Überraschung im Gerichtssaal:Hart im Nehmen

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Ein junger Rumäne verprügelt mit seinem Cousin einen 49-Jährigen. Vor Gericht zeigt der Mann bemerkenswert wenig Interesse an einer Strafverfolgung. Der Amtsrichter verurteilt den Täter dennoch zu einem Jahr Haft auf Bewährung

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Nur weil er bei der Tat erst 18 Jahre alt war und noch als Jugendlicher eingestuft wurde, ist ein heute 20-jähriger Rumäne aus Inning am Holz als freier Mann aus dem Amtsgericht gegangen. Denn Richter Michael Lefkaditis ging in seinem Urteil an die oberste Grenze dessen, was er ohne ein Schöffengericht im Jugendstrafrecht verhängen konnte: ein Jahr Haft, ausgesetzt auf zwei Jahre zur Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung. Das Maß der Gewaltanwendung durch die Schläge und Fußtritte gegen einen zur Tatzeit 49-Jährigen nannte der Amtsrichter völlig überzogen". Lefkaditis lag mit seinem Urteil damit deutlich über der Forderung des Staatsanwaltes, der vier Wochen Dauerarrest für ausreichend hielt. Der Verteidiger des Angeklagten hatte auf Freispruch wegen Notwehr plädiert.

Die Tat liegt mittlerweile schon fast zwei Jahre zurück. Am 8. April 2016 war der Angeklagte mit seinem Cousin in München unterwegs. Über den Tatverlauf gibt es zwei Versionen, die des Angeklagten und die eines Hauptzeugen. Der Angeklagte beteuerte, man habe dem später Geschädigten schon in der U-Bahn aus dem Weg gehen wollen, aber an der U-Bahn-Station Frankfurter Ring sei er ebenfalls ausgestiegen und seinem Cousin und ihm auf der Treppe nach oben gefolgt. Dort habe der Geschädigte seinem Cousin einen Schlag verpasst und ihn am T-Shirt gepackt. Er habe dann, ehe er selber geschlagen werden konnte, dem 49-Jährigen einen einzigen Fausthieb verpasst. Sein Cousin, gegen den separat eine Verhandlung läuft, habe ihn mehrfach geschlagen. Dann sei man weiter gegangen und kurze Zeit später hätten beide beschlossen, dass der Cousin zurück gehen soll, um nachzusehen, ob der Mann okay sei.

Okay war der keineswegs. In der Zwischenzeit hatten Passanten die Polizei und den Rettungsdienst angerufen. Der Hauptzeuge, der die Schläge der beiden auf den Mann sowie dessen zu Boden gehen gesehen hat, sagte vor Gericht, dass der Geschlagene regelrecht in seinem Blut gelegen habe und nicht ansprechbar gewesen sei. Im Krankenhaus wurde neben einer großen Stirnplatzwunde und einem Riss in der Lippe auch eine Kiefernhöhlen- und Nasenbeinfraktur festgestellt.

Als der Geschädigte vor Gericht aussagte, konnte er zwar zum Geschehenen nichts beitragen, hinterließ aber aus einem anderen Grund bei allen - vom Staatsanwalt, über Verteidiger bis zum Amtsrichter - einen tiefen Eindruck. "Ich habe noch nie bei einem so Geschädigten so ein Desinteresse an der Strafverfolgung gesehen", sagt Lefkaditis. Der war nämlich nur einen Tag im Krankenhaus. "Ich kann mich nur noch erinnern, dass ich total betrunken aus der Kneipe kam und dann, dass ich im Krankenhaus aufgewacht bin." Danach habe er die Klinik verlassen und sei erst am nächsten Tag wieder ins Krankenhaus gegangen. Weil er aber nicht warten wollte, sei er heimgegangen und habe sich gesagt: "Das heilt von selber." Er habe sich schließlich schon einmal auf den Knochen gebissen "und dann hat sich alles wieder eingerenkt". Sein Fazit: "Ich bin hart im Nehmen." An ein Schmerzensgeld habe er nie gedacht. "Zu unserer Zeit hat es das nicht gegeben. Wir haben gerauft und das war es." Er wehrte sich gegen die Unterstellung, er könnte gegen den Rumänen und seinen Cousin aus Bulgarien rassistische Äußerungen gemacht haben: "Ich bin seit 22 Jahren mit einer Ausländerin zusammen. Ich lasse mich nicht auf die rechte Schiene schieben." Der Hauptbelastungszeuge hatte zum Grund der Schläge auch nichts sagen können, nur, dass er einen Streit in seinem Rücken gehört habe und beim Umdrehen gesehen habe, wie zwei Personen auf eine Dritten einschlagen.

In der Urteilsbegründung sagte Lefkaditis, dass selbst eine Notwehrsituation dieses Maß an Schlägen und Tritten nicht rechtfertige. Das meiste, was der Angeklagte gesagt habe, seien völlig unglaubwürdige Schutzbehauptungen. Erschwerend kam hinzu, dass er schon einmal wegen Körperverletzung verurteilt worden war. "Ich verspreche ihnen, sollte es noch einmal zu einer Strafverfolgung wegen eines Delikts dieser Art kommen, dass Sie dann eine längere Haftstrafe absitzen", sagte der Richter zum Angeklagten. Eine der Bewährungsauflagen ist die Zahlung von 2000 Euro an den Geschädigten, auch wenn der bei dem Punkt abgewunken hatte.

© SZ vom 28.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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