Sonnenuhren:Chronometer der Lebenszeit

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Dieter Birmann hat auf seinen Touren schon viele Sonnenuhren fotografiert, mehr als 100 in 30 Jahren. Dem Kunstliebenden in ihm genügte das, dem Techniker nicht. In Riding reifte er zum Präzisionsarbeiter mit Kunstverständnis

Von Stefanie Pichlmair, Erding

Dieter Birmann ist Rentner und hat wenig Zeit. Seine drei Kinder und sieben Enkel sorgen für ordentlich Trubel in seinem Leben. Außerdem leitet Birmann den Lochhausener Singkreis und gründete in den 1980er Jahren zusätzlich einen Kinderchor. Seitdem hat er noch weniger Zeit.

Wenn ihm das alles zu viel wird, fährt Dieter Birmann weg. Um seine Enkel müssen sich seine Kinder selbst kümmern, Singkreis und Kinderchor fallen aus. Birmann fährt stattdessen durch das Münchner Umland und fotografiert Sonnenuhren. "Sie galten im Barock als Lebenszeitmesser", sagt Birmann. Die Sonnenuhr als Beweis dafür, dass die Zeit knapp ist.

Früher hat Birmann keine Sonnenuhren fotografiert. Als Junge ging er in der Nähe von Nürnberg auf ein humanistisches Gymnasium, lernte Griechisch, Latein und Musikgeschichte. Nach dem Abitur zog er in die Stadt, studierte in München an der Technischen Universität Bauingenieurswesen. Aus ihm wurde ein Techniker mit humanistischen Wurzeln, ein Präzisionsarbeiter mit Kunstverständnis. Doch für die Kunst war lange kein Platz, vor seiner Pensionierung forschte er an der TU München im Verkehrswegebau.

Vor einigen Jahren entdeckte er ein Gemälde vom Hof seines Urgroßvaters in der Oberpfalz. "Das Gemälde entstand etwa um 1830 und darauf ist eine alte Sonnenuhr abgebildet", sagt Birmann. Das Bild gefiel ihm und nach und nach konnte er verstehen, wieso sein Urgroßvater die Sonnenuhr auf seinem alten Dreiseithof malen ließ. "Sonnenuhren vereinen Naturwissenschaften wie Astronomie und Physik mit Kulturwissenschaften wie Theologie und Architektur", sagt Birmann. Für ihn die ideale Verbindung von Technik und Kunst.

Birmann hat auf seinen Touren schon viele Sonnenuhren fotografiert, mehr als 100 in den vergangenen 30 Jahren. Dem Kunstliebenden in ihm genügte das, dem Techniker nicht. Der wollte wissen, wie man nur mit Sonnenlicht und dem Polstab, dem Zeiger, der den Schatten wirft, eine Uhr bauen kann. Deshalb restauriert Birmann seit 1983 Sonnenuhren im Münchner Umland.

In den Landkreis Erding lockte ihn 2015 die Kirchenpflegerin Anna Weber aus Riding bei Fraunberg. Sie wollte die Sonnenuhr an der Pfarrkirche St. Georg wiederherstellen lassen. Birmann entdeckte ihr Inserat im Internet und fuhr nach Riding. Doch dort gab es keine Sonnenuhr, sie wurde 1977 bei Renovierungsarbeiten mit dem Putz abgeschlagen. Stattdessen erhielt Birmann ein vergilbtes Foto von 1920, auf dem auf der Südseite des Kirchentrms schwach eine Sonnenuhr zu erkennen war. "Eine Herausforderung, aber kein Problem", sagt Birmann. Mithilfe des Fotos rechnete er die ursprüngliche Größe der Uhr, der Ziffern und des Zeigers maßstabsgetreu aus. Die römischen Ziffern entwarf er am Computer. Das Programm dazu schrieb er selbst. "Das Besondere an den Ziffern der Uhr in Riding ist, dass sie auf dem Kopf stehen", sagt Birmann. Warum, konnte er nicht herausfinden. Er vermutet, dass sich die Sonnenuhrmacher damals an Kirchturmuhren orientierten. Ziffernblätter an Kirchturmuhren stehen ebenfalls auf dem Kopf. "Doch bei Sonnenuhren ist das so selten wie schön" sagt Birmann. Er kennt in Bayern nur zwei Uhren mit umgekehrten Ziffern. Die fertige Skizze der rekonstruierten Sonnenuhr zeichnete Birmann direkt auf den Putz der Kirchenmauer, Ziffer für Ziffer. Den Zeiger gab Birmann nach historischem Vorbild beim örtlichen Schmied in Auftrag. "So etwas muss Handarbeit sein", sagt Birmann. Er baute den Zeiger selbst an der Turmwand ein. Alfons Empl, ein Landshuter Restaurator, übernahm die Malerarbeiten nach Birmanns Farbvorgaben. "Die Sonnenuhr wird per Hand und nicht mit der Schablonen gemalt", sagt Birmann. Die Ziffern dürfen ruhig etwas ungleichmäßig sein, damit sie zur spätbarocken Pfarrkirche passen. "Die Uhr soll nicht wie ein aufgesetzter Fremdkörper wirken, sie ist Teil der Architektur", sagt Birmann.

Ein Teil der Gemeinde Riding ist die Uhr ebenfalls. "Nach mehr als 30 Jahren haben wir wieder eine Sonnenuhr. Und sie sieht genau so aus wie damals", sagt Anna Weber. Auch Birmann ist zufrieden mit seinem bisher umfangreichsten Projekt. Aber auch kleinere Aufträge reizen ihn. Die barocke Sonnenuhr am Augustiner Chorherrenstift auf Herrenchiemsee zum Beispiel reparierte er stellenweise, genauso die Uhr am Kloster Benediktbeuern. Wenn er darüber spricht, wird seine Stimme warm. "Man muss der Seele der Uhr gerecht werden", sagt er. Das hat er geschafft, indem er so viel wie möglich von den alten Uhren und dem Mauerwerk übernahm. Birmann ist leidenschaftlich, wenn er von seinen Sonnenuhren erzählt. Und ärgert sich ebenso leidenschaftlich, wenn Menschen glauben, die Sonnenuhren gingen falsch. "Nein, sie gehen richtig", sagt Birmann und erklärt weiter: "Sie zeigen die wahre Sonnenzeit an." Winter- oder Sommerzeit kennen die Uhren nicht. Sie gehen deshalb bis zu einer halben Stunde vor. Das sei aber nicht die Schuld der Sonnenuhren, findet Birmann. "Die Sonnenzeit war zuerst da, die Mitteleuropäische Zeit ist eine künstliche Zeiteinheit", sagt er. Kunst gerne, aber bitte nicht künstlich. Für Birmann ist es Zeitverschwendung.

Dieter Birmann hält am Montag, 18. April, einen Vortrag mit Bildpräsentation über Sonnenuhren im Landkreis Erding. Beginn ist um 19.30 Uhr im Kronprinz-Rupprecht-Saal im Mayr-Wirt, Haager Straße 4 in Erding.

© SZ vom 09.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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