Überfordertes Amtsgericht:Eine nicht enden wollende Flut an Verfahren

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An keinem anderen Amtsgericht im Freistaat steht das Aufkommen an Verfahren und die Zahl der Mitarbeiter in einem größeren Missverhältnis als in Erding. Schuld daran ist der Flughafen München

Von Florian Tempel, Erding

Das Amtsgericht Erding ist die Nummer Eins der 73 Amtsgerichte in Bayern - es belegt den Spitzenplatz bei der Arbeitsbelastung. An keinem anderen Amtsgericht im Freistaat steht das Aufkommen an Verfahren und die Zahl der Mitarbeiter in einem größeren Missverhältnis. Obwohl im vergangenen Jahr in Erding personell nachgebessert wurde, "wird es nicht besser", sagte die Direktorin des Amtsgerichts, Ingrid Kaps, beim Jahrespressegespräch. Schuld ist der Flughafen München, der dem Erdinger Gericht eine nicht enden wollende Flut an Verfahren beschert.

Ausweislich der offiziellen Statistik leisteten die Richter, Rechtspfleger und Justizmitarbeiter im vergangenen Jahr 145 Prozent dessen, was eigentlich vorgesehen sein sollte. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Arbeitsbelastung eines bayerischen Amtsgerichts lag zuletzt bei 116 Prozent. Dabei sind in den vergangenen zwölf Monaten in allen Arbeitsbereichen des Erdinger Gerichts neue Stellen geschaffen und besetzt worden: Drei Richter, zwei Rechtspfleger und zwei Geschäftsstellen-Mitarbeiter sind dazu gekommen. Die Gesamtzahl des Personals hat sich von 80 auf 88 erhöht. Doch "gleichzeitig überrennt die Entwicklung", sagte Kaps, "es reicht schon wieder nicht". Man bräuchte in Erding weitere vier Richter, drei Rechtspfleger und sechs weitere Justizmitarbeiter.

Wenn am Amtsgericht Erding neue Stellen geschaffen werden, gilt es jedoch ein weiteres Problem zu lösen. Das Gerichtsgebäude ist zu klein, um genügend Büros, Geschäftsstellen und einen vierten Gerichtssaal darin unterzubringen. Selbst eine Aufstockung des Neubautrakts und ein Dachausbau wäre wohl zu wenig. Man müsse deshalb daran denken, sagt Kaps, ein komplett neues Gerichtsgebäude zu bauen.

Die große Masse an Arbeit kommt vom Flughafen München, für den das Amtsgericht Erding zuständig ist. Hauptsächlich - aber nicht nur - sind es Zivilverfahren, drei Viertel davon sind so genannte Reisevertragssache. Es geht immer wieder um dasselbe: Entschädigungen für ausgefallen oder verspätete Flüge und verloren gegangenes Gepäck.

Wie enorm die Zunahme solcher Verfahren ist, konnte Kaps mit klaren Zahlen belege. Vor sechs Jahren wurden am Amtsgericht Erding 1500 Zivilsachen aller Art bearbeitet. 2014 waren es schon 3000 und im vergangenen Jahr etwa 3800. In den ersten drei Monaten dieses Jahres sind bereits 1100 neue Verfahren eingelaufen, hochgerechnet bis zum Jahresende ist also mit 4400 Zivilverfahren zu rechnen - das wäre dann dreimal so viel wie 2010. Die Anzahl der Strafverfahren und Familiensachen ist in diesem Zeitraum hingegen nur leicht gestiegen und zuletzt etwa gleich geblieben.

Das Streitigkeiten um Schadenersatz bei Flugreisen in Erding enorme Konjunktur haben, wird durch mehrere Faktoren noch angeheizt. Im Internet finden sich mittlerweile spezialisierte Unternehmen, die betroffenen Flugreisenden gegen 25 Prozent Erfolgshonorar die lästigen Klagen abnehmen. Auf der Homepage von Flightrights lobt etwa ein angeblicher Kunde, wie toll das klappt: "Vollmacht schicken, zurücklehnen, kurz warten, Geld da!" Die Zivilrichter am Amtsgericht Erding können sich freilich nicht zurücklehnen, sondern registrieren mit Schauder, dass die Internet-Profis in München ein eigenes Büro eröffnen wollen, weil ihre Business-Idee ein so großer Erfolg ist. Eine Erschwernis ist auch, dass immer mehr "Ausländer gegen ausländische Fluggesellschaften in Erding klagen", sagte Kaps. Das macht einen Haufen Extraarbeit, weil die Ladungen übersetzt und auf dem oft langwierigen Behördenweg im Ausland zugestellt werden müssen. Das sei "extrem viel Arbeit" vor allem für die Geschäftsstellenmitarbeiter. Auch dass Billigfluggesellschaften wie Germanwings und Transavia wieder am Münchner Flughafen präsent sind und weitere Airlines am neuen Satelliten-Terminal andocken werden, ist für Kaps keine gute Nachricht. Die Erfahrung lehrt die Erdinger Richter, dass vor allem die Billigflieger viel zusätzliche Arbeit bringen werden.

Neben den Flugreisestreits ist das Amtsgericht aber auch zunehmend mit Abschiebehaft-Fällen befasst, die am Flughafen auflaufen. Im vergangenen Jahr hatten die Erdinger als Ermittlungsrichter 620 Mal mit Abschiebungen zu tun. Die Tendenz ist auch hier steigend. Das Amtsgericht Erding ist eben mit allem, was am Flughafen anfällt, beschäftigt. Das Freisinger Gericht ist hingegen außen vor. Dort gibt es nicht einmal einen Ermittlungsrichter. Alle Fälle, in denen im Landkreis Freising ein Haftbefehl notwendig wird, werden in Erding erledigt.

© SZ vom 06.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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