Sozialbericht:Verdrängt von Stärkeren

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Die Schuldnerberatung der Caritas sieht sich mit einer wachsenden Nachfrage konfrontiert. Wegen der steigenden Lebenshaltungskosten spitzt sich die Lage auch im Landkreis Erding zu

Von Philipp Schmitt, Erding

Die Region boomt, Jobs und Freizeitangebote sind vorhanden. Die Entwicklung zieht solvente Neubürger an. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Trotz der relativ guten Arbeitsmarktlage wächst die Zahl der verschuldeten privaten Haushalte im Landkreis stark an, wie Vertreter der Caritas im Jahresbericht der Sozialen-, Schuldner- und Insolvenzberatung darlegen: Die Lage spitzt sich zu, viele Bürger geraten durch steigende Lebenshaltungskosten, Mieten und Baulandpreise in die Bredouille, wie Caritas-Kreisgeschäftsführerin Barbara Gaab und die Berater Ralf Lohrberg, Jessica Sossau-Tiede und Brigitte Fischer sagten.

Die Entwicklung verschärft sich, die Ursachen für die Misere sind vielfältig: Wohnungsknappheit und steigende Mieten, hohe Strompreise, Scheidung, Arbeitslosigkeit, Krankheit, schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse, Migration, schlecht bezahlte Stellen oder fehlende Teilzeitjobs für allein erziehende Mütter. Oft gehe bei Betroffenen die Hälfte des Einkommens für die Miete weg. Auch Unterhaltszahlungen oder teure Medikamente könnten den Weg in die Schuldenspirale beschleunigen: "Viele Menschen kommen in diesem teuren Landkreis mit ihrem Einkommen nicht mehr über die Runden", sagte Gaab. 2017 wurden bei der Schuldnerberatung 357 Beratungen gezählt: "Weil wir personell voll ausgelastet sind, bleiben die Zahlen im Vergleich mit dem Vorjahr etwa gleich, obwohl die Nachfrage steigt", sagte sie. "Unsere Arbeit wird immer komplexer, beratungsintensiver und zeitaufwendiger", fügte Jessica Sossau-Tiede an.

Die Insolvenzberaterin teilte mit, dass die seit elf Jahren angebotene Ergänzung zur Schuldnerberatung im Jahr 2017 in Erding und Dorfen von 86 Klienten bei Insolvenzfragen in Anspruch genommen wurde, 27 Fälle konnten abgeschlossen werden. Brigitte Fischer von der Sozialen Beratung fügte an, dass die Soziale Beratung im vergangenen Jahr 232 Menschen - ungefähr zwanzig mehr als im Vorjahr - beraten habe. Die seit Mitte 2017 angebotenen offenen Sprechstunden zwei Mal in der Woche neben den festen Terminen würden gut angenommen, in akuten Fällen sei schnelle Hilfe wichtig.

Teurer Wohnraum und Mobilitätskosten in der ländlichen Region, wo Familien auf ihr Auto angewiesen sind, um Kinder zum Kindergarten oder zur Schule zu fahren oder zum Arzt zu kommen, machen Betroffenen zu schaffen. Wegen der A94 ziehen im östlichen Landkreis die Baulandpreise explosionsartig an, auch dort geraten Klienten in die Klemme. Lohrberg appellierte an Politiker der Kommunen, durch sozialen Wohnungsbau mit günstigem Wohnraum gegen den Trend zu steuern. In der Beratung sei spürbar, dass auf dem Wohnungsmarkt ein Verdrängungswettbewerb durch die Konkurrenz solventer Mieter etwa aus München stattfinde, die in den aus deren Sicht noch günstigen Landkreis umzögen, hohe Preise akzeptierten und damit weniger solvente Mieter verdrängten.

Die meisten Ratsuchenden waren 2017 zwischen 30 und 50 Jahre alt, darunter viele Alleinerziehende und Alleinstehende. Jeder fünfte Klient des Caritas-Beraterteams hat einen Migrationshintergrund, diese Betroffenen fänden sich häufig im Ämter- und Paragrafendschungel wegen Sprachproblemen nicht zurecht. Deswegen sei die Arbeit ehrenamtlicher Ämterlotsen etwa beim Ausfüllen von Formularen wichtig: "Wir bräuchten dringend mehr Ämterlotsen", sagte Gaab.

Um nicht erst in die Schuldenfalle zu tappen, sei Prävention schon bei jungen Leuten wie Schülern wichtig, die oft noch nicht gelernt haben, mit Geld richtig umzugehen. Dafür bietet die Caritas Informations- und Präventionsprojekte an. Das Beraterteam der Caritas bedauere, so hieß es, dass die langfristige Begleitung von Ratsuchenden oft wegen der begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen nicht in der Form möglich sei, die zur Vermeidung von Rückfällen wichtig wäre. Sie fordern, dass für in Not geratene Bürger mehr getan werden müsse - doch mehr Personal ist nicht in Sicht. Die Soziale Beratung wird in erster Linie aus Eigenmitteln der Caritas getragen, durch eine private Großspende konnte die Beratung ausgeweitet werden. Die Caritas-Schuldnerberatung ( www.caritas-erding.de) wird vom Landkreis und der Stadt unterstützt, die Insolvenzberatung erhält Zuschüsse von der Bezirksregierung, Defizite der Beratungsstellen werden vom Caritasverband München ausgeglichen.

© SZ vom 28.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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