseln hat sie das ebenso mystische wie naturalistische Insektengemälde der Münchner Künstlerin Anja Bolata gehängt. Der orangefarbene Schmetterling in Bolatas Gemälde findet sich farblich in einem der Sessel wieder. Bei "Abgestreift" von Rosi Saller ist es die Form, die Kunst und Möbel verbindet. Über einem Doppelbett in der Schlafzimmerausstellung hängt das Gemälde, auf dem ein weiblicher Oberkörper zu sehen ist, der mit Spaghetti-Trägern an einem Bügel aufgehängt ist. Eine Reminiszenz an den Schlaf als Loslassen von den körperlichen Zwängen im Alltag. Wer genau hinsieht, erkennt, dass die schräg über die Kissen verlaufenden weißen Linien, den Spaghetti-Trägern auf dem Bild an der Wand gleichen.

Sylvia Frei in der Metzgerei Lobermeier. (Foto: Renate Schmidt)

Wertig und original sind Begriffe, die im Gespräch mit Veronica Clemens häufig fallen. In einem Einrichtungshaus, in dem viele Möbel aus der hauseigenen Schreinerei stammen und ein Küchentisch schon mal 70 000 Euro kostet, könne man auch in der Kunst keine Reproduktionen aufhängen, sagt die Innenarchitektin. Manchmal spiele sie bei ihren Hängungen aber auch ironisch mit all dem ausgestellten Luxus. Dann kombiniert sie bildliche Darstellungen von Macht und Überfluss dazu.

In einem kleinem Küchenzimmer der Ausstellung hängt ein ganz besonderes Bild. Es ist nicht sehr groß, auf dem abstrakten Gemälde heben sich rosa- und rostfarben gehaltene, gezackte Flächen voneinander ab. Das Bild stammt von Rudolf Thalmeier, dem Geschäftsführer des Möbelhauses. Mitte der 1980er-Jahre hat er zum ersten Mal Kunst in die Möbelausstellung aufgenommen. Ein Grund dafür sei gewesen, junge Künstler aus der Region zu fördern, außerdem gehöre zur Wohnkultur Kunst einfach dazu, sagt Clemens.

Die aktuellen Bilder imVerwaltungsgebäude des Abwasser- zweckverbands Erdinger Moos. (Foto: Renate Schmidt)

Unter Clemens' Verantwortung gibt es bei Thalmeier inzwischen zwei feste Kunst-ausstellungen im Jahr, zu denen mehrere hundert geladene Gäste kommen. Eine davon im Sommer, eine in der Mitte der Fastenzeit. Zwei kleinere Ausstellungen ergänzen das Programm, so steht ihm Oktober eine Fotoausstellung der Fotoklicke Dorfen an.

So groß wie in Dorfen sind die Vernissagen beim Abwasserzweckverband (AZV) Erdinger Moos in Eitting noch nicht. Die Organisatorin Karola Eschbaumer hat aber auch erst im Jahr 2013 damit begonnen, lokale Künstler einzuladen. Als das neue Verwaltungsgebäude fertig wurde, "hat es sich einfach angeboten" sagt die 46-jährige Sekretärin der Geschäftsführung. Das Erdgeschoss des futuristischen Flachbaus besteht aus einem in warmen Holztönen gehaltenen Atrium, alle paar Meter gehen von der Wand Holztüren zu den Büros der Sachbearbeiter weg. Blickt man von innen durch eines der Bürofenster, sieht man die Metallbrüstung der großen Klärbecken. Hier wird das Abwasser aus Erding gereinigt. Davor hängt der Lichtjäger-Zyklus von Elisabeth Lex. Auf hellgrünem, kleinformatigem Untergrund sind im Hochdruckverfahren dunkelgrüne, schemenhafte menschliche Formen aufgemalt. Die ambivalenten Figuren gehören zu der Ausstellung "Grün" der Notzinger Künstlerin. Noch bis 12. Oktober erkundet Elisabeth Lex hier, wo ansonsten Entwässerungspläne geprüft und Abwasserkonzepte erstellt werden, in 20 Gemälden Strukturen von Mensch und Natur.

Natürlich spielt der Ort, an dem Menschen Kunst erleben auch eine Rolle dabei, wie sie die Kunst erfahren. Ein Edward-Hopper-Gemälde, das in der Zahnarztpraxis dabei hilft, die Nerven zu beruhigen, ruft im Museum manchmal nur ein müdes Gähnen hervor. Wie unterschiedlich die Kunstwahrnehmung sein kann, weiß auch Doris Hanuschek. Seit vielen Jahren stellt die 77-Jährige Malerin ihre Werke in Kliniken in ganz Oberbayern aus. Momentan hängen etwa 30 ihrer Bilder im Erdgeschoss des Klinikums Erding. "In Galerien lässt man sich mehr Zeit, man schaut intensiver" sagt Hanuschek. Dagegen sei die Begegnung mit Kunst in Krankenhäusern eher "zufällig". Das stört die Waldkraiburgerin aber nicht. Im Gegenteil. Bei Ausstellungen in Reha-Zentren, in denen viele Menschen nach schweren Krankheiten wieder auf dem Weg der Besserung sind, hat sie erfahren, welche Wirkung ihre Bilder entfalten können. "Ich freue mich, wenn sich die Leute an der Kunst laben."

Veronika Clemens im Möbelhaus Thalmeier. (Foto: Renate Schmidt)

Auch die Steinkirchener Künstlerin Sylvia Frey hat inzwischen den Reiz von ungewöhnlichen Ausstellungsorten erfahren: "Gerade weil man nicht damit rechnet, ist es ein Hingucker" sagt sie. Die Fachverkäuferin Heidi Weinert von der Metzgerei Lobermeier in Erding stimmt ihr zu. Man merke, dass im Imbissbereich Kunst hängt, sagt sie. "Die Kunden gehen jetzt ganz anders zum Essen."

© SZ vom 22.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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