Streit am Erding Bahnhof:Blutiger Abdruck an der Bustür

Lesezeit: 2 min

Gericht stellt Verfahren gegen zwei Angeklagte ein, weil die Ursache einer Stichwunde nicht zweifelsfrei geklärt werden kann

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Der 25. September 2017 dürfte einigen Erdingern, die sich an diesem Tag gegen 16 Uhr am Busbahnhof in Erding aufgehalten haben, noch in Erinnerung sein: Ein Mann wurde von fünf Männern verfolgt, einer der Verfolger mit nacktem Oberkörper hatte sich ein Hemd um blutende Wunden am Oberarm gewickelt. Der Verfolgte fuchtelte mit einem großen Messer herum, wohl um die anderen zurückzuhalten. Dann floh er zu einem Bus und schlug gegen die Türe beim Fahrer. Der ließ ihn hinein und machte die Türe wieder zu. An der Türe war ein blutiger Abdruck zu sehen. Dann kam die Polizei. Zwei der fünf Verfolger standen nun vor dem Amtsgericht wegen des Vorwurfs der schweren Körperverletzung, denn der Verfolgte hatte im linken Oberschenkel eine drei auf zwei Zentimeter große Stichwunde sowie Prellungen an Armen und Schenkeln erlitten.

Für die Staatsanwaltschaft hatte sich die Sache so abgespielt: Die beiden Angeklagten, 23 und 26 Jahre alt, hatte mit drei weiteren, nicht näher bekannten Personen auf das Opfer eingeschlagen. Der 23-Jährige habe mit einem Gürtel auf den Mann eingeprügelt, der 26-Jährige habe ihm mit einem Messer in den Oberschenkel gestochen. Alle Beteiligten sind Syrer, die nach Deutschland geflüchtet waren und teilweise in Asylbewerberheimen leben.

Vor Gericht machten die Angeklagte, die von drei Verteidigern vertreten wurden, keine Angaben, womit die Zeugenaussagen die wichtigste Quelle für Amtsrichter Andreas Wassermann wurden. Und es waren viele Zeugen geladen, da viele Wartende die Auseinandersetzung gesehen hatten. Doch letztlich wurden von insgesamt 24 geladenen Zeugen nur Polizeibeamte, die vor Ort waren, sowie der ermittelnde Kriminalbeamte angehört. Außerdem wurde die Aussage einer Zeugin verlesen, die alles gesehen hatte, aber jetzt wieder in Mexiko lebt.

Danach stand zweifelsfrei nur fest, dass eine Gruppe Männer einen anderen verfolgt hatte, der sich dann in den Bus flüchtete. Zwei der Männer, die jetzt vor Gericht standen, wurden später von Zeugen auf Fotos wieder erkannt. Wie das Opfer aber zu dem Messerstich im Oberschenkel kam, blieb offen. Es wurde auch spekuliert, dass der Mann sich die Verletzung selbst zugezogen haben könnte. Sei es ungewollt, als er mit dem Messer in der Hand stürzte, oder absichtlich.

Die Polizeibeamten holten den Mann aus dem Bus und erst, als sie ihn in das Einsatzfahrzeug setzen wollten, entdeckten sie, dass seine Jeans voller Blut war. Das einzige Messer, das vor Ort gefunden wurde, war aber das, das das Opfer selbst wohl in der Hand und später unter dem Sitz im Bus versteckt hatte. Kriminaltechnische Untersuchungen ergaben nur, dass das Blut des 23-jährigen Angeklagten auf dem Messer war - was dafür sprach, dass ihm damit die Schnittwunden am Arm zugefügt worden waren.

Weil der Verfolgte nicht vor Gericht erschienen war, obwohl er vorgeladen worden war, fiel der mögliche Hauptbelastungszeuge aus. Fest stand nur noch, dass es erst wenige Wochen zuvor einen Streit zwischen ihm und dem 26-jährigen Angeklagten in der Flüchtlingsunterkunft in Neuching gegeben hatte, bei der ein Holzstuhl geworfen wurde und Pfefferspray zum Einsatz kam. Was die Auseinandersetzung am Busbahnhof auslöste, blieb aber offen. Das Verfahren gegen das Opfer, der dem 23-Jährigen wohl die Schnittwunden zugefügt hatte, war schon vor der Verhandlung eingestellt worden, da die unbeteiligten Zeuge angegeben hatten, dass er sich lediglich verteidigt habe.

Richter Wassermann schlug deshalb in einem Rechtsgespräch mit allen Verfahrensbeteiligten vor, das Verfahren vorläufig einzustellen, bis sich Angeklagte und Angegriffener zu einer Mediation, einem Täter-Opfer-Ausgleich, zusammen gesetzt haben. Zudem muss jeder 800 Euro an die Organisation Ärzte ohne Grenzen überweisen. Eine Verurteilung alleine aufgrund der Beweisaufnahme sei nicht möglich, da nicht festgestellt werden könne, wie die Stichwunde im Oberschenkel des Verfolgten entstanden sei. Somit bleibe es bei einer "wechselseitigen tätlichen Auseinandersetzung" ohne den Nachweis einer gefährlichen Körperverletzung, hieß es. Beide Angeklagten akzeptierten das Urteil.

© SZ vom 27.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: