Stadt Erding war einer der ersten Kunden:Pionier des Internets

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Thomas Albrecht gründete Wildcat, eine der ersten Online-Werbeagenturen Europas. Zum 20-jährigen Bestehen spricht er über die Anfänge des World Wide Web in Erding

Von Sophia Neukirchner, Erding

In den alten Räumen der Werbeagentur Wildcat stapeln sich die Kisten aus 20 Jahren. Als Thomas Albrecht 1996 das Unternehmen in der Nagelschmiedgasse in Erding gründete, war das Internet noch Neuland. Nicht nur für die Erdinger. Die ersten Unterlagen finden sich noch auf Diskette. In diesem Jahr feiert Wildcat nun sein zwanzigjähriges Bestehen. Und das Internet hat es seitdem in fast jeden Haushalt geschafft.

Einer der ersten Wildcat-Kunden war die Stadt Erding. Damals war Günther Pech Pressesprecher der Stadt. Er wollte Erding auch online bewerben, und er kannte den Marketing-Fachmann Albrecht, der als Hobby die amerikanische Mailboxsoftware "Wildcat BBS" vertrieb. Die 1986 entwickelte grafische Oberfläche gilt als Vorläufer des Internets. BBS steht für "bulletin board system", eine Art schwarzes Brett für den Computer, das den Nutzern im Rahmen kleinerer Netzwerke den Austausch von Informationen erlaubte. Albrecht hat das Thema Vernetzung schon früh interessiert, wie er sagt: "Ich war fasziniert von der Möglichkeit, mit Leuten unabhängig von Ort und Zeit zu kommunizieren."

Zusammen erstellten sie die erste Homepage für die Stadt Erding. "Damit war Erding im Online-Marketing Vorreiter in der Region", sagt Pech. Er unterstützte Albrecht bei der Suche nach Räumen. 1996 zog Wildcat dann in das städtische Gebäude in der Nagelschmiedgasse 1.

Und dann ging alles ganz schnell. Wildcat wurde zu einem Pionier der Werbung im Internet. Albrecht sagt, er habe zu den ersten Gründern von Online-Werbeagenturen in Europa gehört: "Die Leute haben uns die Tür eingetreten." Mittlerweile ist Pech Leiter der Stadtmarketingabteilung, und der Name Wildcat findet sich längst nicht nur im Impressum der Stadthomepage. Die Firma betreut Gastronomen, Handwerker, weitere Städte und die Therme Erding, "alles von der kleinen Imbissbude bis zum großen Unternehmen". Und das nicht nur in der Region, sondern auch in Italien, Spanien und Ägypten. Er habe das Internet unter die Leute gebracht, "als noch keiner wusste, was Internet ist", sagt Albrecht.

Anfangs habe er noch viel Aufklärungsarbeit leisten müssen. Firmenchefs hätten ihn gefragt: "Was ist das? Brauchen wir das? Und das kostet auch noch Geld?" Albrechts Assistentin Roswitha Speer beschreibt es so: "Vielen Leuten fehlt auch heute noch die Vorstellungskraft. Der Handwerker kauft das Material und sieht das Ergebnis. Wir müssen kein Material einkaufen, es entsteht ja alles aus Gedanken und wird virtuell zusammengeschraubt." Mittlerweile bieten Albrecht und sein Team seit mehr als zehn Jahren einen "full service": Onlineauftritt, Imagefilm, Flyer, Broschüren, Foto und Webseitenhosting. Es gebe nichts, was sie nicht möglich machen, auch im gedruckten Bereich. Albrecht sagt: "Ohne Print geht es nicht."

Zwar kann heute jeder mit wenigen Klicks eine eigene Homepage erstellen, trotzdem findet Albrecht, dass Spezialisten nicht nur wegen gestalterischer Aspekte notwendig sind, vor allem wenn es um den Webauftritt von Unternehmen geht: "Wir bieten Datensicherheit und kennen das Onlinerecht."

Die Nagelschmiedgasse hat Wildcat vor drei Wochen verlassen, aber die Kunden sind geblieben. Viele sind seit der ersten Stunde da. Um den Kontakt nicht zu verlieren, wolle man sich auch nicht vergrößern. Wildcat besteht aus sechs Mitarbeitern inclusive Thomas Albrecht. Kein Angestellter ist weniger als zwölf Jahre dabei. Sie seien ein eingespieltes Team und Hierarchien nicht ausschlaggebend. Auf der Suche nach neuen Räumen war es Albrecht wichtig, in Erding zu bleiben. Hier ist der 49-Jährige aufgewachsen und auch, wenn er und seine Mitarbeiter, "im Internet Zuhause sind", wie er sagt, schätze er das Umfeld in der Stadt. Am Katharina-Fischer-Platz 1 wurden sie fündig.

Gerade sind die Mitarbeiter von Wildcat in ihre neuen Büros umgezogen. Von links: Elisabeth Klose, Jan Münter, Roswitha Speer, Sandra Wegezeder, Thomas Albrecht und Peter Krause. (Foto: Renate Schmidt)

Mit Albrecht kann man über Utopien und Visionen sprechen, über eine bargeldlose Zukunft zum Beispiel. Die Faszination des Internets, der globalen Vernetzung hat ihn nicht losgelassen. Dass heutzutage viele Menschen in der Lage sind, sich ihre eigene Homepage zu erstellen, sieht er als Chance, nicht als Gefahr: "Je mehr Leute mitmachen, desto spannender wird es." Seine "Mission", wie er sagt, sei dann vollendet, wenn er alle Leute befähigt habe, an der Online-Welt teilzuhaben. Deswegen gestaltet er Webseiten so, dass der Kunde sie selbst mit neuen Inhalten füllen kann. "Konkurrenzdenken bremst", findet Albrecht. Er wünsche sich, dass kleine Handwerksbetriebe in der Entwicklung nicht untergehen, weil sie an Online-Ausschreibungen nicht teilnehmen können: "Es kann sich heute gar keiner mehr leisten, online nicht präsent zu sein."

Der Zug hält nicht an. "Wir kommen aus dem Urlaub zurück, und die Welt hat sich schon wieder verändert." Dass alles immer noch schneller, mobiler und transparenter wird, macht ihm keine Angst. "Ich freue mich darauf", sagt Albrecht. Man müsse Veränderungen zulassen, um sich zu entwickeln.

Als sein Vater zuletzt kam, um sich die neuen Räume anzuschauen, habe der erstaunt festgestellt: "Ich hätte nicht gedacht, dass man das aus Internet machen kann." Sein Sohn schon.

© SZ vom 26.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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