Trotz Überholverbot:"Rücksichtsloser Blindflug"

Lesezeit: 2 min

Kolonnenspringer fährt auf der FTO im dichten Nebel 17-jährigen Motorradfahrer tot. Schöffengericht verurteilt ihn zu einem Jahr und sieben Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung

Von Thomas Daller, Erding

Ein 50-jähriger Ingenieur aus Niederbayern hat am 28. September vergangenen Jahres bei Dunkelheit und starkem Nebel auf der Flughafentangente Ost eine Kolonne überholt und dabei einen 17-jährigen Auszubildenden aus Wörth, der ihm auf einem Kleinkraftrad entgegenkam, frontal gerammt. Der 17-Jährige starb noch an der Unfallstelle. Das Schöffengericht Erding verurteilte den Ingenieur wegen fahrlässiger Tötung zu einem Jahr und sieben Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung.

Der Unfall ereignete sich im morgendlichen Berufsverkehr gegen 6.30 Uhr zwischen den Auffahrten Ober- und Niederneuching. Der Ingenieur war auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle in Poing und stand dabei nicht unter Zeitdruck: "Ich arbeite Gleitzeit und hatte keinen konkreten Termin. Aber ich fange gerne früh an." Alle Fahrer fuhren an dem Morgen auf diesem Streckenabschnitt nur etwa 60 bis 70 Stundenkilometer, weil die Sicht so schlecht war. Aber der 50-Jährige scherte noch im Überholverbot aus, um, wie er eingestand, die gesamte Kolonne vor ihm, die aus mindestens vier Pkw und einem Lastwagen bestand, zu überholen. Nachdem er drei Autos überholt hatte, bemerkte er einen entgegenkommenden Lastwagen und wandte den Blick nach rechts, um eine Lücke zum wiedereinscheren zu finden. In diesem Moment gab es einen fürchterlichen Schlag, weil er das ebenfalls entgegenkommende Kleinkraftrad des 17-Jährigen völlig übersehen hatte. Der junge Mann aus Wörth war sofort tot.

Die Zeugen, die vor Gericht zu dem Unfall vernommen wurden, wiesen alle auf den "extremen Nebel" hin, der an diesem Morgen geherrscht habe. Stellenweise habe die Sichtweite unter 50 Metern gelegen. Selbst die Polizei traf mit erheblicher Verspätung am Unfallort ein, weil es trotz Blaulicht zu riskant gewesen wäre schnell zu fahren, sagte ein Polizeibeamter aus, der dabei war.

"Er kam mit einem Affenzahn angepfiffen", sagte ein Berufskraftfahrer aus, der ebenfalls auf dem Weg zur Arbeit war. "Ich habe ihn von hinten im Rückspiegel kommen. Ich dachte, das geht nicht gut aus. Wie kann der nur im Gegenverkehr überholen." Denn dieser und andere Zeugen hatten nicht nur den entgegenkommenden Lastwagen gesehen, sondern auch das Abblendlicht des Kleinkraftrads: "Der Motorradfahrer war eindeutig zu sehen", sagte der Berufskraftfahrer. Aber es habe kein Ausweichmanöver und kein Aufleuchten der Bremslichter gegeben, bis zur tödlichen Kollision.

Ein Sachverständiger, der zusammen mit der Polizei den Unfall aufgenommen und vermessen hatte, wies darauf hin, dass die Sicht nicht einmal ausgereicht habe, um ein Auto zu überholen, geschweige denn vier und zudem noch einen Lastwagen. Er berechnete die Geschwindigkeit des überholenden Fahrzeugs mit 110 bis 116 Stundenkilometern, erlaubt sind dort 100. Der 17-Jährige hingegen sei mit etwa 60 bis 70 Stundenkilometern so vorsichtig wie alle anderen gefahren.

Die Staatsanwaltschaft fasste in ihrem Plädoyer zusammen, dass der Angeklagte drei schwerwiegende Verkehrsverstöße begangen habe, die zu dieser fahrlässigen Tötung geführt haben: das Überholverbot missachtet, trotz schlechter Sicht überholt und die Höchstgeschwindigkeit überschritten. Aus Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit habe er versucht, die gesamt Kolonne zu überholen, wobei jeder Zeuge diese Situation als lebensgefährlich geschildert habe. Die Staatsanwaltschaft forderte ein Jahr und zehn Monate Haft ohne Bewährung. Außerdem sei ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen und vor Ablauf von 24 Monaten keine mehr zu erteilen.

Die Verteidigung hegte Zweifel daran, dass das Verhalten des Mandanten rücksichtslos war. Aus dessen Sicht sei das Überholen "beherrschbar" gewesen. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe sei nicht erforderlich, eine "angemessene Geldstrafe" reiche aus.

Das sah Björn Schindler, der Vorsitzende Richter des Schöffengerichts, deutlich anders. Der Angeklagte habe bei einem "völlig sinnlosen Überholmanöver" zu einem "Blindflug" angesetzt; noch dazu im Überholverbot. Er habe dabei völlig rücksichtslos gehandelt. Die Verteidigung der Rechtsordnung gebiete eine Vollstreckung der Freiheitsstrafe. "Kein Bürger würde verstehen, wenn Sie mit Bewährung davon kommen."

© SZ vom 06.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: