SZ-Interview:Automatisch in Armut

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Dakhaz Hussein betreut für die Caritas Erding die Flüchtlingsunterkunft in Lindum. Der Sozialpädagoge kam 2015 selbst als Geflüchteter aus Syrien in den Landkreis. Er weiß, dass die Pandemie die Menschen, die es ohnehin nicht leicht haben, besonders hart trifft

Interview von Regina Bluhme

Der 34-Jährige ist Teamleiter der allgemeinen Sozialberatung des Caritas Zentrum Erding. (Foto: Renate Schmidt)

Bis zu zehn Nationen leben in der Gemeinschaftsunterkunft Lindum bei Dorfen unter einem Dach. Gut, dass Dakhaz Hussein fünf Sprachen spricht. Der 34-jährige Teamleiter der allgemeinen Sozialberatung des Caritas Zentrum Erding ist auch für die Flüchtlings- und Sozialberatung in Lindum zuständig. 2015 ist Hussein, der in Syrien Soziologie und Sozialpädagogik studiert hat, selbst als Geflüchteter in den Landkreis Erding gekommen. Ein Gespräch über die Auswirkungen der Pandemie, über das Gelingen von Integration und seinen größten Weihnachtswunsch.

SZ Erding: Herr Hussein, Sie haben kürzlich bei der Mitgliederversammlung der Caritas gesagt, die Pandemie treffe die Menschen, die es ohnehin nicht leicht haben, besonders hart, aber Geflüchtete hätten - ich sag es jetzt in meinen Worten - ein zusätzliches Päckchen zu tragen.

Dakhaz Hussein: Meine Bewohner sind automatisch von Armut betroffen, vor allem wenn sie von Asylbewerberleistungen leben müssen. Das bedeutet den Rand des Existenzminimums. Und dazu kommt, dass sie immer wieder aufgefordert werden, Unterlagen zu beschaffen. Wenn sie dann deswegen zu einer Behörde, zum Beispiel zur Botschaft in Berlin, fahren müssen, müssen sie die Fahrkarte selber zahlen. Wenn sie sich gegen die Ablehnung wehren wollen, dann müssen sie einen Rechtsanwalt einschalten. Viele fallen so automatisch in Schulden. Corona sorgte auch dafür, dass einige ihren Job verloren haben, mit all den Folgen. Und dann der Stress in den Familien mit Schulkindern.

Können Sie ein Beispiel nennen?

In Lindum lebt eine Familie mit vier Kindern, eins im Kindergarten, zwei in der Schule, eins in Ausbildung. Sie leben von Asylbewerberleistungen, da wissen sie nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Der Papa hat in der Pandemie seine Arbeit verloren. Sie hatten keinen Laptop, keinen Drucker, nichts. Der Papa hat mir über eine App dann die Arbeitsblätter von der Schule geschickt, ich hab sie für die Kinder ausgedruckt. Dazu kommt, dass sie mit einem Kind zweimal im Monat zu einem Arzt nach München zur Kontrolle fahren müssen. Und immer die Fahrtkosten selber zahlen müssen. Wir versuchen, sie zu unterstützen, aber teilweise lassen die Kriterien von Anträgen es nicht zu, jeden Monat die gleiche Familie zu unterstützen.

Funktionierendes Internet ist in Lindum, eine Einrichtung der Regierung von Oberbayern, ein wichtiges Thema.

Anfangs war ein Internetanschluss gar nicht erlaubt, aber wir haben gemeinsam mit der Flüchtlingshilfe Dorfen gekämpft. Jetzt haben die Bewohner einen Zugang gegen eine kleine monatliche Spende.

Ein großes Problem ist der knappe Wohnungsmarkt im Landkreis.

Man muss sagen, das ist hier im Landkreis für alle Menschen ein sehr großes Problem. Ab und zu aber gibt es Angebote, da will jemand ausdrücklich eine Wohnung an Flüchtlingsfamilien mit Kindern vermieten. So etwas funktioniert nur über unsere Ehrenamtlichen, deren Netzwerk und Mitarbeit wir dringend brauchen. In der Pandemie haben leider einige aufgehört, wegen des Ansteckungsrisikos, das kann ich verstehen. Aber sie fehlen uns.

Wie hat sich Corona auf Ihre Arbeit ausgewirkt?

Es war schon schwierig. Zweimal stand die Unterkunft komplett unter Quarantäne. Es war uns aber sehr wichtig, die Leute auch im Lockdown weiter zu betreuen. Wir haben dann auf online umgestellt, und schließlich haben wir eine Ausnahmegenehmigung bekommen. So konnte ich doch zwei Tage die Woche vor Ort sein.

Wie sieht Ihre Tätigkeit aus?

Das beginnt bei der Erstorientierung von Neuzugängen. Dann unterstützen wir beim Ausfüllen von Formularen, erklären den Inhalt von Bescheiden, wir informieren über Sprachkurse, Schuldenprävention, Ausbildungsmöglichkeiten, auch über die Hausordnung und wie überhaupt das System hier funktioniert. Wir helfen also bei allem, was sie für den Alltag brauchen.

Sie haben einmal gesagt, Integration ist kein T-Shirt, das man sich einfach schnell anzieht. Wie funktioniert Integration?

Wenn beide Seiten aufeinander zugehen. Ich sage immer: Integration beginnt mit einem "Hallo". Wenn man keinen Kontakt aufnimmt, behält der eine seine Ängste und der andere seine Vorurteile. Ein guter Kontakt ist wichtig.

Wo steht der Landkreis?

Integration braucht Zeit. Doch seit 2015 sind schon große Schritte gemacht worden. Wobei ich die Begriffe "Geflüchtete" und "Deutsche" nicht mag. Ich würde lieber für beide das Wort "Menschen" verwenden.

Was wäre denn Ihr Weihnachtswunsch?

Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann dass zunächst einmal jeder Mensch den anderen als Menschen betrachtet.

© SZ vom 11.12.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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